Silvina Ocampo, Adolfo Bioy Casares: "Der Hass der Liebenden"


Mord in einem abgelegenen Hotel an der argentinischen Atlantikküste

"Der Hass der Liebenden" ist der einzige gemeinsame Roman des schillernden argentinischen Schriftstellerehepaars Silvina Ocampo und Adolfo Bioy Casares.
Der in den 1930er-Jahren entstandene Kriminalroman ist ein Musterbeispiel der damals noch jungen Gattung des Kriminalromans. Ob Silvina Ocampo und Adolfo Bioy Casares Agatha Christies ab 1920 veröffentlichte Romane mit Hercule Poirot als Protagonisten zum Zeitpunkt der Entstehung von "Der Hass der Liebenden" kannten, sei dahingestellt, der Protagonist dieses Romans könnte jedoch Hercule Poirots argentinischer Zwillingsbruder sein.

Abgesehen davon weist dieser Roman eine weitere Ähnlichkeit mit Agatha Christies Romanen auf. Eine in sich geschlossene Gesellschaft, die in einem Hotel zwar nicht eingeschneit, aber durch einen Sandsturm abgeschnitten die Nachwirkungen eines Mordes erlebt. Ocampo und Casares tauchen die Krimihandlung jedoch in eine äußerst wirksame surrealistische Tinktur und erreichen so, dass die Konzentration auf den kriminalistischen Verlauf fast zur Nebensache wird.

Zum Personal dieses Romans gehören der misanthropische Dr. Humbero Huberman und die Schwestern Emilia und Mary, die eine Musikliebhaberin, die andere Krimiübersetzerin. Auch die unterschiedlichen männlichen Begleiter der Schwestern sind locker in das Geschehen verwickelt, der eine, Dr. Cornejo, der freundliche Gesichtszüge und immerhin profundes Wissen über Meteorologie hat, und der andere, ein eher junger und dunkelhäutiger, in seiner Ausdrucksweise und Erscheinung vulgär, der natürlich nicht besonders geistreich auf Dr. Huberman wirkt.
Auch ein mysteriöser Junge, Miguel, ist mit von der Partie.
Das Hotel wird von Hubermans Vetter Esteban und seiner Frau Andrea geführt.

Das Anwesen selbst ist ein im Sand versinkendes Gebäude, dessen Fenster sich durch die von außen angewehten Sandmassen nicht mehr öffnen lassen und mit einem Kellergeschoss, das wie eine Art Gruselkammer vom Feinsten scheint.

"Wir waren in diesem Haus eingeschlossen wie in einem Schiff am Meeresboden oder, genauer gesagt, wie in einem U-Boot, das sich in den Grund gebohrt hat. Ich hatte das Gefühl, die Luft verringere sich auf beängstigende Weise. Überall fühlte ich mich derart unwohl, dass es im Zimmer der Toten auch nicht schlimmer sein konnte."

Knapp vor dem Mord erleben alle Hotelgäste ein surreal-absurdes Abendessen, das darin gipfelt, dass Mary Emilia gegen ihren Willen zum Musizieren zwingt. Mit bewusst dramatischer Geste inszenieren Ocampo und Casares in der Mordnacht einen sich permanent steigernden Sturm, der von gegen die Wände peitschendem Regen begleitet wird.
Am Ende des Sturms steht der lapidar formulierte Satz: "Am nächsten Morgen war Mary tot."

Nun verschwindet der somit als verdächtig geltende Miguel, und das Duo Raimundo Aubry, der Kommissar und Doktor Cecilio Montes, der Polizeiarzt, betritt die Szene. Interessanterweise hat das Duo Aubry - Montes keine Probleme, das Hotel zu erreichen.
Aus dem Duo wird mit Dr. Huberman rasch ein Trio, das sich in endlos scheinenden, durch viel Essen und Trinken begleiteten Gesprächen dem Versuch widmet, des Rätsels Lösung zu finden.

"Der Hass der Liebenden" ist ein Kriminalroman der vornehmen Haltung, der seine Charaktere oft steif, lachhaft und fast wie Karikaturen wirken lässt. Es ist auch ein Roman der Anspielungen, die großteils durch Fußnoten aufgeklärt werden. Und so ist man bald vom Absurden dieses Roman gefesselt, der sich des Kriminalromans locker bedient, um ein geistreiches, witziges Spiel mit den hier bereits klischeehaft lächerlichen Formeln einer noblen Mörderjagd zu inszenieren.
Über den Ausgang dieser Mörderjagd schweigt der Rezensent im Interesse der Leser bewusst ...

(Roland Freisitzer; 01/2011)


Silvina Ocampo, Adolfo Bioy Casares: "Der Hass der Liebenden"
(Originaltitel "Los que aman, odian")
Aus dem Spanischen von Petra Strien-Bourmer.
Mit Nachwort von Heinrich Steinfest.
Manesse, 2010. 189 Seiten.
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Silvina Ocampo (1903-1993) wurde in Buenos Aires geboren und wuchs in großbürgerlichen, wohlhabenden Verhältnissen auf. In Paris studierte sie bei Fernand Léger und Giorgio de Chirico und war zunächst Malerin, ehe sie begann, Erzählungen und Lyrik zu veröffentlichen. Sie gehörte zu den Mitarbeitern der von ihrer älteren Schwester Victoria gegründeten Zeitschrift "Sur" und erhielt für ihr Werk zahlreiche Preise, u.A. den "Premio Nacional".
1940 heiratete sie den elf Jahre jüngeren Adolfo Bioy Casares. Während ihrer dreiundfünfzig Jahre währenden Ehe avancierten die Beiden zu zwei der bedeutendsten Figuren der argentinischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Beide verband eine enge und literarisch fruchtbare Freundschaft mit Jorge Luis Borges.
"Der Hass der Liebenden" (1946) ist ihr einziges gemeinsames Werk.
Adolfo Bioy Casares wurde am 15. September 1914 geboren. Er wuchs in Buenos Aires in großbürgerlichen, wohlhabenden Verhältnissen auf. Bereits im Alter von fünfzehn Jahren veröffentlichte er sein erstes Buch und avancierte zu einem der großen Vertreter der fantastischen Literatur. Sein mehrfach preisgekröntes Werk umfasst Romane, Erzählungen und Filmdrehbücher, sein Roman "Morels Erfindung" (1940) machte ihn weltberühmt. Mit Jorge Luis Borges verband ihn eine lebenslange Freundschaft; gemeinsam mit ihm verfasste er auch mehrere Kriminalromane.
1990 erhielt Bioy Casares den bedeutendsten Literaturpreis der spanischsprachigen Welt, den "Premio Cervantes". Er starb 1999 in Buenos Aires.

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Etwas Merkwürdiges liegt über dieser Insel. Der Mann, der hier Zuflucht vor der Justiz gefunden hat, glaubt sich zunächst allein in dieser von Überschwemmungen heimgesuchten Einöde. Auf seinen Streifzügen findet er ein Schwimmbecken, eine Kapelle, ein Museum, überzogen vom Geruch der Verlassenheit. In den Kellerräumen des Museums aber stößt er auf riesige funktionsfähige Maschinen, deren Zweck er sich nicht erklären kann. Er hat keine Zeit, sich darüber zu wundern: Unversehens ist seine Insel voller Menschen. Wie sind sie unbemerkt hierher gekommen? Sind es seine Verfolger, die ihm auf der Spur sind? Er versteckt sich vor ihnen, auch vor der etwas zigeunerhaft schönen Frau, die Abend für Abend bei den Klippen auf das Meer schaut ... (Suhrkamp)
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Renate Kroll (Hrsg.): "Victoria Ocampo - Mein Leben ist mein Werk. Eine Biografie"
Die ungewöhnlichste Frau Lateinamerikas.
Victoria Ocampo war eine Frau vom Format Simone de Beauvoirs, eine der bedeutendsten intellektuellen Anstifterinnen des 20. Jahrhunderts, dazu viel besungene Muse und Vorkämpferin für die Emanzipation.
Als Victoria Ocampo 1979 im Alter von 89 Jahren starb, hinterließ sie ein Lebenswerk, das die Welt der Literatur und der Künste verändert hat. Sie gründete mit "Sur" eine fast fünfzig Jahre tonangebende Literaturzeitschrift, wurde selbst zur bedeutenden Essayistin, war Muse oder Freundin von Autoren wie Malraux und Thomas Mann, Tagore, Camus, Virginia Woolf, Stefan Zweig, von Gabriela Mistral oder Graf Keyserling. Und sie kämpfte mutig gegen den Peronismus, den Faschismus und für die Emanzipation.
Höchste Zeit, dieser einzigartigen Frau in eigenen und biografischen Texten nachzuspüren, die ihre Faszination begreiflich machen. (Aufbau Verlag)
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