Eric-Emmanuel Schmitt: "Die Träumerin von Ostende"


In fünf Erzählungen zeigt Eric Emmanuel Schmitt, dass unsere Träume den Zauber des Lebens ausmachen

In der Titelgeschichte besucht das Alter Ego des Autors Ostende, um dort ein wenig Ruhe nach einem turbulenten Beziehungsabbruch zu finden. Seine Gastgeberin, Emma Van A., und ihre Nichte Gerda nehmen ihn zuvorkommend auf, auch wenn es in dem Haus ein paar eigentümliche Besonderheiten gibt, wie etwa die hauseigene Bibliothek und die Tatsache, dass die Hausherrin nur Literatur bereits verstorbener Autorinnen und Autoren schätzt, die von der Literaturwissenschaft als weltliterarisch wichtig eingestuft worden sind. So kennt sie das Werk ihres Gastes nicht und ist auch nicht sonderlich daran interessiert.

Nach einem schweren Schlaganfall erzählt die im Rollstuhl sitzende alte Dame dem Autor von ihrem Leben, damit er dieses eventuell einmal in eigenes Schreiben umsetzen kann. Dieses Leben erweist sich als sehr abenteuerlich, beginnend in den französischen Kolonien und endend mit einer geheimen Beziehung zu einem nicht näher genannten gekrönten Haupt Europas. Wenig später berichtet allerdings die Nichte, dass dies alles gar nicht so sein könne, da die Tante bereits seit ihrem fünften Lebensjahr im Rollstuhl sitzen soll. Doch dann hören die beiden weitere Dinge ...

In einer anderen Erzählung wird ein ehelicher Mordfall beschrieben, der Weg dahin und der Weg davon weg, wobei verletzte Gefühle und Wahrnehmungsprobleme auf verschiedenen Ebenen eine gewisse Rolle spielen.

In einer weiteren Geschichte wird von der Krankenschwester Stéphanie berichtet, in die sich ein gutaussehender Querschnittgelähmter verliebt, der nach einem Autounfall nicht nur bewegungsunfähig, sondern zeitweise auch blind ist. Er verliebt sich darum in ihren Duft und in ihre Stimme; eine Entwicklung, welche für die bis dahin von der Männerwelt vollkommen unbeachtete und in ihren eigenen Augen extrem unansehnliche 25-Jährige sehr verwirrend ist und sodann ihr gesamtes Leben umkrempelt.

Eine Erzählung beschäftigt sich mit literarischer Arroganz, wenn man so möchte, als ein Philosophieprofessor in einem Urlaub mit seiner Schwester erstmals der historisch orientierten Thriller-Literatur à la Dan Brown begegnet und nach einem kurzen Studium des Klappentexts und der Suche nach einer bestimmten Textstelle nicht mehr davon loskommt.

Die letzte Geschichte geht wieder vom erzählerischen Alter Ego des Autors aus: Beschrieben wird, wie ihm bei Besuchen bei seinem deutschsprachigen Verlagshaus Amman in Zürich eine Frau auffällt, die bereits seit mehr als fünfzehn Jahren wohl jeden Tag mit einem Blumenstrauß auf dem Bahnsteig steht, um dort auf jemanden zu warten. Bei Nachforschungen betreffend "la femme au bouquet" können weder er noch seine in Zürich sitzenden Kollaborateure allzuviel herausbekommen, und so bleiben sie - und der Leser - am Ende mit einem ungewöhnlichen kleinen Rätsel zurück, in das man allerlei Geschichten packen könnte.

Fazit:
Der Band bietet recht unterschiedliche, aber immer ansprechende und originelle Geschichten, die aufgrund Eric-Emmanuel Schmitts Sprache auch noch eine weitere Tiefe sowie eine Menge Humor erhalten. Es handelt sich sicherlich um ein schöne Lesesammlung für Freunde der neueren belgischen Literatur und etwas, woran sich die deutschsprachige Leserschaft des Autors in der  Übersetzung erfreuen kann.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 08/2011)


Eric-Emmanuel Schmitt: "Die Träumerin von Ostende"
(Originaltitel "
La Rêveuse d’Ostende")
Gebundene Ausgabe.
S. Fischer, 2011. 288 Seiten.
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Hörbuch:
DAV, 2011.
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