Anton Stengl: "Antideutsche!"
Entstehung und Niedergang einer politischen Richtung
Auf der Spur von
Spürhunden
Sie nehmen jeden ins Visier, der den
Staat Israel kritisiert, ja, der eine antiimperialistische Haltung
zeigt, der die USA aufs Korn nimmt, der soziale Missstände anprangert.
Ihren Hass richten sie auf Systemkritische, vor allem auf die Linken. Es
sind die Antideutschen, die sich wie Spürhunde voll und ganz in den
Dienst des Kapitals stellen.
Antideutsche? Nie gehört? Nein, aber die Ideologie-Akrobatik, die sie
und ihre Protagonisten - Namen wie Geisel, Postone, Pohrt, Küntzel und
Wertmüller gehören dazu - u.A. in den Zeitschriften "konkret", "Bahamas"
und "Jungle World" betreiben, ist ja wohl aus der offiziellen Politik
und aus den Schlagzeilen der obrigkeitshörigen Medien sowie aus den
Fernsehsendungen bis zum Übelwerden bekannt. An welcher Front stehen
dabei die Antideutschen?
Das Buch mit dem Titel "Antideutsche! Entstehung und Niedergang einer
politischen Richtung" von Anton Stengl schafft Aufklärung: Die
Antideutschen stehen in vorderster Vernebelungsfront. Der Autor geht in
die Tiefe, holt weit aus - auch in die Geschichte Israels, dessen
Existenz keiner leugnen will. Ganz im Gegenteil. Der Judenstaat,
gegründet im Jahr 1948, hätte, wie der Autor schreibt, die Kraft und die
Verantwortung, einen Humanismus auch gegenüber den Palästinensern und
den Arabern zu praktizieren, der wegweisend für andere Völker sein
könnte.
Doch es kam anders. Von seinem Grundkonzept her war "der Staat
Israel auf die Diskriminierung und Vertreibung der arabischen
Bevölkerung Palästinas begründet", wie der Autor feststellt (S.
306).
So wurde die Haltung zum Staat Israel zur Nagelprobe. Auch aus der Sicht
der Antideutschen. Entstanden aus der radikalen Ecke der Linken, riefen
sie zur Wiedervereinigung Deutschlands, die einen enormen "Machtzuwachs
für das deutsche Kapital" bedeutete (S. 161), lauthals zunächst
"Nie wieder Deutschland", um hernach ihren Fokus auf jene zu richten,
die Kritik an Israel übten. In der Einleitung betont der Autor, er wolle
der Frage nachgehen, "wie diese Strömung entstanden ist, wie sie
sich entwickelte, welche Positionen sie konkret einnimmt und wie diese
begründet werden."
Stengl bezeichnet seinen 335 Seiten umfassenden Text als Lesebuch, also
eine Textsammlung, eine Auswahl aus bereits anderswo publizierten
Beiträgen. Das hat seine Vorteile, da im Original zu lesen, birgt aber
auch die - leicht zu verschmerzende - Gefahr doppelter Aussagen. (Auch
die Originale sind nicht in jedem Fall sauber von den Kommentaren des
Autors zu unterscheiden.)
Ehe Anton Stengl seinen Untersuchungsgegenstand charakterisiert,
entlarvt und das "Gedankengebäude" der Antideutschen polemisch
zurückweist, ihn in den Kontext der großen Politik stellt, geht er
zunächst auf die Hintergründe der Gründung Israels ein, auf die Politik
der BRD und der Linken gegenüber dem israelischen Staat und den
Zionismus, auf die Mitschreier im Chor der Antideutschen sowie
schließlich darauf, wie Juden
selbst über den Antisemitismus denken und was hinter den Mythen der
Israelfeindlichkeit in Wahrheit steckt.
Ohne Frage, der Autor begibt sich auf eine heiße Spur. So hält er nicht
hinter dem Berg, die Antideutschen mit ihrer hanebüchenen "Ideologie" zu
entlarven. Ausgehend von der wahrheitsgetreuen Feststellung, dass das
Judentum eine Religion ist aber keine Nation (S. 27), also Staat und
Religion zu trennen seien, denn der israelische Staat sei für alle
Bürger da, greift Stengl den Grundpfeiler der antideutschen Ideologie
an: "Auf der einen Seite stünde das fortschrittliche Israel,
die USA und Europa - auf der anderen die islamisch-verhetzten
Palästinenser und reaktionären arabischen Regime ..." (S. 51).
Es ist sonnenklar: Da der Staat Israel eine aggressive Politik gegenüber
Palästinensern und den Arabern betreibt, ist es kein Wunder, wenn er von
fortschrittlichen Kräften stark kritisiert wird. Da hält sich
Deutschland heraus, hält schützend die Hand über Israel, da man doch
wegen des Holocaust in dessen Schuld stehe. (Zur Staatsräson erklärt!)
Der gedankliche Kardinalfehler dieser Haltung: Nicht schlechthin die
Deutschen tragen eine "Kollektivschuld", wie die Politik uns weismachen
will, sondern die Faschisten, die ja dem kapitalistischen System
entsprungen sind. Man reduziert gewissermaßen den Irrationalismus der
Nazis auf Angriffskrieg und Judenmord. Systemschuld? Die gibt es
offensichtlich nicht! Und wer Kritik übt, sei antisemitisch. So einfach
ist das. Man benutzt den Holocaust als Knüppel zur Verteidigung der
Kapitalinteressen. In Israel, in den USA, in Europa.
Auf die Geschichte des Antisemitismus, bei den Antideutschen spricht er
von Spürhundhetze, eingehend, verweist der Autor auf die Schuld der
katholischen Kirche, auf die Massaker an den Juden während der
Kreuzzüge. Die offizielle Kirchendoktrin: "Juden und Muslime - das
waren die Ungläubigen, die allesamt eliminiert werden mussten, damit
der 'Herr' wiederkäme und sein Reich auf Erden errichten könne"
(S. 11). Die Antideutschen allerdings, die während der Zeit der
Wiedervereinigung ausriefen "Nie - wieder - Deutschland", statt
"eine sozialistische und revolutionäre Alternative zur
Großmacht Deutschland zu propagieren (...)" (S. 161) und "Die
(...) tatsächliche Aufarbeitung der sozialistischen Politik der
Vergangenheit (...)" zu betreiben, (S. 311), hatten Israel noch
nicht im Blick. Das änderte sich, so der Autor, mit den Golfkriegen der
USA. Da stand die Frage, "... ob man gegen die USA ist, (...) oder
ob es andere Möglichkeiten der politischen Stellungnahme gäbe (...)".
Schließlich befürworteten manche den Angriffskrieg mit der Begründung,
die USA hätten ja auch im Zweiten Weltkrieg in der Anti-Hitler-Koalition
eine Befreiungsmission erfüllt (S. 301). "Begründet wurde diese
Position auch mit der angeblichen Bedrohung Israels durch irakisches
Giftgas, das auch noch mit deutscher Hilfe produziert worden sein
soll."
Nun war der Feind dingfest gemacht: Wer sich gegen Israel wendet, sei
ein Antisemit. Zur Gleichsetzung des Antizionismus mit dem
Antisemitismus eine jüdische Stimme (siehe Rolf Verleger, Leserbrief an
die "FAZ", 23.02.2012): "Die meisten Deutschen - ob Christen,
Muslime oder Atheisten, (...) sind wohl in der Lage, einen Unterschied
zu machen zwischen ihrer Einstellung zu Menschen jüdischen Glaubens
(...) und der berechtigten Verurteilung der Diktatur des sich selbst
'jüdischer Staat' nennenden Israel über die ihres Landes beraubten
Palästinenser" (S. 101).
Anton Stengl geht in seiner Spurensuche in weltanschauliche Tiefe, wenn
er - den von Marx
analysierten Fetischcharakter der Ware nennend - auf die
unterschiedlichen Subjekte, die "durchaus vorhanden" sind, zu
sprechen kommt, allerdings die heutigen Wertkritiker kritisiert, die "den
unpersönlichen Charakter der Herrschaft, die alle Menschen unterjocht
(...)" nicht sehen. Daraus folge in den Augen der bürgerlichen
Ideologie, auch der Antideutschen und ihrer geistigen Mitläufer: Es gäbe
"keine Herrschaft von Ausbeutern, die von der Arbeitskraft des
Proletariats profitieren, sondern nur ein abstraktes, repressives
System. Darum spielen (...) die konkreten Klassenverhältnisse (...)
keine Rolle" (S. 111). Demzufolge, so die Auffassung von
wertkritischen Antideutschen, könne sich die Linke, "wenn sie
Unternehmer und Arbeiter als reale Existenzen und als Subjekte im
Klassenkampf sieht, nie wirklich vom Antisemitismus frei (...)"
machen. Man glaubt es kaum - so wurde denn auch "folgerichtig" Lenins
Imperialismuskritik als prinzipiell antisemitisch kritisiert (S. 114).
Nun also ist die Katze aus dem Sack: Die Antideutschen und ihre
geistigen Mitläufer als willige Vollstrecker der herrschenden Klasse
können ungehindert ihr Kriegsgeschrei losbrüllen: Krieg sei Frieden,
Linke seien "Rot-Nazis", und Kapitalismuskritik sei "Antisemitismus",
Linke und besonders Kommunisten und Antiimperialisten seien die wahren
Feinde "zivilisatorischer Errungenschaften" (S. 223). Anton
Stengl schreibt auf Seite 309 von einer enormen "Aggressivität der
Antideutschen". Er fährt fort: "Eigentlich müssten Israel und
der Antisemitismus in der Konfrontation mit Massenarbeitslosigkeit,
Prekariat, Verarmung und Repression zu Hause (...) doch zweitrangig
sein. Das ist aber nicht der Fall."
Schlussfolgernd aus der Wiedervereinigung und dem aktuellen politischen
Dilemma stellt der Autor auf Seite 264 fest: Die Antideutschen seien ein
rein deutsches Phänomen. "Ihre Funktion ist primär die allgemeine
Propaganda für die zionistische Politik Israels und der israelischen
Staatsparteien sowie gegen die Autonomie Palästinas und gegen den
Frieden im Nahen Osten." Es gehe noch weiter. Sie unterstütze den
militärischen Angriff gegen arabische Länder "im Kontext
rassistischer Hetze gegen die Araber und den Islam: Islam - Nazismus."
Dieses sehr argumentativ und mit zahlreichen Originaltexten
ausgestattete politische Sachbuch dient allen politisch Interessierten
als Nachschlagewerk, um sich als Systemkritiker gegen eventuelle
Anfeindungen, man sei dem Antisemitismus verfallen, zur Wehr setzen zu
können. Und es entlarvt die Heuchelei der bürgerlichen Ideologie, mit
den Schrecken des Holocaust die Kriegswütigkeit des imperialistischen
Israel gegenüber den Arabern in Palästina rechtfertigen zu wollen.
Zur Form des Textes: Etwas Verwirrung stiften mitunter die kompliziert
wirkenden Überschriften; sie kürzer und informativer zu halten, stünde
der so interessanten und notwendigen offensiven Lektüre noch besser zu
Gesicht; auch einige Tippfehler sollten in einer Neuauflage schnell zu
beseitigen sein.
Anton Stengl - und nicht nur er - hat somit eine weitere deutlich
erkennbare Spur nach den antideutschen Spürhunden und ihren Mitbrüllern
aufgenommen; wer sich politisch nicht einlullen lässt, kann sie bei
jeglichen Demonstrationen, Menschenketten und sonstigen Protesten gegen
unsoziale Zustände und gegen Kapitalismus
und Krieg leicht wieder aufnehmen ...
(Harry Popow; 10/2012)
Anton Stengl: "Antideutsche! Entstehung
und Niedergang einer politischen Richtung"
Giuseppe Zambon, 2012. 220 Seiten. (Ab 15 J.)
Buch
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