Gerhard Streminger: "David Hume"

Der Philosoph und sein Zeitalter


Bereits 1984 publizierte Gerhard Streminger zu David Hume. Im September 1994 erschien, damals noch bei Schöningh, seine große David Hume-Biografie, die relativ schnell zum Standardwerk all derer wurde, die sich gründlich über Leben und vor allem Werk des großen Aufklärers informieren wollten. Nun liegt zum Anlass des 300. Geburtstags David Humes die überarbeitete Neuauflage vor, auf die einige interessierte Leser mit Spannung gewartet haben dürften.

Schottland war landschaftlich wie gesellschaftlich nicht immer leicht zugänglich. Abgelegen, von mächtigen Clans durchzogen, durchlebten die Highlands und Lowlands Spannungen religiöser Natur zwischen einem gestrengen Calvinismus und einem Katholizismus, einem ländlichen Norden und einem hochindustrialisierten Süden, während sich Schottland nach außen von dem englischen Nachbarn dynastisch und auch religiös herausgefordert sah, denn da gesellte sich die anglikanische Glaubensform als Dritte im Bunde hinzu. Einer der Höhepunkte dieser Entwicklung lässt sich dramentauglich an Maria Stuart und Elisabeth Tudor festmachen. Dass Andersgläubige existierten, war schon für viele dieser religiös stark imprägnierten Zeitgenossen schwer einsehbar, aber ein Ungläubiger, der dann auch noch klug daherredete und -schrieb, war schlicht inakzeptabel. Für alle Seiten, übrigens.

Solchermaßen war die Welt beschaffen, in die im Jahre 1711 David Hume - oder Home, wie er damals noch hieß - als Spross eines verarmten südschottischen Adelszweiges hineingeboren wurde. David Hume hatte als drittes Kind seiner Zeit entsprechend nicht das große materielle Los gezogen, aber eine Bildungsnähe ist für einen jungen Menschen wichtiger als ein bequemes Erbe. Die Juristerei vermochte ihn nicht zu begeistern, und er brach das Studium ab, um sich der Philosophie zu widmen. Kaum unterbrochen von wenig erfolgreichen Versuchen, sich im Berufsleben einen Platz zu suchen, widmete er sich fortan seinen Studien in eigener Verantwortung. Bereits 1739 erschien seine erste Schrift "A Treatise of Human Nature", der jedoch weder Beachtung noch Erfolg beschieden war.

In den nächsten eineinhalb Dekaden schrieb er seine wichtigsten Werke, die sich mit Politik, Ökonomie und Religion(en) auseinandersetzten: "Essays Moral and Political", "An Enquiry Concerning Human Understanding", "An Enquiry Concerning the Principles of Morals" sowie die erst postum erschienenen "Dialogues Concerning Natural Religion". Daneben verfasste er auch eine englische Geschichte, die aber auf den britischen Inseln mit all den historischen Konflikten mit Notwendigkeit mehr polarisieren musste als überzeugen konnte. Das ist schon eine enorme wissenschaftliche Bandbreite, die er mit einer flächendeckenden Brillanz bediente. In englischen diplomatischen Diensten war er auch noch, sogar an verantwortlicher Stelle, nur der Universitätslehrstuhl wurde von seinen calvinistischen Gegner erfolgreich verhindert: Moralphilosophie war eine durch und durch christliche Domäne, und ein Ungläubiger war hier schlicht undenkbar. Gegen Ende von Humes Leben brachten bereits Vorläufer der schwärmerischen Romantik das Licht der Aufklärung wieder zum Flackern, ähnlich der Gegenreformation 200 Jahre vorher. 1776 starb Hume in seinem Haus in Edinburgh. Dass er dies ohne priesterlichen Beistand und in großer Gelassenheit vollbrachte, konnten sich seine klerikalen Gegner gar nicht vorstellen, und entsprechende Aussagen deklarierten sie nachhaltig als Lügen.

Die aktuelle Neuausgabe der Biografie Humes ist ein Glücksfall, denn Person, Werk und Biograf ragen gleichermaßen aus ihrem jeweiligen Umfeld hervor. David Hume war ein außergewöhnlicher Mensch, der selbst seinen Gegner gegenüber Größe und Freundlichkeit an den Tag legte. Sofern sie sachlich argumentierten, pflegte Hume selbst mit Kritikern ein kollegial-höfliches Verhältnis, was jedoch selten auf Gegenseitigkeit beruhte. Auch das Werk zeugt von einem profunden Geist, der Neues formulierte und viele Zeitgenossen und Spätergeborene beeinflusste. Kant und Schopenhauer mögen als Beispiele gelten. Und in Gerhard Streminger hat Hume einen kongenialen Interpreten oder gar Statthalter gefunden, durchaus mit einem gelegentlichen Augenzwinkern, wenn er angesichts Humes Körperfülle von Obelix spricht. So ganz nebenbei hat er auch noch eine komplexe Region in einer komplizierten Zeit zu erklären.

Allein schon die legendäre Anleitung zum Prüfen von Wundern lohnt die Beschäftigung mit Hume. Diese war durchaus geeignet, den christlichen Glauben zu unterspülen. Streminger bemerkt hierzu, dass, während früher Berichte über Wunder die Glaubwürdigkeit von Religionen zu stützen hatten, diese nun um die Glaubwürdigkeit ihrer Wunderberichte besorgt sein mussten. Und eine Theodizee Leibniz'scher Prägung hatte einem Hume nichts entgegenzusetzen.

Streminger rückt das Edinburgh der Mitte des 18. Jahrhunderts zusammen mit Glasgow als "Aufbruchszeit in das Reich des Geistes" in eine Reihe mit dem perikleischen Athen, dem augusteischen Rom, dem Florenz zur Zeit der Medici, dem Paris der Enzyklopädisten und Wien und Berlin an der Wende zum 20. Jahrhundert. Neben David Hume wirkten Adam Smith, Adam Ferguson, Henry Home, Patrick Murray und auch James Watt, um nur Einige zu nennen. Das ist insbesondere deshalb noch eine Spur bemerkenswerter, als Edinburgh fest in calvinistischer Hand war und der strenge Calvinismus mit Humes Ansichten völlig unverträglich war. Deshalb scheiterte auch Humes Berufung auf einen philosophischen Lehrstuhl, und auch seine zeitweilige Anstellung als Bibliothekar bei der juristischen Fakultät war nur unter größten Schwierigkeiten möglich.

Über David Hume und den damaligen Professor für Moralphilosophie Adam Smith schreibt der Autor: "Mitte des 18. Jahrhunderts gab es im englischen Sprachraum niemanden, der die Meinungen der Menschheit nachdrücklicher beeinflusste als diese beiden Schotten." Eine Biografie diesen Kalibers wünscht man sich natürlich auch für eben jenen zweiten großen Schotten jener Zeit: Adam Smith. Auch wenn gerade kein Jubiläum ansteht.

David Hume: Geschmeidiger als Kant, wohlwollender als Schopenhauer, Schriften von zeitloser intellektueller Ästhetik. Und menschlicher: Man stelle sich Kant oder Schopenhauer vor, wie sie nach einem üppigen Abendessen bei einem Freund mit reichlich Rotwein beladen am Fuße der Kellertreppe auf dem Hintern landeten.

Im Anhang dieser vorzüglichen Biografie finden sich zwei bislang unveröffentlichte Briefe seiner letzten Lebenszeit sowie das "Journal einer Reise durch die Niederlande, durch Deutschland, Österreich und Norditalien aus dem Jahre 1748".
Siglen, Anmerkungen, Abbildungs- und Literaturverzeichnis sowie Personenregister komplettieren diesen Anhang.

(Klaus Prinz; 04/2011)


Gerhard Streminger: "David Hume. Der Philosoph und sein Zeitalter. Eine Biografie"
C.H. Beck, 2011. 797 Seiten mit etwa 30 Abbildungen.
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