Andreas Schachner: "Hattuscha"

Auf der Suche nach dem sagenhaften Großreich der Hethiter


Wenn Steine sprechen

Der Autor Andreas Schachner ist Privatdozent für Vorderasiatische Archäologie und leitet im Auftrag des Deutschen Archäologischen Instituts seit 2006 die Ausgrabungen in Hattuscha-Boğasköy.

Im Vorwort dokumentiert der Autor die Absicht, das Buch nicht als Fachbuch zu präsentieren, es soll "vielmehr [...] Studierenden, Wissenschaftlern und interessierten Laien gleichermaßen einen fundierten Überblick ermöglichen und die vielfältigen Forschungsergebnisse in kompakter Form vermitteln." Thema der Publikation ist das legendäre Hattuscha, Hauptstadt des "sagenhaften Großreich[s] der Hethiter", wie das Buch im Untertitel andeutet. Im Vorwort steht auch dieser hübsche Satz: "Ältere Forschungsmeinungen bleiben daher nicht wie im Falle manch anderer Grabungen ohne die Möglichkeit der Fortentwicklung stehen." Wer denkt da nicht an das petrifizierte Großdrama der Weltliteratur in westlicher Nachbarschaft zu Hattuscha, auf dessen Ruinen sich heute moderne epistemische Dramen abspielen?

Die Hethiter und ihre Kultur waren bis ins frühe 20. Jahrhundert unbekannt. Zwar wurden die Ruinen auf der zentralanatolischen Hochebene bereits anno 1834 von dem französischen Archäologen Charles Texier beschrieben, doch ihre historische Zuordnung begann erst runde 70 Jahr später. Das war eine Sensation, denn gewissermaßen vor der Haustüre wurde eine bronzezeitliche Hochkultur entdeckt, von der vorher niemand etwas ahnte. Bereits der Standort Hattuschas gab und gibt Rätsel auf. Dieser entspricht so gar nicht den Mustern üblicher und auch erfolgreicher Ansiedlungen dieser Epoche, denn Boden und Klima machten es den Siedlern keineswegs leicht. Auch bequeme Handelswege lagen nicht vor. Andere vorderasiatische Stadtgründungen der Bronzezeit, die sich jedoch mehr an Flussläufen und Küstenlinien orientierten, behaupten sich hingegen bis heute. Der Standort Hattuscha erklärt sich in Teilen auch daraus, dass die Siedlung weniger als Zentrum eines künftigen Reiches geplant war, sondern vielmehr als sicherer Rückzugsraum angesehen wurde.

Andreas Schachner breitet vor dem Leser anhand der Grabungsergebnisse ein zeitliches und topologisches Großrätsel aus. Dabei entstehen vor dem neugierigen Auge des Lesers Tempelbezirke, eine Burg, Festungsanlagen, Wohnhäuser, ein komplexes Wassersystem, das geschickt mit geringen Erweiterungen die geologischen Gegebenheiten optimierte. Doch binnen kurzer Zeit wurde aus dem politischen Zentrum des Hethiterreiches eine unbedeutende spätbronzezeitliche anatolische Siedlung. Lassen wir den Autor zu Wort kommen: "Der Zusammenbruch des hethitischen Staates an der Wende vom 13. zum 12. Jahrhundert v. Chr. zeigt eindringlich die Fragilität der hethitischen Kultur, welche die wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen Zentralanatoliens vollständig ausgereizt hatte. Durch ein außergewöhnlich hohes Maß an gesamtgesellschaftlicher Organisation und Disziplin gelang es den Hethitern für mehrere Jahrhunderte, die Balance zwischen dem Verbrauch eines Imperiums und den natürlichen Ressourcen des Landes zu halten." Doch, so sei ergänzt, der Holzverbrauch für Metall- und Keramikproduktion sowie die intensive Land- und Viehwirtschaft zerstörten am Ende das Gleichgewicht. Auch innenpolitische Konflikte und der Zusammenbruch der spätbronzezeitlichen Staatenwelt und der Handelsströme taten ein Übriges.

Niemand erwartet ein solches Thema als abbildungsfreie Prosa, dennoch überrascht die Fülle an Illustrationen. Zwei doppelseitige Vorsatzzeichnungen sowie 158 Abbildung im Text sind schon außergewöhnlich, doch dem Thema durchaus angemessen. Man merkt den Abbildungen teils aber auch an, dass sie nicht für die kleinformatige Abbildung in einem Buch vorgesehen waren, doch insgesamt unterstützen sie den Gegenstand der Publikation sehr gut.

Man erfährt nebenbei auch eine Menge über die Methodiken der Altertumskunde. In dieser Form aufbereitete archäologische Themen könnten ihren Platz künftig durchaus erobern. Da inzwischen einzelne satellitenbasierte Internet-Geodatendienste Höhenangaben in brauchbare Geländeprofile umsetzen können, hat man die Möglichkeit, die Lektüre plastisch zu ergänzen. Das Internet ist für diese Art der Publikation das komplementäre Medium par excellence.

Dem archäologischen Laien leuchtet die immer noch gepflegte Verdeutschung internationaler historischer Namen nicht mehr ein. Als sich noch die Zeichensätze der westlichen Welt fremden Akzentuierungen verweigerten, konnte man Begriffe wie Hattuša nicht abbilden, und ein Hatusa oder Hatusha war gerechtfertigt. Doch heute, da die Welt längst mit Unicode-Zeichensätzen arbeitet, ist ein Hattuscha in doppelter Hinsicht ein Anachronismus.

Wenn man in archäologischen Zeiträumen denkt, so kann es sein, dass eine 15 Jahre alte Rechtschreibreform noch nicht ins Bewusstsein vorgerückt ist. Da müssen wir Leser uns noch ein wenig in Geduld üben.

(Klaus Prinz; 09/2011)


Andreas Schachner: "Hattuscha. Auf der Suche nach dem sagenhaften Großreich der Hethiter"
C.H. Beck, 2011. 364 Seiten.
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