Julian Schütt: "Max Frisch"
Biografie eines Aufstiegs
Ein ganzes Buch über einen
halben Frisch
Der Autor Julian Schütt studierte Germanistik, Philosophie sowie
Vergleichende Literaturwissenschaft und promovierte über "Schweizer
Literaturwissenschaft in der Zeit des Nationalsozialismus". Er
konzipierte die große Max-Frisch-Ausstellung 1998 und arbeitet als
freier Journalist und Autor.
Max Frisch wird hundert: Zeit für eine Bilanz, eine Lebens- und
Werkbeschreibung. So könnte man zumindest meinen. Doch das Buch
beschränkt sich auf die Zeit bis zum Erscheinen des Romans "Stiller"
im Jahre 1954. Hierfür macht der Autor vornehmlich die unsichere
Quellenlage der späteren Zeit verantwortlich und insbesondere den
Umstand, dass wesentliche Teile des Schriftwechsels zwischen Frisch und
Bachmann noch
unter Verschluss sind. Doch, so tröstet der Autor seine Leser, das Buch
folgt der Zeit, in der Frischs Entwicklung noch im "Fluss und
ungesichert ist, immer wieder am Anfang, wie sich Frisch das wünschte".
Doch dieser Trost vermag auf den ersten Blick seine Wirkung nicht zu
entfalten, denn wer legt schon gerne eine Biografie bei der Hälfte des
Weges aus den Händen? Die Argumente des Autors vermögen jedoch trotz
anfänglicher Skepsis zu überzeugen, denn eine fundierte halbe Biografie
ist am Ende einer in Teilen spekulativen ganzen deutlich vorzuziehen. Da
der Autor mit 47 Jahren für einen Biografen noch recht jung ist, bietet
sich womöglich für ihn noch die Chance, den zweiten Teil nachzuliefern.
Jedenfalls macht der vorliegende Band gehörig Lust auf eine Fortsetzung.
Max Frisch wird also hundert. 1911 wurde er in Zürich in die Anfänge
einer unruhigen Zeit geboren. Neben den hinreichenden Schwierigkeiten
eines normalen Heranwachsenden gesellte sich noch eine problematische
Vaterbeziehung hinzu, die er zusammen schon als Schüler in literarische
Energie umzusetzen wusste. Schillers
Initialzündung ist Carl Eugen zu danken, Hesses
dem zugigen Kloster Maulbronn und Frischs dem Vater, der in diesem Stoff
für ein ganzes Schriftstellerleben anlegte.
Ab Ende 1930 studierte er Germanistik im Hauptfach an der Universität
Zürich, doch nach dem Tod des Vaters im Jahre 1932 verlegte er den
Schwerpunkt auf das Feuilleton, nicht zuletzt aus finanziellen Gründen.
In dieser Zeit lernte er Käte Rubensohn kennen, eine Berliner Jüdin, die
in Zürich studierte, die er sogar geheiratet hätte, um ihr den
Aufenthalt in der Schweiz zu sichern - doch sie lehnte, das Motiv
erahnend, ab. Die Schweiz entwickelte sich zusehends zu einem Zentrum
deutscher Exilanten, die dann das Gastland auch zu instrumentalisieren
suchten. Politisch war Frisch in erster Linie Schweizer. Den Nationalsozialismus
mochte er ebenso wenig wie die Schweizerischen Frontisten, aber ebenso
verwahrte er sich dagegen, dass die Schweiz zur politischen Bühne der
deutschen Exilanten wurde. Die Schweiz habe neutral zu sein, also weder
für die Deutschen noch gegen diese zu agitieren. Eine schwierige Zeit,
insbesondere für einen jungen Schriftsteller.
Die Schilderung dieser kaum zu überschauenden Strömungen und Ansichten,
die die Schweiz während der Nazizeit durchzogen, bildet eines der
Glanzstücke dieser Biografie. Frischs anfängliche Unsicherheit, die
Kontroversen und die später einfach gelebte Normalität inmitten eines
entzündeten Kontinents gehört zu den nachdrücklichsten Teilen des
Buches. Hitlers Überfall auf Polen hatte die allgemeine Mobilmachung der
Schweizer Armee zur Folge, und 430.000 Soldaten, darunter Frisch, wurden
zu den Waffen gerufen, und Frisch hielt in seinem Dienstbüchlein fest: "Ich
verweigerte mich jedem Zweifel an unserer Armee." Doch dieser
alpine Ort der Neutralität wirkte inmitten des kriegerischen Kontinents
unwirklich. "Es schreit nicht, es stinkt nicht, es starrt nicht, es
röchelt nicht, es brennt nicht", schrieb Frisch.
Auch wenn man Frisch in den Dreißigerjahren gelegentlich Blauäugigkeit
im Umgang mit den Nazis vorwerfen kann, so änderte sich diese spätestens
mit Kriegsbeginn grundsätzlich, und nach dem Krieg war Frisch einer der
Ersten, die das Thema der "Schuld der Schweiz öffentlich
thematisierte, die Schuld, dass man viel früher über die Verbrechen
der Nazis Bescheid gewusst habe und dazu schwieg, ja noch Handel mit
den Verbrechern trieb."
Zwischen 1936 und 1940 absolvierte Frisch ein Studium der Architektur
an der ETH Zürich, da der freie Journalismus den Mann nicht nährte.
Interessant ist übrigens, dass sein Vater auch Architekt war. Etwa eine
Dekade nährte, wie beabsichtigt, die Architektur den Mann, bis er
langsam aber sicher von der Schriftstellerei leben konnte, Stipendien
mit eingerechnet.
Frischs Reportagen, Erzählungen, Romane und Schauspiele sind in die
biografischen Elemente eingewoben. Zwischen dem "Jürg Reinhard. Eine
sommerliche Schicksalsfahrt" aus dem Jahr 1934 und dem 1954
veröffentlichten "Stiller" bewegen sich die diesem Buch zugrunde
liegenden Publikationen, die jeweils aus Entstehung, Synopsis und
vorsichtiger Deutung bestehen.
Man begegnet Brecht,
Dürrenmatt
und natürlich Suhrkamp, ohne den Frischs Weg wohl ein anderer geworden
wäre.
Selbst wenn man nach der Lektüre der bekanntesten Werke glaubt, mit
Frisch mehr oder weniger durch zu sein, so macht diese Biografie doch
Lust auf das eine oder andere weniger bekannte Stück. Optimal dürfte
wohl eine werkbegleitende Lektüre dieser auszuzeichnenden Biografie
sein. Drei, vier Monate Frisch am Stück wäre sicherlich kein schlechtes
Unterfangen, wenn einen die Welt für diese Spanne in Ruhe ließe.
Fazit:
Kompetent und stark in der werkbetonten Sicht auf Frisch. Auch die
komplizierte Haltung der Schweiz und der Schweizer während des Dritten
Reiches zu Deutschland und Europa, zwischen Neutralität, Mobilmachung,
Wegducken und Verantwortung sind eine biografische Meisterleistung.
Chapeau!
(Klaus Prinz; 04/2011)
Julian Schütt: "Max Frisch. Biografie
eines Aufstiegs"
Suhrkamp, 2011. 592 Seiten.
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