Doris Lessing: "Ein süßer Traum"
Ein großer, immer
gedeckter Tisch ...
Doris Lessings nun in der Gesamtausgabe neu aufgelegter Roman "Ein süßer
Traum" ist einer der späteren Romane aus der Werkstatt der
Nobelpreisträgerin. Ambitioniert werden in dem Roman die
Lebensgeschichten von drei Generationen der Lennox-Familie verbunden.
Da ist zuerst Julia Lennox, deutscher Abstammung, die ihrer Jugendliebe
nach England gefolgt ist. Seit dem Tod ihres Mannes fühlt sie sich als
Fremdkörper in dieser Welt der verwahrlosten und freien Sitten. Ihre
Verbindung zur (Ex)Schwiegertochter ist sehr distanziert und bessert
sich nur sehr langsam im Verlauf des Romans.
Hauptfigur des Romans ist die von ihrem Mann Johnny Lennox verlassene
Frances Lennox. Johnny, der Ex-Mann, ist politisch engagiert und auf dem
besten Weg, eine Art Ikone für seine Anhänger zu werden. Dass er dabei
keine Zeit für lästigen Familienkram hat, ist schnell offensichtlich.
Die Partei zählt auf ihn und seine demagogische Politideologie. Da er
keine andere Möglichkeit hat, seiner Exfrau und den Söhnen Unterhalt zu
zahlen, organisiert er ihren Wohnort im Haus seiner Mutter. Weil Frances
Lennox ein überdurchschnittlich großes Herz und einen stets gedeckten
großen Küchentisch hat, verwundert es nicht, dass sich Frances Lennox
nicht nur um den eigenen Nachwuchs kümmern muss, sondern auch um die
Freunde ihrer Sprösslinge.
Johnny, der mit jedem Erscheinen unsympathischer wird, erscheint immer
zufällig bei gedecktem Tisch, schwingt große Reden und verzieht sich,
sobald die Stimmung zu kippen beginnt.
Doris Lessing hat sehr viel in diesen Roman gepackt, möglicherweise
etwas zu viel. Obwohl flüssig geschrieben, gibt es immer wieder
Leerläufe, die den Lesefluss trüben. Etwas zu sehr werden auch Klischees
bedient, zu starr, zu klar sind die Grenzen zwischen Gut
und
Böse abgesteckt, so übergenau, dass man irgendwie bald fast nicht
mehr an die Großherzigkeit von Frances glauben mag. Andauernd hofft man
auf einen Ausbruch, auf eine Auflehnung, auf ein Aufbrechen der
festgefahrenen Missstände.
Das Interesse der Autorin scheint überhaupt den schwachen Charakteren,
den Gutmütigen, den Sanften und den Stillen zu gelten, die sehr
eindeutig das Gute verkörpern, während die lauten und jovialen Menschen
mit dem demagogischen Drang zur Selbstdarstellung verbunden werden.
Irgendwo im Roman sinniert Frances darüber, dass "es Menschen gibt,
die dem Leben gegenüber eine gewisse Passivität an den Tag legen und
abwarten, was ihnen geschenkt, ihnen aufgetischt wird. Oder was sie
bedrängt."
In diesen Sätzen meint man das Motto des Romans zu erkennen.
Und so ist "Ein süßer Traum" dann auch ein Entwicklungsroman und eine
vermeintlich kritische Auseinandersetzung mit den Politideologien der
1960er- und 1970er-Jahre, die allerdings an einer ernsten Kritik
eindeutig vorbeischrammt, da Johnny als Figur zu schwach ist, um Kritik
notwendig zu haben. Er ist quasi von Anfang an eine narzisstische
Karikatur eines absolut demagogischen Schwätzers und keine
ernstzunehmende Figur.
Johnnys magersüchtige Stieftochter Sylvia, der Liebling der Großmutter
Julia, wird zur Vertrauten von Frances und ist die Protagonistin im
dritten Teil des Romans, der in einem Fantasiestaat in
Afrika handelt, der allerdings unschwer als Rhodesien/Zimbabwe zu
erkennen ist.
"Ein süßer Traum" ist ein vor verschiedenen Themen und Ansatzpunkten
überquellender Roman, der allerdings einige Schwachstellen in der
Figurenzeichnung und im allzu klischeehaften Benehmen einiger Akteure
hat, der sehr viel will, der höchstwahrscheinlich auch viele
autobiografische Momente verarbeitet, der sich meist sehr spannend
liest, obschon er auch einige wirkliche Leerläufe hat. Am Ende
bleibt jedoch das versöhnliche Gefühl zurück, eine große Strecke
mit diesen teilweise unbeschreiblich schwachen oder auch egoistischen
Persönlichkeiten gegangen zu sein. Persönlichkeiten, die bei all ihren
Schwächen doch sehr menschlich sind.
"Ein süßer Traum" ist nicht Doris Lessings stärkster Roman, aber
trotzdem sehr empfehlenswert.
(Roland Freisitzer; 11/2011)
Doris
Lessing: "Ein süßer Traum"
(Originaltitel "The Sweetest Dream")
Übersetzt von Barbara Christ.
Hoffmann und Campe, 2011. 527 Seiten.
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