Jörg Juretzka: "Der Willy ist weg"


Der selbsternannte Privatdetektiv Kryszinski läuft zur Höchstform auf

Dieser dritte Band der Reihe um den Ruhrpott-Detektiv und Rocker Kristof "Krüschel" Kryszinski ist streng genommen ein Vorgänger von "Prickel" und "Sense" und das erste Buch, für das Jörg Juretzka den "Literaturpreis Ruhr" erhalten hat.

Die Geschichte beginnt um Weihnachten, und "Krüschel" kommt gerade aus Holland zurück, wo er eine minderjährige Drogensüchtige aus den Fängen ihrer chinesisch-stämmigen Zuhälter befreien wollte. Der Verrat durch die zu rettende Dame ist dabei weder ihm noch seinem Wagen gut bekommen, und "Krüschel" ist entsprechend geladen. Trotzdem gelingt es ihm, einen holländischen Zöllner zu "becircen", als dieser über die Verkehrssicherheit seines Wagens nachdenkt, weswegen er mehr oder minder rechtzeitig zur Weihnachtsfeier mit "Reise nach Jerusalem" im "Stormfucker"-Stil in der Villa des Klubanhängsels Willy Heckhoff, wo sich einige Mitglieder des Klubs eingenistet haben, kommt. Der Millionenerbe Willy gilt als das Maskottchen der Gruppe und allgemein als gute Seele mit deutlich aus den Fugen geratenem Sexualtrieb, der auch vor verunsicherten Skinheads nicht immer Halt macht, was zu einer sehr unangenehmen Situation führen soll und "Krüschel" zwingt, die Polizei auf den Plan zu rufen, um Schlimmeres zu verhindern.

Was war denn bloß los gewesen? Ich sah mich um. Auf dem zertrampelten Rasen lagen hier und da Pflastersteine herum, Holzknüppel, ein Jackenärmel. Eine Ansammlung von Menschen schien, dem Augenschein nach, den Versuch unternommen zu haben, ohne Einladung in das Domizil der Stormfuckers, MC, vorzudringen. Da wir bei meiner Abreise nach Amsterdam noch in einem mühsam erreichten, relativen Frieden mit allen rivalisierenden Gruppierungen gestanden hatten, mussten es die Jungs irgendwie geschafft haben, sich im Verlauf der letzten Woche eine ganze Bande frischer, nagelneuer Feinde zu schaffen.

Das überraschte mich nicht. Ein Großteil der Stormfuckers lebte in erster Linie von ihrer Erscheinung. Sie erschienen bei Rockkonzerten, sie erschienen vor Discotüren, sie erschienen zu Hause bei Leuten, die meinten, Spiel-, Drogen- oder sonstige Schulden seien nichts, das man wirklich ernst nehmen müsse. Meist genügte ihre Ausstrahlung, um Friedfertigkeit und Vernunft zu verbreiten. Große, breite, haarige, ledergewandete, an delikaten und weniger delikaten Stellen tätowierte und gepiercte, einander zu unverbrüchlicher Loyalität verschworene Männer wie sie treten gerne mit einer Art kollektivem Selbstbewusstsein auf, das geeignet ist, Nachdenklichkeit auch in den hitzigsten Köpfen zu inspirieren. Und doch gibt es immer wieder welche, bei denen die Nachdenklichkeit in einen, wie soll ich sagen, nicht selten alkoholbefeuerten, gewalttätigen Groll umschlägt. Solche Leute kommen oft erst im Krankenhaus wieder zu sich und sind in der folgenden Zeit recht häufig der Ansicht, uns irgendetwas zu schulden.
(Aus dem Roman)

 

Als Willy ein paar Tage lang verschwunden ist, sind die "Stormfuckers" auch zunächst nicht überrascht; als allerdings ein Erpresserbrief mit einem Foto des sichtlich lädierten Willy ins Haus flattert, werden die "Stormfuckers" doch unruhig und beginnen nachzuforschen, wo Willy sein könnte. Für "Krüschel", der wegen eines Nachfolgebesuchs bei den Amsterdamer Chinesen wegen Entführung und schwerer Körperverletzung von der holländischen Polizei befragt werden soll, und dann seine Bewährung verlieren könnte, ist dabei sehr nervös, denn die Polizei steht anscheinend alle paar Minuten vor ihm, obwohl er doch gar keinen Kontakt mit ihr aufnehmen soll. Außerdem geht auch die Fahndung nach einem Erpresser einer neuen Filiale einer bekannten Systemgastronomiekette eher schleppend voran, was "Krüschels" Seelenfrieden nicht gerade begünstigt.

Schnell stellt sich heraus, dass die Skins wohl eher nichts mit Willys Entführung zu tun haben, und so beginnen sich die "Stormfuckers" in ihrem weiteren Feindeskreis umzuschauen, in dem sich neben den Amsterdamer Chinesen auch Vertreter des italienstämmigen organisierten Verbrechens finden.

Fazit:
Bei "Der Willy ist weg" handelt es sich um einen vergnüglichen Kriminalroman voller Situations- und Sprachkomik, der sehr gut zu unterhalten vermag. Dringend zu empfehlen.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 08/2011)


Jörg Juretzka: "Der Willy ist weg"
Unionsverlag, 2010. 311 Seiten.
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Jörg Juretzka, 1955 in Mülheim an der Ruhr geboren, ist gelernter Zimmermann und baute Blockhütten in Kanada, bevor er sich auf das Schreiben konzentrierte. "Prickel", sein Krimidebüt und der erste Fall für den Privatermittler Kristof Kryszinski, erschien im Jahr 1998.
Für seine Romane wurde er dreimal mit dem "Deutschen Krimi Preis" ausgezeichnet.

Weitere Bücher des Autors (Auswahl):

"Alles total groovy hier"

Kristof Kryszinski ist mit seinem Kumpel Scuzzi ins sonnige Spanien unterwegs. Sie wollen einen Ort finden, an dem ihr Motorradklub eine Niederlassung eröffnen kann. Noch während der Fahrt begegnet ihnen jedoch alles Andere als Sommer, Sand und Meer: eine verdorrte Stein- und Staubwüste, die erbarmungslos sengende Sonne und Banden verwahrloster Kinder. Dazu ist Schisser, der bereits eine entsprechende Immobilie gefunden hatte, verschwunden - ebenso die 180000 Euro, mit denen er das Objekt erstehen sollte.
Auf der Suche nach Freund und Geld stoßen Kryszinski und Scuzzi auf ein Aussteigerdorf berauschter Hippies. Auch die Jugendlichen machen in der iberischen Gluthitze dem bierdurstigen Kryszinski gehörig Dampf - ganz zu schweigen von den harmoniebedachten Blumenkindern, gegen die der Mülheimer instinktiv eine herzliche Abneigung entwickelt. (Unionsverlag)
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"Prickel"
Prickel ist ein bisschen langsam und spricht kaum mehr als drei Worte. Sein Freund Det ist schlauer und nimmt ihn nach einer Kneipentour mit zu Nina. Dann ist Nina tot, und Prickel sitzt mit einem blutigen Messer auf dem Dach. Von Det keine Spur, und "der Schlächter von Bottrop" wird bis auf Weiteres in eine Irrenanstalt eingeliefert. Die schönste aller Anwältinnen Mülheims beauftragt den schäbigsten aller Privatdetektive, den dauerverkaterten Kristof Kryszinski, zu recherchieren ... (Rotbuch) zur Rezension ...
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"Freakshow"
Der Kult geht weiter! Kristof Kryszinski ist zurück, und sein zehnter Fall verspricht wieder jede Menge durchgeknallte Typen, staubtrockene Kommentare und unorthodoxe Ermittlungsmethoden. Kryszinskis Auftragsbücher sind voll, mit gleich vier Fällen ist der Ruhr-Detektiv mehr als ausgelastet. Doch während er Rollstuhlfahrer vor gelangweilten Halbwüchsigen bewahren, Kinderschänder aufspüren, einen Bugatti finden und eine Großbaustelle vor vermeintlich kreuzbraven Anrainern schützen soll, wird ihm allmählich klar, dass alles und alle miteinander verwoben sind - und er selbst mittendrin im Schlamassel steckt! (Rotbuch) zur Rezension ...
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"Rotzig & Rotzig"
Wohnpark Nord in Mülheim: Armut, Kriminalität und Drogen. Ausgerechnet hier soll Kristof Kryszinski, als Hausmeister getarnt, eine Einbruchserie aufklären. Hinter den Diebstählen scheinen die Rotzlümmel Yves und Jean zu stecken. Überführt und in ein Kinderheim gesteckt, gelangen die Zwillinge aber verdächtig schnell nach Luxemburg in die Pflegefamilie eines reichen Diamantenhändlers.
Die Idylle trügt, und Kryszinskis Fall wird zum Wettlauf gegen die Zeit. Er kommt einem Kinderschänderring auf die Schliche, der sich bis in die höchsten Kreise erstreckt. (Unionsverlag)
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