Jan Jiracek von Arnim: "Franz Liszt"
Visionär und Virtuose. Eine Biografie
Virtuose und Neuerer
Runde Geburts- oder Todestage bieten die Gelegenheit, einen Blick auf
besondere Menschen zu werfen, die vielleicht nicht so im Zentrum des
Musikbetriebes liegen. Franz Liszt gehört wohl dazu. Das "z"
in seinem Namen verdankt er übrigens seinem Vater, der dadurch
verhindern wollte, dass der Name List im Ungarischen wie Lischt
ausgesprochen wurde. Durchaus nachvollziehbar. Eine Oper schrieb Liszt
als Jüngling, doch sie versank nach wenigen
Aufführungen im Meer der Bedeutungslosigkeit. Große
Sinfonien sucht man vergebens, wenngleich er einige beachtliche
Orchesterwerke oder Werke für Klavier und Orchester verfasste.
Es sind wohl die Klavierwerke, die man am Ende mit seinem Namen
verbindet: Die "Ungarischen Rhapsodien", der "Liebestraum" (als eines
von drei Nocturnen), die "Mephisto Walzer" noch. Doch die von Humphrey
Searle erstellte Werkliste Liszts umfasst insgesamt 702
Einträge.
Der Biograf Jan Jiracek von Arnim ist "Spross einer
böhmisch-deutschen Musikerfamilie", wie es in einem
Porträt heißt, und seit 2001 bisher
jüngster Professor für Klavier an der
Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. In
Vorwort und Epilog gewährt Jiracek Einblicke in seine
persönliche Beziehung zu Werk und Person Franz Liszts, und man
bekommt eine Ahnung von der Komplexität einer solchen
Beziehung. Ein Konzertpianist und Musikprofessor als Biograf - was
wünscht man sich mehr?
Mit einem bei Biografen beliebten Blick auf das Ende, Liszts letztes
Konzert in Luxemburg, seiner letzten Reise von Luxemburg nach Bayreuth
zu den Festspielen, gestaltet der Autor den Prolog. Nach dieser kurzen
Einführung übernimmt die Chronologie ihr angestammtes
biografisches Regiment.
Der Große Komet des Jahres 1811 verleitete den Verwalter in
fürstlichen Diensten Adam List zu kühnen Prognosen
zur Zukunft seines Sohnes Franciscus als "vom Schicksal
bestimmt", jenes
"Künstlerideal [zu] verwirklichen", das des
Vaters Jugend vergeblich bezaubert hatte. Diesen Adam List
präsentiert uns Jan Jiracek als den gewissermaßen
doppelten Erzeuger des Franz Liszt, denn neben seiner biologischen
Rolle gestaltet der Vater mit großem Engagement die Karriere
seines immense Erwartungen weckenden Sohnes, als er im Mai 1822 den
finanziell riskanten Umzug nach Wien wagt, einzig um dem kleinen Franz
eine Ausbildung zu ermöglichen, die dort bei dem
berühmten Carl Czerny ihren Anfang nahm. Czerny unterrichtete
im Übrigen kostenlos, da er wusste, wie prekär die
finanzielle Lage der Liszts war. Auch Salieri
gehörte zu den
Lehrern des jungen Liszts, der zudem durch ein Schreiben an
Esterházy bewirkte, dass die Liszts eine Wohnung in dessen
Stadthaus beziehen konnten.
Bei seinem ersten Konzert vom 1. Dezember 1822 hinterließ er
den Eindruck eines kleinen Zauberers, wie es in der Presse
hieß. Bereits im September 1823 starteten die Liszts eine
dreimonatige Reise nach Paris, wo der junge Künstler als "le
petit Litz" gehandelt wurde. Schon hier wirkte der Vater als
Agent seines Sohnes. Am 8. März 1824 gab Liszt sein erstes
öffentliches Konzert in Paris, mit dem bereits der
Starkult einsetzte. Noch im selben Jahr brach man zu einer
strapaziösen Konzertreise nach England auf. Eine
außergewöhnliche Karriere zeichnete sich ab, die
jedoch 1827 durch den Tod des Vaters jäh unterbrochen wurde.
Die nächsten beiden Jahre, die Liszt später selbst
ausblendete, waren für seine Reifung nötig, "Hier
'verpuppt' sich das Wunderkind", schreibt der Autor bildhaft.
Paris war zu jener Zeit voll von Wunderkindern, und des Vaters ordnende
Hand fehlte hinten und vorne. Klavierunterricht hielt ihn über
Wasser, einzig die Beschäftigung mit Literatur und Religion
trieb ihn an. Die Zeit der Juli-Revolution weckte Liszts Lebensgeister
wieder. Ein Konzert Paganinis
schließlich verzauberte Liszt
und stachelte seinen Ehrgeiz an, sein hohes technisches Potenzial
weiter zur Virtuosität auszubauen und im Tastenspiel Neuland
zu betreten. Konditionale Fragestellungen helfen bei Biografien
normalerweise nicht weiter, doch Paganini scheint den heutigen Liszt in
Bewegung gesetzt zu haben, gewissermaßen
mitbegründet zu haben.
Eine Freundschaft mit Berlioz entwickelte sich und führte zu
einer ersten Klavierübertragung von Berlioz' "Symphonie
fantastique". 1831 traf Chopin
in Paris ein, zu dem sich kein
Konkurrenzgedanke entwickelte, sie ergänzten sich vielmehr,
denn Chopin blieb den Salons vorbehalten, während Liszt das
große Publikum suchte.
Anfang 1833, so erfahren wir, lernte er die fünf Jahre
ältere und verheiratete Gräfin Marie d'Agoult kennen,
mit der er zusammen drei Kinder hatte, darunter auch Cosima, die
spätere Gattin
Wagners. Alles in allem eine komplizierte
Beziehung. 1847 lernt er in Kiew die sehr vermögende Caroline
zu Sayn-Wittgenstein kennen. Im Juli 1848, des Konzertierens
müde, kam Liszt in Begleitung von Caroline zu
Sayn-Wittgenstein und deren Tochter in Weimar an und übernahm
die Stelle des Kapellmeisters. In den kommenden zehn Jahren dirigierte
er 40 Opern, darunter auch Werke Wagners, mit dem er seit 1848
befreundet war.
Liszts kompositorisches Schaffen deutete eine Abkehr von den
klassischen Strukturen an und wurde als "Neudeutsche Schule"
bezeichnet, der auch Berlioz und Wagner zuzurechnen waren. Als es
während einer Oper zu Tumulten kam, legte Liszt im Februar
1959 den Weimarer Dirigentenstab nieder. Obwohl dies nicht der Ort
für diese Form der Avantgarde gewesen zu sein scheint, wird er
Weimar dennoch erhalten bleiben, zwar nicht mehr als Kapellmeister,
sondern als Künstler und Klavierlehrer - unterbrochen von
längeren Aufenthalten in Rom und Budapest. Und dazwischen
immer wieder Reisen, auch seine letzte im Jahre 1886 nach Bayreuth, wo
seine Tochter Cosima bereits an der Unsterblichkeit ihres drei Jahre
zuvor verstorbenen Gatten Richard
Wagner arbeitete, und an ihrer
eigenen natürlich ...
Zwischen den eher kontrapunktischen Tonkaskaden des Barock und Erik
Saties minimalistischer "Gymnopédie" liegt eine ungeheure
musikalische Bandbreite des Ausdrucks. Eine zweite Koordinate bildet
die hohe Kunst, stimmliche und klangliche kompositorische Vielfalt
für das Klavier so abzubilden, dass diese dort auf ihre eigene
Art zum Ausdruck kommt. Komplettiert wird das Liszt'sche
Koordinatensystem durch die Achse der Virtuosität, die ihm
wohl Paganini vorgezeichnet hatte. Ausdruck, Klaviersatztechnik und
Virtuosität erweisen sich letztlich als die Parameter des
Liszt'schen Kosmos.
Anspruchsvolle Poesie und Philosophie verstellen dem Leser oft den
schnellen Konsum und erfordern einen intensiven Einsatz des Lesers, ein
Hineinversenken, um sich letztlich dem Kern zu nähern. Die
Musik öffnet gar zwei Zugänge: eine via passiva des
Hörens und eine via activa. Während der erste Weg
etwas breiter ausgestaltet ist, können sich Liszt (oder
Chopin) nur Wenige auf dem aktiven Pfade nähern. Da liegen
Charme und Potenzial eines von einem Konzertpianisten und
Musikpädagogen verfassten Werkes, denn es ermöglicht
Einblicke des Autors, die einer rein deskriptiven biografischen
Expertise anderer Autoren weit voraus sind. Angedeutet wird dieses
Potenzial bei dem Stück "Nuages gris", aber es wird in dieser
Biografie nicht ausgespielt. Diese Kritik bedarf aber der Einordnung,
einer Relativierung, denn für den Auftrag einer Biografie,
nämlich der Lebensbeschreibung Liszts, muss eine eindeutige
Empfehlung ausgesprochen werden: Das vorliegende Buch ist eine
überaus angenehm zu lesende, kompetent geschriebene und
anspruchsvoll gestaltet Biografie. Doch wer sich für Liszt
näher interessiert, wird in aller Regel auch bereit sein,
einer Expertise in größere Höhen zu folgen.
Und hier ist noch ein wenig Luft für künftige
Publikationen des Autors, auf die man ausgesprochen neugierig sein darf.
(Klaus Prinz; 06/2011)
Jan
Jiracek von Arnim: "Franz Liszt .
Visionär und Virtuose. Eine Biografie"
Residenz Verlag, 2011. 229 Seiten.
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