Martin Mosebach: "Als das Reisen noch geholfen hat"
Von Büchern und Orten
Was ist eine Reise?
Philosophische, literarische und geografische Erkundungen von Büchern
und Orten.
"Was ist eine Reise?" Mit dieser Frage beginnt Peter Mosebach den
in seinem Buch zuletzt platzierten Reiseessay. Die "Wallfahrt nach
Vierzehnheiligen" basiert auf einem leicht exzentrischen Einfall des
Studenten Mosebach anlässlich einer bestandenen Prüfung. Diese
Wanderung, die ihn über etliche Tage quer durch die Landschaft führt, in
Dörfer und Gasthäuser, zu Kirchen und Klöstern, durch Wälder und auf
beschwerliche kleine Gipfel, wird für ihn fortan zum Inbegriff des
Reisens. Auch wenn sie in unmittelbarer Nähe von seiner Heimatstadt
Frankfurt stattfindet, so beinhaltet sie doch alle Ingredienzien einer
Philosophie des Reisens: frühe Aufbrüche, ein kleines improvisiertes
Gepäck, Umherirren in fremden Gegenden, seltsame Begegnungen, das
Verschwinden von Zeit und Ziel, wirkliche und vermeintliche Gefahren und
schließlich die Ernüchterung und Beruhigung der Rückkehr. Mit dieser
Triade von Aufbruch-Umherirren-Rückkehr als Kompass im Gepäck reist,
denkt und schreibt sich der Autor durch die Welt. Ein Teil seiner Essays
sind unter dem Titel "Als das Reisen noch geholfen hat" in einem Band
zusammengefasst worden,
Martin Mosebach, 1951 geboren, wurde oft gelobt und geehrt für seine
Kunst als Essayist und Romancier. Als er 2007 den renommierten
"Georg-Büchner-Preis" zugesprochen bekam, wurde er in der "F.A.Z." von
Hubert Spiegel als genuiner Erzähler und als Essayist von ungewöhnlicher
stilistischer und intellektueller Brillanz gepriesen. Martin Mosebach
ist Erzähler, Romancier und Essayist, aber auch "der Grandseigneur
in der Apfelweinkneipe, der orthodoxe Katholik und unorthodoxe Kenner
der Künste, der konservative Anarch und hemmungslose Bewahrer von Stil
und Form". Wie diese Mosebachschen Kenntnisse und Fähigkeiten sich
im Denken und Schreiben manifestieren können, lässt sich wunderbar in
diesem Essayband genussvoll nachvollziehen. Er tritt uns ja nicht nur
als Schriftsteller und Reisender entgegen, sondern gleichzeitig auch als
Historiker, Kulturforscher und Literaturwissenschaftler. Im Schreiben
fügt er dann alle diese Teile zu einem verführerischen Ganzen zusammen.
Wohl nicht ganz zufällig wählte Mosebach seinen Titel "Als das
Reisen noch geholfen hat" als eine Variation von
Peter
Handkes "Als das Wünschen noch geholfen hat". Reisen und Wünschen,
gehören sie nicht zusammen? Mit dem Ausruf "Hände weg vom Status
quo!" führt uns Mosebach von Frankfurt
nach Samarkand, von Kairo in den Rheingau, begleitet uns an Bord eines
Kreuzschiffes und in die Tiefen der katholischen Kirche. Unter dem Titel
"Pax in bello" wiederum werden wir nach Havanna
entführt, nach Korea
und Sarajevo, und mit Betrachtungen zum deutschen Bundespräsidenten und
zur Gattung des Romans als Geschichtsschreibung konfrontiert. Mosebach
lässt gerne den Leser an seinem intellektuellen Universum teilhaben und
führt gleichzeitig die Kunst des Essays als Kunst des freien Denkens
vor, wo eben Reisen und Wünschen noch helfen.
Die in diesem Band versammelten Reiseberichte, kulturhistorischen
Studien und literaturwissenschaftlichen Analysen sind in Kapiteln
gebündelt. Zwar nicht unbedingt nach nachvollziehbaren Kriterien, aber
sie sind ja alle Nahrung für Gedanken, und dem Leser steht es frei, sich
nach eigener Lust und Laune am reichen Angebot zu bedienen. Ein
Sammelband wie dieser hat ja den unschätzbaren Vorteil, dass Texte, die
alle schon einmal verstreut in diversen Zeitschriften und Magazinen
publiziert wurden, nun an einem Ort zusammengefasst sind und
gleichzeitig eine neue Einheit bilden.
Ob Mosebach über die Kunst des Bogenschießens oder das belagerte
Sarajevo schreibt, im Hintergrund wird immer seine Kunst sichtbar,
Alltägliches und Gewohntes in seiner ungeahnten und unentdeckten
Vielfalt aufzuspüren und den Lesern zu zeigen. Dies mag einer der Gründe
sein, weshalb gerade diese kleinen erzählerischen Meisterstücke über
unsere nähere oder weitere Umgebung wie Frankfurt oder den Rheingau oder
die analytischen Literaturkleinode über Doderer
und Kempowski
die Fähigkeit besitzen, ihre Leser besonders anzusprechen. Wer Reisen
als Erkundungen fremder Gedankenwelten und als Wahrnehmung der uns
umgebenden Welt schätzt, dem ist Mosebach wirklich zu empfehlen. Er
schärft unsere Sinne und unser Denken. So wie wir es uns immer
vornehmen. Der Schriftsteller wird hier zum Schöpfer einer für uns neuen
Welt. An einer Stelle erinnert Mosebach an Goethe und seine Leser, die "eine
Landschaft mit besonderer Liebe betrachteten, wenn Goethe sie
beschrieben hatte, als habe der Olympier wie ein rechter Gottvater
durch sein Wort diese Landschaft erst erschaffen." Uns ergeht es
nicht anders.
(Brigitte Lichtenberger-Fenz; 12/2011)
Martin
Mosebach: "Als das Reisen noch geholfen hat. Von Büchern und
Orten"
Carl Hanser Verlag, 2011. 496 Seiten.
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Weitere Buchtipps:
François Fejtő: "Reise nach Gestern"
"Reise nach Gestern" führt den Leser in eine untergegangene Welt. Der
Ich-Erzähler durchmisst in den frühen 1930er-Jahren den k. und
k.-geprägten Raum Südosteuropas, reist von
Ungarn bis Kroatien und erkundet die dalmatinische
Küstenlandschaft. Dabei zeichnet er das Bild einer Gesellschaft in
massivem Wandel. Die Orientierungs- und Haltlosigkeit der
politisch-gesellschaftlichen Umwälzungen spiegelt sich in einer inneren
Unruhe des Erzählers: Er fragt und forscht, beschäftigt sich mit den
Mythen und Geschichten seiner Vorfahren und seiner Kindheit und will
sich so seiner eigenen Haltung, seiner eigenen Identität versichern. In
der Ablehnung starrer Glaubenssysteme und Welterklärungsmodelle tritt
ein tiefes Streben nach dem richtigen, wahren Leben hervor, das der
junge Schriftsteller in Auseinandersetzung mit der Literatur des Landes,
der politischen Hoffnungen und der heimatlichen Landschaft auslotet und
zu finden hofft.
Im Jahr 1936 erschien Fejtős Text erstmals in Ungarn; für die deutsche
Ausgabe wurde er von der Herausgeberin Ágnes Relle um Fotografien und
dokumentarische Kommentare erweitert.
François Fejtő (eigentlich Ferenc Fischel, 1909-2008), war ein
französischer Historiker, Journalist und Publizist ungarischer Herkunft.
Ab 1938 lebte er in
Frankreich und genoss als führender Experte für die Habsburgermonarchie
und den osteuropäischen Totalitarismus internationale Anerkennung.
(Matthes & Seitz)
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Friedrich Kröhnke: "Nach Asmara!"
Reisen, ohne wirklich anzukommen, einmal um die Welt und darüber
hinaus. Aber Frick ist kein geistloser Tourist, eher ein ruheloser
Melancholiker, ein Oblomow mit Koffer und für die Länge eines Romans
ein wunderbarer Reisegefährte.
Ans Ende der Welt reisen, um einen neuen Anfang zu machen? Nach Asmara
fliegt Friedrich Kröhnkes unheroischer Held namens Frick. Auch wenn er
in der seltsam europäischen Moderne von Eritreas Hauptstadt Erlebnisse
sanfter Erleuchtung hat, so bleibt er am Ende doch der nervöse
Melancholiker, der er immer war. Das Leben und die Lust schillern in
Friedrich Kröhnkes Roman "Nach Asmara!", der Geschichte eines Mannes,
der das Glück unter den goldenen Pagoden Rangoons sucht, unter dem
Chimborazo und am Fischmarkt von Mutrah. Quer durch die Welt führt
dieses Buch, und auch knapp am Tod vorbei. Eine Operation hat Frick
nur mit Not überlebt. Sich selbst und einem Leidensgenossen namens
Burmeister verspricht er, noch tiefer ins Leben einzutauchen. Mit
zarter Lakonie entwirft "Nach Asmara!" das Porträt eines
unbürgerlichen Reisenden, den es von Berlin über Bali,
Indien und Japan von Ort zu Ort treibt, eines Oblomow mit Koffer.
Wenn diese paradoxe Figur in der Weltliteratur bisher noch nicht
erfunden war, hier ist sie! (Jung und Jung)
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Hansjörg Struck, Wolfgang Bay (Hrsg.):
"Literarische Entdeckungsreisen. Vorfahren - Nachfahrten -
Revisionen"
Ein Jahrhundert nachdem mit der
"Eroberung" von Nord- und Südpol die Geschichte der klassischen
Entdeckungsreisen einen Abschluss gefunden hat, ist diese Geschichte
mit ihren mehr oder weniger bekannten Protagonisten zu einem der
produktivsten Themen der Literatur, aber auch des Films geworden.
Gerade im deutschsprachigen Raum haben in den letzten Jahren eine
ganze Reihe von Texten die Geschichten der großen Expeditionen noch
einmal erzählt und ihre Helden noch einmal auf den Weg geschickt.
Der Band spürt dieser Produktivität nach und diskutiert das
fantasmatische, politische und ästhetisch-mediale Verhältnis der
aktuellen Reinszenierungen zu ihren Vorläufern aus der Hochphase der
europäischen Expansion. (Böhlau Köln)
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Jan Robert
Weber: "Ästhetik der Entschleunigung. Ernst Jüngers
Reisetagebücher"
Ernst
Jünger hat ein umfängliches Reisewerk hinterlassen. Im Laufe
seines Lebens unternahm er mehr als 80 Reisen, etliche auch an
exotische Orte in Übersee. Ausgehend von größtenteils unbekannten
Dokumenten des Nachlasses - authentischen Reisenotizen und
unveröffentlichten Briefen -, fügt Weber der Biografie dieses
Jahrhundertmenschen das bislang ungeschriebene Kapitel eines
intensiven Reiselebens hinzu.
Jünger reflektierte die Moderne als Beschleunigungsgeschichte und
dokumentierte die um (Selbst-)Bewahrung bemühten Versuche, die
katastrophalen Umbrüche, den permanenten Wandel des 20.
Jahrhunderts literarisch zu bewältigen. Ernst Jüngers "Ästhetik
der Entschleunigung" liefert damit nicht nur eine Ästhetik des
Tourismus und der literarischen Moderne, sondern hält auch
Verhaltensregeln für eine Epoche bereit, in der das
Zeit-für-sich-Haben immer weniger möglich erscheint. (Matthes
& Seitz)
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Matthew
Battles: "Die Welt der Bücher. Eine Geschichte der Bibliothek“
Eine
einzigartige Geschichte über
die
Leidenschaft des Büchersammelns. Ein Muss für jeden
Bücherfreund!
Matthew Battles sucht nach jenen Momenten, in denen Leser,
Schriftsteller und Bibliothekare nach der eigentlichen Bedeutung
der Bibliothek fragen. Er berichtet von den entscheidenden
Wendepunkten in der über dreitausendjährigen wechselhaften
Geschichte des Büchersammelns. Eine Zeitreise durch Paläste und
Ruinen des Wissens - von der Bibliothek in Alexandria über
Klosterzellen bis zur "British Library", von
Privatbibliotheken und sozialistischen Lesesälen bis ins
Informationszeitalter. (Artemis & Winkler)
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Friedrich
Christian
Delius: "Als die Bücher noch geholfen haben.
Biografische Skizzen"
Was
war der verrückteste Moment in der Literaturgeschichte seit 1945?
Warum verliebte sich ein junger deutscher Autor in Susan
Sontag? Wie veränderten die Schüsse der sechziger Jahre die
Sprache? Wie spielte Rudi Dutschke Fußball? Warum klagte ein
Konzern wie "Siemens" gegen eine Satire? Wie wurde Literatur durch
die Berliner Mauer geschmuggelt?
Seit Jahrzehnten ist Friedrich Christian Delius Akteur und
Beobachter des deutschen Geisteslebens. Schon mit einundzwanzig
las er vor der "Gruppe
47", wurde wenige Jahre später Lektor bei "Wagenbach", dann
bei "Rotbuch". Er erlebte Sternstunden und Tiefpunkte der Linken
sowie ihre Zerrissenheit angesichts des beginnenden RAF-Terrors.
Mit
seinen Romanen wurde er zum poetischen Chronisten deutscher
Zustände - wobei er die Kunst stets gegen die Politik verteidigte.
In seinem Erinnerungsband liefert Delius bestechende Deutungen der
tiefen politischen Spaltungen von den Sechzigern bis zur
Wendezeit, zeichnet Porträts von Weggefährten und Autoren wie Wolf
Biermann, Heiner Müller oder Günter
Kunert, Nicolas Born, Thomas Brasch oder Herta
Müller und spricht über das Glück der Literatur. Ein ebenso
persönliches wie eindrucksvolles Zeugnis einer Epoche. (Rowohlt
Berlin)
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