Nagib Machfus: "Das junge Kairo"
Über
den Aufbruch der ägyptischen Jugend
Gegen Ende des britischen Kommissariats und kurz vor dem Beginn des
Zweiten Weltkriegs befindet sich die ägyptische Gesellschaft
im Umbruch. Die ersten Studentinnen besuchen die Universitäten
und sorgen sowohl bei den jungen Männern als auch bei den
Dozenten für einige Verwirrung. Politischer Islam und
sozialistische Ideen der Staatsstruktur treffen ebenfalls auf den Campi
aufeinander und auch auf eine besondere Form des Hedonismus, die gerade
in Umbruchzeiten immer wieder aufzukommen scheint. Einer dieser
Menschen, dessen Lebensmotto sich in dem oft von ihm verwendeten Wort
"Quatsch" ausdrückt, steht im Mittelpunkt dieses Romans.
Machgub Abdaldaim kommt aus einem kleinen Dorf und lebt eigentlich ganz
gut als Student von einem monatlichen Betrag, den ihm sein verarmter
Vater überweist. Sein Essen wird gebracht, seine
Wäsche gewaschen und auch sein Raum geputzt, sodass er sich
ganz auf dem Studium, den bevorstehenden Abschlussprüfungen
und den Freuden des studentischen Lebens widmen kann. Zusammen mit
seinen drei Freunden, Mamun Radwan, einem strenggläubigen
Muslim, Ali Taha, einem engagierten Sozialisten, und Achmad Badir, lebt
er eigentlich so in den Tag hinein, diskutiert die aktuellen
Veränderungen und gebraucht das Wort "Quatsch" ziemlich oft.
Doch dann erhält er die Nachricht, dass sein Vater schwer
erkrankt ist, weswegen er nicht mehr arbeiten kann, und muss bis zur
Abschlussprüfung mit einem deutlich geringeren Salär
zurechtkommen. Er zieht in eine kleinere Wohnung, erledigt seine
häuslichen Pflichten selbst, arbeitet nebenher für
den "Stern" und findet die gesamte Situation ziemlich ungerecht. Seine
Versuche, bei erfolgreichen Verwandten Kredit zu bekommen, scheitern an
seinen mangelnden Umgangsformen und an seinem Stolz.
Nach seinem Abschluss gelingt es ihm allerdings über einige
Umwege, eine sehr gut dotierte Stelle zu bekommen. Er muss
dafür nur die Geliebte eines einflussreichen Mannes heiraten
und diesem einmal die Woche Zugang zu ihr gewähren. Ohne
besondere Gewissensbisse lässt er sich auf diesen Handel ein
und arbeitet weiter intensiv, nun unterstützt von seiner nicht
minder ehrgeizigen Frau, an seinem weiteren gesellschaftlichen
Aufstieg, wobei er schnell feststellen muss, dass der Vorteil des
eingeschränkten Moralempfindens in den höheren
Sphären der Macht verpufft, weil es dort Menschen gibt, deren
Grenzen noch durchlässiger sind.
Parallel dazu sieht man immer wieder, wie sich die Freunde in ihren
jeweiligen Bereichen weiter entwickeln und damit auch den Fortschritt
verschiedener Institutionen der ägyptischen Gesellschaft der
damaligen Zeit.
Die Darstellung aus dem Blickwinkel des sich selbst als
vollständig amoralisch sehenden aber doch gelegentlich etwas
naiven Machgub ist interessant und lässt verschiedene
Strömungen des Denkens der damals jungen Ägypter sehr
nachvollziehbar erscheinen. Persönlich hätte der
Rezensent gern noch mehr über die Werdegänge der
Studienkollegen erfahren, aber auch so ist das Buch eine lesenswerte
Darstellung der jugendlichen Sicht der damaligen Zeit.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 09/2011)
Nagib
Machfus: "Das junge Kairo"
(Originaltitel "al-Qahira al-Jadida")
Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich.
Unionsverlag, 2011. 254 Seiten.
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Am
Rande zum Thema:
Roland Merk (Hrsg.): "Arabesken der Revolution. Zornige Tage in Tunis,
Kairo, ..."
Januar 2011: Das tunesische Volk steht auf, das ägyptische
schließt sich an. Wutentbrannt schmettern sie ihr
"Dégage! - Hau ab!" ins Gesicht ihrer Tyrannen und
kündigen die "Tage des Zorns" an. Kurze Zeit darauf das Aus
der Regierungschefs Zinedine Ben Ali und Hosni Mubarak. Die Angst vor
Unterdrückung und staatlicher Gewalt ist in Tunesien und
Ägypten gebrochen. Wie ein Fanal geht die Stimme des
berühmten tunesischen Dichters Abulqasim Ash-Shabbi aus der
Kolonialzeit durch die zornigen arabischen Gesellschaften der
Gegenwart:
"Wenn sich das Volk eines Tages um die Wahrheit versammelt, dann
zerbricht es den Lauf der Geschichte und bestimmt sein Geschick. Wehe
dir, Tyrann und Unterdrücker, fürchte den Morgen!"
Die Tunesier und Ägypter sind aufgestanden. Andere
Länder schließen sich an, die arabischen
Gesellschaften sind in Bewegung und kämpfen um Freiheit,
Selbstbestimmung und Demokratie.
Der Herausgeber und Autor Roland Merk lädt Schriftsteller,
Intellektuelle, Journalisten und Filmemacher aus Tunesien und
Ägypten ein, ihre Heimat im Umbruch in Augenschein zu nehmen.
Die bekannte und in zahlreiche Sprachen übersetzte
ägyptische Schriftstellerin und Intellektuelle Salwa Bakr und
die Erzählerin Howaida Saleh, die beide als einflussreiche
Stimmen die Tage auf dem Tahrir-Platz verbrachten, berichten in
literarischen Beiträgen von den Auswirkungen der Revolution
und von den Hoffnungen der Bevölkerung. In Reportagen,
Tagebuchaufzeichnungen und Erzählungen werfen die tunesischen
Schriftsteller und Filmemacher Ali Toumi Abassi, Amel Mokhtar, Lassaad
Dkhili, die die Tage der tunesischen Revolution hautnah miterlebten,
einen Blick auf die junge Demokratie und auf deren
gegenwärtige Probleme. Schließlich gehen der
palästinensische Schriftsteller Hasan Hamid, der algerische
Journalist Hakim Soltani und der bekannte "Neue israelische Historiker"
Ilan Pappe der Frage nach, wie diese epochalen Ereignisse ihre
Länder beeinflussen. Das Buch schließt ab mit einem
Beitrag Kathrin Lötschers zur Mediatisierung der arabischen
Revolutionen und mit einem Essay des Herausgebers über die
Doppelmoral des Westens und den Einfluss der arabischen Revolutionen
auf Europa. (Edition 8)
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Annette
Großbongardt, Norbert F. Pötzl (Hrsg.): "Die neue
arabische Welt. Geschichte und politischer Aufbruch"
Die arabische Welt ist im Umbruch. Nach Jahrhunderten der
Unterdrückung wagen die arabischen Völker die
Selbstbefreiung, fordern Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Aber wie
kam es, dass der Nahe Osten und Nordafrika so lange in
Perspektivlosigkeit verharrten? Dass trotz Rohstoffreichtums
die
Staaten dieser Region meist unproduktiv sind und die
Bevölkerung unter Armut und mangelnder Bildung leidet? Woran
lag es, dass der Islam, der im Mittelalter mit Macht und Wissen
glänzte, auf dem Weg in die Moderne gegenüber dem
aufstrebenden Europa immer mehr zurückfiel und
schließlich womöglich den Anschluss verpasste?
Gemeinsam mit renommierten Experten blicken "Spiegel"-Autoren auf die
bewegte Geschichte der arabischen
Welt. Dabei verbinden sie die
historische Analyse mit dem Blick auf die aktuellen Ereignisse zu einem
Porträt dieser Region im Umbruch. (DVA)
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Rainer
Hermann: "Die Golfstaaten. Wohin geht das neue Arabien?"
Die arabische Welt ist in Aufruhr: Umstürze, Konflikte und
Neuaufbrüche kennzeichnen seit Anfang 2011 das Leben in
Staaten wie Tunesien, Ägypten, Libyen und Syrien. Diese
"Arabellionen" des "alten Arabien" sind Resultat der Sehnsucht einer
ganzen Generation, die den gleichen Wohlstand, die gleichen Chancen und
die gleiche freiheitliche Gesellschaftsordnung erreichen will wie
westliche Demokratien. Das "neue Arabien" der Golfstaaten wie Dubai
oder Abu Dhabi hat in den letzten Jahrzehnten eine ganz andere
wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung genommen als die
stagnierenden und korrupten Gesellschaften und Regime im Zentrum der
alten arabischen Welt, mit Vorbildcharakter auch für deren
rebellierende Jugend.
Dort wachsen neue Städte, dort entsteht
eine neue Kultur. Rainer Hermann, "FAZ"-Korrespondent für die
arabische Welt, Islam- und Wirtschaftswissenschaftler, legt mit "Die
Golfstaaten. Wohin geht das neue Arabien?" eine kritische Analyse der
gegenwärtigen Lage in einer sich erneuernden arabischen Welt
vor, fragt nach Hintergründen und entwirft Prognosen.
Das Urteil Rainer Hermanns mag bei all dem medialen
Zukunftsenthusiasmus angesichts der Aufbrüche in Nordafrika
erstaunen, ist aber eine überlegte und kluge Voraussage, die
auf einer luziden Analyse des gegenwärtigen Zustands beruht:
Das alte Arabien holt zwar auf, und es wird sich erneuern. Aber der
Vorsprung des neuen Arabien bleibt. So ist "Die Golfstaaten. Wohin geht
das neue Arabien?" eine aufschlussreiche Bestandsaufnahme von einem
ausgewiesenen Kenner der arabischen Welt. (dtv)
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Michael
Lüders: "Tage des Zorns. Die arabische Revolution
verändert die Welt"
Erst Tunesien, dann Ägypten, schließlich Libyen:
Nach kurzer Zeit stand die ganze arabische Welt in Flammen. Und eine
erstaunte westliche Welt rieb sich die Augen. "Wenn die
Stunde da ist, und der wahre Stoff, so geht die Ansteckung mit
electrischer Schnelle über hunderte von Meilen",
beschrieb Jacob Burckhardt den Beginn jener Krisen, in denen sich die
Weltgeschichte zu verdichten pflegt.
Michael Lüders erklärt in diesem Buch, wie es zur
arabischen Revolution kommen konnte, warum sie sich wie ein Lauffeuer
ausbreitete und was sie für uns in Europa bedeutet. Er liefert
eine packende Erzählung von Menschen, die der Geschichte eine
neue Richtung zu geben versuchen und erklärt so anschaulich
und prägnant, wie es nur Wenige können, die
Verhältnisse in der arabischen Welt. Bisher glaubte der
Westen, sich mit Hilfe von Despoten Stabilität und Sicherheit
im Nahen Osten erkaufen zu können. Jetzt wird er mit den
Irrtümern dieser Politik konfrontiert.
Unser Blick auf die Region und den Islam insgesamt wird sich
ändern müssen, wenn wir der historischen Situation
gerecht werden wollen. Die Zukunft ist offen. Aber noch nie standen die
Chancen für Freiheit
und Demokratie in der arabischen Welt so
gut wie jetzt. Wenn wir diese nicht nutzen, welche dann? (C.H. Beck)
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