César Aira: "Der Literaturkongress"


Ein kleines Meisterwerk

Der 1949 im argentinischen Coronel Pringles geborene César Aira ist, auch wenn das anhand der im deutschsprachigen Raum erschienenen oder gar derzeit erhältlichen Bücher nicht offensichtlich ist, einer der ideenreichsten und produktivsten Schriftsteller überhaupt. Von vielen bedeutenden Kollegen, wie Roberto Bolaño und Carlos Fuentes hochgelobt, konnten seine Bücher den ihnen gebührenden Erfolg noch nicht verbuchen. Insgesamt knapp an die fünfzig, (dreißig behauptet der Einband dieser Ausgabe), Romane hat er geschrieben, die derzeit lieferbare Zahl kann an einer Hand abgezählt werden.

Ein Grund dafür mag sein, dass César Aira literarische Texte schreibt, die, wenn überhaupt, am ehesten dem surrealen Realismus zugerechnet werden könnten. Seine Texte folgen aberwitzigen formellen Konzepten oder doppelbödigen Handlungssträngen und scheuen auch nicht davor zurück, auf realistischer Ebene als absolut unglaubwürdig dazustehen.

Ein weiterer Grund ist aber auch der, dass man sich, nicht immer, aber oft, am Ende eines César Aira-Romans die Frage stellt: Was wollte mir der Autor hiermit mitteilen? Wenn man darauf nicht unbedingt eine definitive Antwort haben muss, steht dem Genuss der Kunst von César Aira nichts mehr im Weg.

"Der Literaturkongress" ist, wie bereits andere Romane des Autors, ein mehr oder weniger abstraktes Textkunstwerk.
Im Prolog erfährt der Leser, wie ein exzentrischer Wissenschaftler und fruchtbarer Schriftsteller, der auch als Übersetzer tätig ist, auf dem Weg zu einem Literaturkongress in Venezuela durch unerklärbares Geschick einen alten Schatz, der "eines der Wunder der Neuen Welt, Erbstück von namenlosen Piraten, touristische Attraktion und ungelöstes Rätsel" sein soll, hebt und somit für sich beansprucht. Er ist plötzlich reich, was ihm natürlich gut tut, da er ein Jahr finanzieller Sorgen hinter sich hat. Die Verlagsbranche ist im Niedergang, und sein "durch unangreifbare künstlerische Integrität geprägtes literarisches Schaffen" hatte ihm bisher weder die gebührende Anerkennung, noch finanziellen Gewinn bereitet.

Und so macht er sich auf zum Literaturkongress in einem entlegenen Tal in Venezuela, die Taschen prall gefüllt mit Geld.

Den Literaturkongress verschmäht der Protagonist, der, wie sich herausstellt, César Aira heißt; er genießt die Tage am Hotelschwimmbecken, sinniert über die Perfektion verschiedener Körper und lässt den Leser nebenbei wissen, dass er eigentlich an der Weltherrschaft interessiert sei, zuerst aber, und im Hinblick auf die angestrebte Herrschaft, seine bisherigen Erfolge im Klonen von Insekten und Tieren am Versuchsobjekt Mensch ausprobieren möchte. Ein berühmter Mann, ein Genie soll es sein, denkt er. Einige Momente nach der Entscheidung sieht er bereits den Auserwählten vor sich: Carlos Fuentes.

Er schickt eine Klonwespe aus, um eine geeignete Zelle von Fuentes zu ergattern, und damit nimmt das Unglück seinen Lauf.

Ein am Flughafen der Stadt inszeniertes Schauspiel des Autors mit einer etwas absurden Abhandlung der Adam-und-Eva-Thematik, eine aufkeimende Romanze mit der hübschen Nelly, die über das Tal hereinbrechende Tragödie, ein ebenso surreal-absurder Rettungsversuch und ein definitiv überraschendes, originelle Ende sind die weiteren Zutaten dieses überaus unterhaltenden literarischen Spiels, das César Aira hier seinen Lesern bietet. Spannend auch, wie der Autor immer wieder die Perspektiven wechselt und auf die verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten des Texts hinweist (der ja im Original gar nicht übersetzt ist). Diesen Hinweisen nachzugehen ist auch sehr lohnenswert, weil man dadurch viele kleine versteckte Botschaften und Hinweise, aber ebenso Sackgassen findet.

Trockene, knappe und auch witzige Prosa wechselt mit grandiosen Sätzen ab; wer Zuneigung für Borges und Vian empfindet, wird auch hier am Ende des nur 108 Seiten kurzen aber dennoch abwechslungsreichen Romans zufrieden auf seine Kosten kommen. Die Übersetzung von Klaus Laabs ist treffend gelungen und äußerst überzeugend.

Augenzwinkernde Hommage an den Literaturbetrieb, sehr viel Selbstironie, ein blendendes Gespür für das Absurde, eine Hauch von Eros, eine grandiose formale Konstruktion und 108 Seiten literarisch höchstwertiger Unterhaltung: All das ist "Der Literaturkongress".

Bleibt zu hoffen, dass sich der Ullstein Verlag weiterhin den Werken César Airas widmet und den deutschsprachigen Lesern diesen wunderbaren Autor zugänglich macht.
Absolute Empfehlung.

(Roland Freisitzer; 10/2012)


César Aira: "Der Literaturkongress"
(Originaltitel "El congreso de literatura")
Aus dem Argentinischen von Klaus Laabs.
Ullstein, 2012. 108 Seiten.
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