Michael Wallner: "Kälps Himmelfahrt"
In seinem Roman "Kälps
Himmelfahrt" begibt sich der Schriftsteller Michael Wallner auf eine
Erkundungstour in männliche Seelenlandschaften.
Sein Protagonist ist Kälp, einfach Kälp. Er ist Veterinärmediziner und
hat sich vor Jahren durch die Vermittlung seines Bruders in die "Höhe"
begeben. So nennt er selbst das kleine verschneite Bergdorf im
Süddeutschen (es ist wohl der Schwarzwald, denn an einer Stelle kann er
von der Höhe aus den Rhein sehen), das geprägt ist von der
Landwirtschaft, und dessen Bewohner sich vor allem im Sommer durch die
Vermietung von Ferienwohnungen noch ein Zubrot verdienen.
Oberhalb des Dorfes, ganz in der "Höhe" befindet sich ein
Benediktinerkloster, dessen Abt vor einiger Zeit gestorben ist. Mit dem
Subprior Daniel, der das Kloster durch seine ganz speziellen Brände
wirtschaftlich auf die Höhe gebracht hat, versteht sich Kälp sehr gut,
und obwohl er eigentlich nicht glaubt, zieht es ihn immer wieder ins
Kloster, um dort Ruhe zu finden und innere Orientierung. Zeitweise
spielt er auch mit dem Gedanken, sein weiteres Leben dort zu verbringen,
doch Daniel rät ihm ab. Er sieht schon früh, welche Sehnsüchte
Kälp umtreiben, lange bevor er selbst sich ihrer bewusst wird.
Kälps Bruder, ein Theologe, der mit einen einzigen Buch mit dem Titel
"Intuitives Suchen" weltberühmt geworden ist, ist nach seinen
ausgedehnten Vortragsreisen durch zahllose Länder der Welt immer wieder
Gast im
Kloster und verführt in den Betten des Gastshofes unzählige
Frauen, ohne ihnen jedoch jemals wirklich nahe zu kommen. Später, als
Kälp selbst in seiner Entwicklung weiter gekommen ist, stellt er einen
möglichen Zusammenhang her:
"Er hatte Angst vor ihnen, verstand Kälp plötzlich. Mein Bruder
füllte Seite und Seite mit der Brillanz seines Geistes und fürchtete
sich gleichzeitig vor dem Gegenstand seiner Betrachtung. Er nannte die
Frau Göttin und meinte Hexe
und verfluchte sie in einem. Seine Göttin war nicht die bedingungslos
liebende Mutter, sondern die grausam Fordernde, die Autorität. Vor ihr
war er ins Kloster geflohen, in die Gleichheit der Männerwelt. Erst
wenn seine Angst nachließ, war er der Göttin wieder hinterher gejagt,
ihrer Fährte wie ein Hexenjäger gefolgt und hatte viele zur Strecke
gebracht. Je mehr Frauen er in den Bärenhof schleppte, desto mutiger
war er sich vorgekommen."
Der Bruder ist seit einiger Zeit tot, gestorben in einem tropischen Land
und begraben auf dem Klosterfriedhof. Zurückgelassen hat er eine
Verlobte namens Una, mit der sich Kälp sehr gut versteht, und die
offenbar mehr für ihn empfindet, als er merkt.
Das ist sozusagen die Vorgeschichte. Die eigentliche Geschichte beginnt
mit einem Unfall, bei dem der Dorfbewohner Nurbrecht sich zu Tode stürzt
und in den Kälp verwickelt ist. Um dessen Sohn Manfred, der sich
wiederum mit Una gut versteht, zu schützen, verschweigt Kälp die
Wahrheit über den Vorgang. Selbst Daniel erzählt er bei einer
persönlichen Beichte nicht alles. Das bringt ihn bis ins
Untersuchungsgefängnis, bevor sich am Ende alles aufklärt.
In einem parallelen Strang wird von "Kälps Himmelfahrt" erzählt. Damit
ist die Beziehung zu einer Touristin aus Wolfsburg gemeint, Birgit, die
sich mit ihrer Tochter über Weihnachten und Neujahr beim
Nachbarbauern einquartiert hat. Für Birgit ist Kälp ein willkommener
Sexualpartner, während er sich schon Bilder ausmalt, wie Birgit ihre
Wolfsburger Autowerkstatt in sein Dorf in der Höhe verlegt.
Kälp muss erfahren, dass sie seine ernsten Gefühle nicht erwidert, und
es braucht einige Zeit, bis nicht nur die Wahrheit über Nurbrechts Tod
und Kälps Rolle dabei ans Licht kommen, sondern auch die Wahrheit über
seine Gefühle und die, die ihm schon lange von einer anderen Frau
entgegengebracht werden.
"Kälps Himmelfahrt" ist ein vielschichtiger, einfühlsam geschriebener
Roman über männliche Identität und Einsamkeit, ein Roman, in dem
es um Liebe und das Finden eines Ortes, an dem man gerne lebt,
geht.
Ein beeindruckendes Buch, das eine Nominierung zum "Deutschen Buchpreis
2011" verdient hätte.
(Winfried Stanzick; 01/2011)
Michael
Wallner: "Kälps Himmelfahrt"
Luchterhand Literaturverlag, 2011. 223 Seiten.
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Michael Wallner wurde 1958 in Graz geboren und hat als Schauspieler und Regisseur gearbeitet Er lebt seit 1997 als Roman- und Drehbuchautor in Berlin. Von ihm sind u.A. die Romane "Manhattan fliegt" (2000), "Cliehms Begabung" (2000) und "Finale" (2003) erschienen. International bekannt wurde er durch den bis heute in 24 Länder verkauften Luchterhand-Erfolgstitel "April in Paris" (2006). Zuletzt erschien von Michael Wallner bei Luchterhand der Roman "Zwischen den Gezeiten" (2007). "Die Zeit des Skorpions", sein erstes Jugendbuch, wurde von Presse und Publikum begeistert aufgenommen.