Audur Jónsdóttir: "Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt"


Vom Klappentext angezogen und mit einer aufgrund vieler anderer Romane von isländischen Schriftstellern geprägten positiven Grundhaltung hat der Rezensent diesen Roman von Audur Jónsdóttir in die Hand genommen. Sie gilt als einer der bekanntesten Schriftstellerinnen in einem Land, das mit nur 320.00 Einwohnern über einen Schriftstellerverband mit weit über 300 Mitgliedern verfügt, und ihr eilen als Enkelin des isländischen Literaturnobelpreisträgers Halldór Laxness viele Empfehlungen voraus.

Und die Erwartungen wurden auch nicht enttäuscht. Zunächst jedenfalls. Denn die Geschichte von Sunna Nönnudóttir, einer jungen Frau in den Dreißigern, die ihren Mann Axel abgöttisch liebt und sich dennoch fern wie der Mond von ihm fühlt, beginnt spannend und einnehmend, verspricht sie doch eine Mischung aus Beziehungsroman und Kriminalgeschichte. Denn als die Mitarbeiterin eines Literaturverlags mit teilweise ungewöhnlichem Programm eines kalten Morgens im dunklen und stürmischen Islanddezember ihren Laptop öffnet, um wie gewöhnlich im Internet die Nachrichten zu lesen, springt ihr eine Meldung ins Auge, die sie in einen schockähnlichen Zustand versetzt. Es ist eine Meldung der Polizei, die nach einer seit drei Tagen vermissten Frau sucht. Es handelt sich um die Kunsthistorikerin und Galeriebesitzerin Arndis Theodorsdóttir, eine ehemalige Freundin von Sunna, mit der sie lange in Barcelona gelebt hat, als sie dort studierte.

Es ist klar: Sunna will herausfinden, wo sich Arndis befindet. Immer wieder wird die laufende Handlung von Erinnerungen unterbrochen, die in Sunna hochsteigen und sich mit zunehmender Länge des Buches mit der zunächst etwas verwirrenden Gegenwart mischen und sie erklären.
Diese Gegenwart ist durch sehr unterschiedliche Stränge gekennzeichnet. Darunter fällt zunächst ihre Arbeit im Verlag und ihre unmögliche Aufgabe, ein avantgardistisches Buch über Pu den Bären und August Strindberg zu vermarkten, das die beiden Verlagsinhaber apfelweinselig auf der Frankfurter Buchmesse eingekauft haben. Weiters ihr Mann Axel, der sich mit einer ziemlich ambitionierten Idee in der Tourismusbranche selbstständig gemacht und dabei ruiniert hat. Er sitzt wegen eines Sturms tagelang in Nordisland fest und kann (und will auch nicht, wie sich dann herausstellt) nach Hause kommen. Derweil ist Helgi, sein Sohn aus erster Ehe, bei Sunna, die versucht eine Beziehung zu ihm aufzubauen und dabei tatkräftige Hilfe ihrer alten Mutter in Anspruch nimmt, einer linken Gewerkschafterin, die dauernd die isländische Regierung kritisiert.

Und da ist ein Krimiarbeitskreis des Verlags, zu dem Sunna ihre Mutter und den sofort begeisterten Helgi mitnimmt. Die beiden wollen sich auch schreibend sofort auf die Suche nach Arndis machen, doch Sunna wählt andere Wege. Sie spürt, dass die Lösung des Verschwindens ihrer ehemaligen Freundin in ihrer gemeinsamen Vergangenheit liegt.
Ebendort wird sie auch Stück für Stück fündig. Das wiederum führt aber auch zur Konfrontation mit ihrem eigenen Leben, seinen Ängsten und Lügen.

Etwa zwei Drittel des Buches kann man gut folgen, dann aber gerät die Geschichte etwas verwirrend durcheinander, so wie das Leben der Protagonistin selbst. Wäre der Rezensent der Lektor dieses ersten von der Autorin auf Deutsch veröffentlichten Buches gewesen, hätte er ihr geraten, das letzte Drittel noch einmal zu überarbeiten. Es schmälert den Lesegenuss der ersten 150 Seiten doch erheblich, und es bleibt ein Eindruck zurück, bei dem man sich fragt: Was wollte Audur Jónsdóttir denn nun erzählen?

Fazit:
Ein Roman, dessen Verlauf überzeugend beginnt und dann immer schwächer wird.

(Winfried Stanzick; 06/2011)


Audur Jónsdóttir: "Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt"
(Originaltitel "Wintersun")
Aus dem Isländischen von Kristof Magnusson.
btb, 2011. 288 Seiten.
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