Théophile Gautier: "Mademoiselle de Maupin"
Gautiers
Romanerstling neu übersetzt
D'Albert, männliche Hauptfigur dieser skurrilen Geschichte und
22 Jahre jung, verlangt es nach einer Geliebten. Doch
unglücklicherweise jagt er einer Idealgestalt hinterher, einer
Truggeburt seiner Fantasie, ohne große Hoffnung, sie jemals
zu finden. Dies alles erfahren wir von D'Albert persönlich,
denn Gautier lässt seinen männlichen Hauptdarsteller
selbst zum Leser sprechen in mehreren Briefen, in welchen er seine
Gedanken, Sorgen und Wünsche einem Freund anvertraut. Bis zum
sechsten Kapitel, und damit immerhin 187 Seiten lang, spricht D'Albert
so zu den Lesern, dann spinnt der Autor als neutraler Beobachter den
Erzählfaden weiter. Aber schon nach zwei Kapiteln bzw. 50
weiteren Seiten erteilt er D'Albert wieder das Wort, denn der hat etwas
Wichtiges zu vermelden: Er ist seinem "Urbild der
Schönheit" begegnet. Doch zu D'Alberts
unaussprechlichem Entsetzen ist es ein Mann. Oder etwa doch eine als
Mann verkleidete Frau? D'Albert ist verwirrt und unschlüssig,
was er tun soll. Ab dem zehnten Kapitel übernimmt
dann Theodore de Serannes alias Madelaine de Maupin, das
personifizierte Traumbild D'Alberts, den Erzählfaden. Und
diese etwas launenhafte Mademoiselle de Maupin hat tatsächlich
beschlossen, als Mann verkleidet durch die Lande zu ziehen, um hinter
dieser Maskerade das andere Geschlecht möglichst gewissenhaft
und ungezwungen studieren zu können. Den Fortgang der
Geschichte erfährt der Leser nun abwechselnd einmal aus der
Feder bzw. der Sicht D'Alberts, dan wieder aus der Madelaine de Maupins.
"Mademoiselle de Maupin", Gautiers erster Roman, den er vermutlich im
Alter von 22 Jahren begonnen hatte, besticht bereits durch die
Geschliffenheit des Stils sowie durch die Brillanz seiner Sprache.
Baudelaire
bezeichnete seinen Dichterkollegen Gautier gar als den "vollkommenen
Magier der französischen Literatur." Gautiers
Romanerstling ist der französischen Dekadenz bzw.
der schwarzen Romantik zuzuordnen und erregte nach seinem Erscheinen
einiges Aufsehen. Zum Einen wegen seiner heiklen Thematik. Dolf Oehler
bringt sie in seinem ausgezeichneten Nachwort wie folgt auf den Punkt: "Mademoiselle
de
Maupin, dieses wunderliche Meisterwerk, das zugleich von einer
unmöglichen Liebe und von der Unmöglichkeit der Liebe
handelt." Zum Anderen sorgte der Roman für Aufsehen,
weil der Name der Titelheldin von einer skandalumwitterten Person aus
der Pariser
Bohème des frühen 18. Jahrhunderts
entlehnt wurde. Der männliche Hauptprotagonist D'Albert
hingegen kann - nicht allein wegen des Alters - wohl als alter ego des
Autors angesehen werden.
Gautier würzte seinen Roman mit zahlreichen pointierten
Aussagen zur Kunst, zur Schönheit,
zur Liebe,
die oft etwas Provozierendes an sich haben. Erotik,
schwarze Romantik, Sarkasmus und sogar ein latenter Sadismus geben sich
hier ein äußerst fruchtbares Stelldichein. Im
Folgenden nun ein paar bezeichnende Auszüge aus dem Text: "Von
allen Ruinen der Welt bietet die menschliche Ruine gewiss den
betrüblichsten Anblick." Oder: "Die
kleinste Falte kann zum Grab für die größte
Liebe werden." Noch krasser: "Ich wundere mich
immer wieder, dass sich Frauen, wenn sie jenseits der Dreißig
oder pockennarbig sind, nicht vom Kirchturm stürzen."
In solchen und vielen ähnlichen Aussagen kommt der bis zu
Exzess gepflegte Schönheitskult der europäischen
Dekadenz zu Ausdruck. Sogar das Leben selbst wird in Frage gestellt: "Sehr
häufig
besteht der Sinn des Lebens nur darin, dass es nicht
der Tod ist. Das ist alles."
Eine begrüßenswerte Neuübersetzung in
ansprechender Ausstattung und handlichem Format.
(Werner Fletcher; 08/2011)
Théophile
Gautier: "Mademoiselle de
Maupin"
(Originaltitel "Mademoiselle de Maupin")
Aus dem Französischen von Caroline Vollmann.
Nachwort von Dolf Oehler.
Manesse, 2011. 628 Seiten.
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