Michael Weithmann: "Xanthippe und Sokrates"

Frauen und Männer im alten Athen


Eine Annäherung an eine seit der Antike verkannte Persönlichkeit

Xanthippe, die Frau des griechischen Philosophen Sokrates, gilt bereits seit der Antike als Inbegriff einer geradezu bösartigen, zänkischen, mürrischen Gattin. Doch was weiß man wirklich über Xanthippe, zu der die Quellenlage ausgesprochen dürftig ist - und was lässt sich aus den Quellen unmittelbar und mittelbar ableiten? Und könnte man Xanthippe vielleicht sogar als eine typische Vertreterin der Athenerin des 5. Jahrhunderts v. Chr. bezeichnen?

Dem Historiker Michael Weithmann dienen Xanthippe und Sokrates gewissermaßen als Aufhänger für das eigentliche Thema des hier besprochenen Buches: die Rolle von Mann und Frau im antiken Griechenland, zumindest jenen aus der Oberschicht, in verschiedenen Lebensbereichen.

Vier Abschnitte befassen sich sowohl mit dem Hauptthema als auch mit den beiden Protagonisten: "Sokrates' Athen - Der männliche Blick", "Xanthippes Athen - Der weibliche Blick", "Anklage, Prozess und Tod des Sokrates" sowie "Xanthippe - Mythos und Motiv".

Auch Nicht-Historiker erinnern sich vom Schulunterricht her an verschiedene Elemente der griechisch-antiken Kultur und Politik, etwa die Demokratie, die nur von den Männern, und zwar ausschließlich der Minderheit der Freien unter ihnen!, gelebt werden konnte, die Päderastie (Knabenliebe) und philosophische Schulen, unter denen zur Zeit des Sokrates die Sophisten dominierten.

Die Frauen waren von der Kultur und Politik bekanntlich weitestgehend ausgeschlossen; sie hüteten den Haushalt und den guten Ruf ihrer Familie. Doch selbstverständlich gab es Ausnahmen, nicht zuletzt die Hetären.

Der Autor schildert sehr anschaulich, wie sich das Leben für Männer und für Frauen des damaligen Griechenlands gestaltete, wobei er mehrmals betont, dass wir als "Heutige" uns vor Verurteilungen und Vorurteilen hüten sollten, da zum Beispiel keineswegs gesagt ist, dass sich die Frau der griechischen Antike vom heimischen Haushalt weg in die Öffentlichkeit sehnte, sondern im Gegenteil durchaus von ihren Aufgaben und ihrer Verantwortung ausgefüllt sein konnte, zumal sie nichts Anderes kannte.

Auch legt er anhand der Quellen und anhand anderer Beispiele dar, dass Xanthippe wohl keineswegs der "Hausdrachen" war, zu dem sie schon rasch in Sokrates-Biografien gemacht wurde, eine Diffamierung, deren Ausmaß sich im Verlauf der Jahrhunderte noch steigerte; sondern im Gegenteil eine verantwortlich handelnde, der Tradition verpflichtete Frau und gute Mutter. Aufgrund der dürftigen und nicht immer sehr aussagestarken Quellen muss es jedoch oft bei Mutmaßungen bleiben. Dennoch kristallisiert sich ein völlig neues Xanthippe-Bild heraus.

Der an der Antike interessierte Leser hat aber auch die Möglichkeit, anhand dieses Buchs seine Kenntnisse zur Politik, Wirtschaft, Philosophie und Kultur des 5. Jahrhunderts v. Chr. aufzufrischen und zu vertiefen - dies auf sehr unterhaltsame und anschauliche Weise. Weithmann liegt es am Herzen, seine Leser einen möglichst unverbauten, unvoreingenommenen Blick auf die Faktenlage trainieren zu lassen. Das Konzept ist stimmig bis auf den Umstand, dass die Biografie der Protagonisten recht verstümmelt wirkt, wird sie doch jeweils passend stückweise in den jeweiligen Themenabschnitt geschoben, und so entstehen teilweise etwas irritierende Brüche im Lesefluss.

Spannende und sehr informative Lektüre, die Nicht-Historikern einen tiefen und weiten Einblick in die Geschlechterrollen und die Kultur von Sokrates' und Xanthippes Griechenland bietet: die Antike, wie man sie mit all diesen Facetten nicht kennt.

(Regina Károlyi; 04/2012)


Michael Weithmann: "Xanthippe und Sokrates. Frauen und Männer im alten Athen"
Primus Verlag, 2010. 203 Seiten.
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