Oliver Hilmes: "Liszt"
Biografie eines Superstars
Viele Frauen- und
Skandalgeschichten, wenig Musikalisches
Der in erster Linie an Musik
interessierte Leser - und an wen sonst sollte sich eine Liszt-Biografie
wohl wenden - wird von diesem Buch vermutlich enttäuscht sein. Denn dies
ist weniger eine Komponisten- oder Künstlerbiografie als vielmehr die
Biografie des Exzentrikers und Frauenhelden Franz Liszt nebst
zahlreichen ausführlichen biografischen Skizzen derjenigen Frauen, die
im Leben des "Superstars" eine tragende Rolle gespielt haben. So
knüpft Oliver Hilmes nahtlos an seine bislang erschienenen Biografien
an, die zumeist von berühmten oder wohl eher berüchtigten Frauen
handeln. Wenn im Verlagstext aber behauptet wird, Hilmes entschlüssele
die Bedeutung von Liszts Musik und erkläre die Faszination, die sie bis
heute auf die Menschen ausübt, so kann der Rezensent dem keineswegs
beipflichten. Im Gegenteil: Der Musiker Franz Liszt tritt hier ziemlich
in den Hintergrund, um den Charmeur, den Verführer und Schaumschläger
Liszt in den Brennpunkt zu rücken.
In seinem Prolog schreibt Oliver Hilmes: "Eine Jahrhundertfigur wie
Franz Liszt bedarf keiner Ehrenrettung. Ihn aber in ein rechtes Licht
zu rücken, gehört zu den Aufgaben eines Biografen." Meines
Erachtens hat er seine Aufgabe mehr schlecht als recht gemacht. Im
nächsten Absatz des Prologs heißt es dann weiter: "Viele Details
dieser knapp 75 Lebensjahre sind ebenso grandios wie skandalös, andere
sind betörend wie verstörend, und wiederum andere - etwa die Vorgänge
rund um die 'Affäre Wittgenstein' - sind spannend wie ein Krimi."
Diese oft reißerischen Details sowie Skandalgeschichten sind es, die
Hilmes' Biografie weitgehend bestimmen. Wir erfahren beispielsweise,
dass der Pianist und Liszt-Schüler Alfred Reisenauer in knapp drei
Stunden mehr als sechs Liter Bier getrunken hat, dass Liszt-Tochter Cosima
eine Nacht mit ihrem verstorbenen Ehemann Richard Wagner im Bett
verbracht haben soll, oder dass der bereits in Verwesung übergehende
Leichnam Franz Liszts das Haus, in welchem er aufgebahrt wurde, mit
Gestank verpestete. Dann treffen wir immer wieder auf die exzentrischen
Frauen in Liszts Umfeld, deren Vita oft recht breit ausgewalzt wird. Wir
begegnen Abenteuerinnen, Spioninnen, Hochstaplerinnen, unter Anderen der
"Schwarzen Katze" Baronin Olga von Meyendorff oder einer Zigarre
rauchenden und Pistolen schwingenden "Kosakengräfin, die keine war".
Nach Werkbetrachtungen fahndet der Leser vergeblich, beiläufig werden
einige zu allgemeiner Berühmtheit gelangte Kompositionen Franz Liszts
erwähnt oder stichwortartig besprochen, und auch sonst werden
musikalische Fragen von Oliver Hilmes nur leicht tangiert. Eindeutige
Priorität in dieser Biografie genießen die Affären des Meisters, die
Skandale, die Schicksalsschläge oder Unglücksfälle, die sich in seiner
Entourage ereigneten. Kleine, nebensächlich erscheinende Dinge werden zu
sehr in den Mittelpunkt gerückt, Wichtiges hingegen, wie das
beeindruckende Werk Franz Liszts, wird vernachlässigt und in einige
wenige Absätze des Buches gepackt. Man kann sagen, dass das Profane dem
Erhabenen in Oliver Hilmes' Liszt-Biografie eindeutig den Rang abläuft.
Das ist bedauerlich.
Trotz allem fand ich das Buch, das sich phasenweise auch wie eine
Generalabrechnung mit dem Wagner-Clan liest, recht interessant
und auch gut geschrieben. Das mag zum Teil auch an dem ereignisreichen
Leben Franz Liszts liegen sowie an der Faszination, die sowohl seine
schillernde Persönlichkeit als auch seine großartige Musik heute noch
ausstrahlen. Man hätte sich nur gewünscht, dass der Biograf etwas mehr
in die Tiefe von Liszt Werk vorgedrungen wäre. Und so eignet sich das
Buch wohl eher für Leser der Regenbogenpresse als für den wirklichen
Musikliebhaber.
(Werner Fletcher; 04/2011)
Oliver
Hilmes: "Liszt. Biografie eines Superstars"
Siedler, 2011. 432 Seiten.
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Noch ein Buchtipp:
Jan Jiracek von Arnim: "Franz Liszt. Visionär und Virtuose. Eine
Biografie"
Geboren im Jahr des "Großen Cometen", führte der Weg des Wunderkindes
aus Raiding im Burgenland über Wien nach Paris, dem Mekka der Musikwelt
seiner Zeit, wo Franz Liszt als einzigartiger Klaviervirtuose
Begeisterungsstürme hervorrief und ein Leben als umschwärmter Bohemien
führte.
Immer auf der Suche nach Anerkennung auch als Komponist, prägte Liszts
innere Zerrissenheit seine künstlerische Entwicklung ebenso wie seine
Liebesbeziehungen. Nach Konzertreisen durch ganz Europa ging er als
Hofkapellmeister nach Weimar, wo er den Werken Richard
Wagners zum Durchbruch verhalf.
Jan Jiracek von Arnim begibt sich in diesem Buch auf eine spannende
Spurensuche: Er begleitet Liszt durch die Pilgerjahre als Virtuose,
Visionär, Wegbereiter, Sinnsuchender und erkundet seine Seelenlandschaft
als Mensch und als Musiker. Entstanden ist das großartige Porträt eines
Ausnahmekünstlers. (Residenz Verlag) zur
Rezension ...
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