Manès Sperber: "Kultur ist Mittel, kein Zweck"
Herausgeberin: Mirjana Stančić
Was
ist Kunst? Ist sie zeitlos und zweckfrei?
Wozu dient Kunsttheorie?
Der Marxismus als Theorie für politisches und im weitesten
Sinne
gesellschaftliches Handeln wurde vor mehr als zwanzig Jahren zu Grabe
getragen; linke Parteien nennen sich in Europa nur noch selten
sozialistisch oder kommunistisch. Kunst und Kultur haben sich aus der
politischen Umklammerung durch einzelne Parteien befreit, sind aktuell
häufig verwirrend - oder gar verirrend - brutalen
Marktmechanismen
ausgeliefert.
Der Altösterreicher Manès Sperber (1905-1984) gilt
heute vor allem als Literat, dessen teils autobiografische Trilogie
"Wie eine Träne im Ozean" zu den
Klassikern des 20. Jahrhunderts zählt,
zu einer zentralen Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus, mit
Kommunismus und Faschismus. "Es
ist der Versuch zu verstehen,
wie man
Revolutionär wird und warum man Revolutionär bleibt.
Es ist aber auch
die Geschichte von denen, die diesen Weg verlassen, wenn sie erfahren,
wie schrecklich die Revolution ist." (Daniel Cohn-Bendit)
Der
kroatischen Literaturwissenschaftlerin Mirjana Stančić, Herausgeberin
einer umfassenden und fundierten Sperber-Biografie
("Manès Sperber.
Leben und Werk", 2003), ist es zu verdanken, neben dem
literarischen
Manès Sperber nun auch vom marxistischen Theoretiker und
Individualpsychologen lesen zu können. Ein umfangreiches
Typoskript aus
dem Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek
war Basis
für die Herausgabe dieses Lehrwerks fast vergessener
marxistischer
Kunsttheorie.
Manès Sperber lebte von 1927 bis 1933 in Berlin,
wo er im Auftrag seines Lehrers Alfred
Adler den linken und den rechten
Flügel der Individualpsychologischen Vereinigung ideologisch
versöhnen
sollte. Der junge Sperber, noch nicht einmal fünfundzwanzig
Jahre alt,
barst vor Energie; hielt Vorträge an verschiedenen
Institutionen. Ihm
schwebte eine enge, praktisch wirksame Verknüpfung von
Individualpsychologie und Marxismus vor. Außerdem
beabsichtigte er, der
Kommunistischen Partei Deutschlands beizutreten. Sein Mentor Alfred
Adler missbilligte diesen politischen Schwenk entschieden und wandte
sich von seinem früheren Meisterschüler ab.
Aus
diesem persönlichen politischen und wissenschaftlichen
Aufbruch heraus
ist das vorliegende Werk zu verstehen als ein meisterhaft formulierter
Essay, ein Lehrbuch marxistischer Kulturtheorie und ein
Schaustück
kreativen Denkens im Umfeld politischer Doktrinen.
Kultur hat
nach Manès Sperber einen gesellschaftlichen Auftrag zu
erfüllen, ist
Mittel für den Zweck des Aufbaus einer sozialistischen
Herrschaft. Es
bedarf eines bestimmten kulturellen Niveaus, um den Sozialismus zum
Einsatz kommen zu lassen. Deshalb sind Kunst und Kultur zu
fördern. Man
kann heute die Begeisterung kaum nachvollziehen, mit der Sperbers
Generation an die Schaffung einer gerechten Weltordnung und an die
Vorbildrolle der jungen sowjetischen Gesellschaft glaubte.
Manès
Sperber definiert in knappen, treffenden Worten seine Kunsttheorie,
erklärt die politisch wirksame Rolle einzelner Kunstgattungen,
erweist
sich als profunder Kenner der abendländischen Kunsttradition
und der
zeitgenössischen Strömungen der beginnenden
Dreißigerjahre. Zu
Schulungszwecken schließen sich an jedes Kapitel kritische
Fragen aus
den imaginären Reihen ideologischer Abweichler und konkrete
Antwortvorschläge, die die Zuhörer bzw. Leser wieder
auf den Pfad des
Marxismus zurückholen sollen. Es sind diese dialogischen
Passagen, die
am lebendigsten wirken und viel über die Entstehungszeit rund
um den
Zweiten internationalen Kongress revolutionärer Schriftsteller
in
Charkow (1930) verraten.
Allein
Sperbers Bewunderung für den sozial engagierten Norweger Knut
Hamsun,
Literaturnobelpreisträger von 1920, sollte uns zeigen, diesen
Essay
nicht aus der heutigen Sicht mit der Erfahrung späterer
stalinistischer
Verbrechen zu sehen (wohl aber mit dem Wissen über die
Gräuel des
Bürgerkriegs zehn Jahre zuvor, über die Grausamkeit
die Kollektivierung
der Landwirtschaft und die damals aktuelle Rivalität zwischen
Stalin
und Trotzki!). Knut Hamsun schwärmte später
für den
Nationalsozialismus,
nach dem Zweiten Weltkrieg bewahrte ihn nur sein
hohes Alter vor einer Strafe als Kollaborateur.
Mirjana Stančić,
die an der Universität Osijek und später in Bochum
und Essen deutsche
Literatur lehrte, hat den Text mit informativen - und aus dem Abstand
von achtzig Jahren notwendigen - Fußnoten ergänzt;
eine umfassende
Einführung erleichtert die ideologische und literarische
Einordnung des
meisterhaften Essays.
(Wolfgang Moser; 02/2011)
Manès
Sperber: "Kultur ist Mittel kein Zweck"
Mirjana Stančić (Herausgeberin).
Residenz Verlag, 2010. 363 Seiten.
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Manès
Sperber wurde am 12.
Dezember 1905 in Galizien geboren und starb am 5. Februar 1984 in
Paris. Er wurde aufgrund der Romantrilogie "Wie eine Träne im
Ozean" (1961), einer Absage an den Kommunismus, weltberühmt.
Zahlreiche Auszeichnungen, u. A. "Friedenspreis des deutschen
Buchhandels" (1983).
"Kultur ist Mittel, kein Zweck" ist Teil des Nachlasses von
Manès Sperber im Österreichischen Literaturarchiv.
Ein weiteres Buch des Autors:
"Wie eine Träne im Ozean"
In seinem ungeheuer spannenden, handlungs- und figurenreichen Roman
beschreibt
Manès Sperber die politische Landschaft Europas in den
Jahren zwischen 1930 und
1945. Im Mittelpunkt steht das geistige Abenteuer des
revolutionären Menschen,
eines Typs, der aus dem 20.
Jahrhundert nicht mehr wegzudenken ist. Der
Weg des
Helden des Werkes, Donjo Faber, und der anderen Revolutionäre
führt über
Deutschland, Russland, Jugoslawien, Polen, Frankreich und Italien,
durch
Revolution, Diktatur und Krieg bis an die Schwelle der Nachkriegszeit
mit ihrem "bitteren
Geschmack der Hoffnung". Es ist eine Hetzjagd durch den
kommunistischen
Untergrund aller Länder. Die Glaubwürdigkeit und
Kraft dieses Buches liegt
nicht zuletzt darin, dass Sperber, obwohl ihn längst tiefere
Einsichten von den
früheren Bindungen trennten, die echten Werte der
revolutionären Idee nicht
verleugnet hat.
Die Romantrilogie beinhaltet die Bücher "Der verbrannte
Dornbusch",
"Tiefer als der Abgrund" und "Die verlorene Bucht". (dtv)
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