Péter Esterházy: "Ein Produktionsroman. (Zwei Produktionsromane)"
Wenn die Parodie im Keim
erstickt wird oder wie man sich ein Eigentor schießt
Die Gattung des Produktionsromans muss man in eine ähnlich abstruse
Schublade
stecken wie die kommunistischen Propagandalieder, gewidmet den Bauern,
den
Kindern und vor allem dem Proletariat. Schein war alles, und alle
Menschen
sollten in jeder Hinsicht spüren und wissen, dass sie im besten,
schönsten und
gerechtesten System auf dieser Welt lebten, liebten und arbeiteten.
Für die Erfüllung des kommunistischen Plansolls wurden Komponisten für
das
Erschaffen von sozialistisch realistischen Symphonien, Konzerten und
Sonaten
(bevorzugt mit Widmungen an das Proletariat, an die tapferen Raumfahrer
oder
andere Sowjethelden) fürstlich bezahlt, Schriftsteller und andere
Künstler für
gleichwertige Werke der jeweiligen Sparte.
Die Menge von mittlerweile unbedeutenden Romanen, Bildern und
Musikwerken dieser
Zeit ist fast unüberschaubar groß.
Dass die wahren Künstler, die in diesem Biotop von Speichelleckern und
Konformisten lebten, versuchten, die Vorgaben zu parodieren, bestenfalls
so,
dass es dem jeweiligen Inspizienten im Ministerium nicht auffallen
würde, ist
verständlich. Solche Werke gibt es in der Literatur und der Musik, z.B.
Sergei
Prokofieffs Symphonie Nr. 7, die, wenn auch der sowjetischen Jugend
gewidmet,
dem gutheißenden Inspizienten, der Prokofieff den höchsten Honorarsatz
ausgezahlt hatte, den Arbeitsplatz und die Wohnerlaubnis in Moskau
gekostet hat,
da die bei der Uraufführung anwesenden Parteibonzen die Ohrfeige
Prokofieffs
eindeutig spürten.
Péter Esterházys "Ein Produktionsroman (Zwei Produktionsromane)"
versucht sich vermeintlich in ebendiesem Genre und beginnt, wortgewandt
und
assoziativ, als quasi typischer Produktionsroman. Ein technisches
Institut, der
junge Techniker Imre, der Genosse Generaldirektor Gregory Peck und eine
von
allen begehrte blonde Sekretärin mit dem kecken Namen Marilyn Monroe.
Zusammenfassend besteht der erste Produktionsroman aus dem Werken der im
Institut arbeitenden Techniker, die, mit der gefährlichen Waffe "das
Terminal" ausgestattet, besorgt ihre Arbeit erledigen sollen.
Dossiers
und Mappen sollen gefüllt werden, das erstarkende Vaterland soll mit
Daten überschwemmt
werden. Doch in Wahrheit kümmert sich natürlich niemand um das
Vaterland,
sondern wühlt so gut er oder sie jeweils kann, im kleingeistigen
Sammelbecken
der Intrigen, Konkurrenzkämpfen, des Mobbings
und der Eifersüchteleien, in denen die aufreizende Marilyn natürlich im
Zentrum des Geschehens zu finden ist.
Dass das Ganze nur in einer Tragödie enden kann, ist vorprogrammiert,
und so
begräbt eine sintflutartige Welle aus Akten und Dokumenten das Institut
unter
sich.
Absurde Szenen von fast surreal bizarren Sitzungen und die Anwendung von
erfundenen und ebenso absurden Schädlingsbekämpfungsmitteln folgen, oder
leiten teilweise wirklich beeindruckende Momente ein, wie zum Beispiel
eine mehr
als zehn Seiten dauernde Gedankenlinie, die sich um die Frage, "was
ich
tun würde, wenn ich Chef wäre" dreht. Denn, wie der Protagonist
bemerkt, "würde er dann klauen, betrügen, lügen; man würde ihm auch
Luft zufächeln ..."
Dass sich Péter Esterházy in diesem Roman (diesen Romanen) mehrfach
selbst
verewigt, ist eine weitere Anspielung in diesem in Anspielungen
ertrinkenden
Roman.
Imre Tomcsányi, der Hauptprotagonist des ersten Teils, erweist sich im
zweiten
Teil, als Erfindung und Alter Ego des Autors Péter Esterházy, der
wiederum
zwischen Peter
Eckermann (Goethes
Chronisten) und Péter Esterhazy, beide mit
dem Kürzel P.E. abwechselt ...
Und so hetzt man atemlos und mit wachsender Verzweiflung dem Verständnis
aller
Anspielungen und Pointen hinterher, während man enttäuscht feststellen
muss,
dass man im Meer der fließenden, postmodernen Übergänge, in den Wechseln
zwischen den beiden Produktionsromanen oft im Sumpf des Unverständnisses
hängengeblieben
ist. Und so gelangt man frustriert und unbefriedigt ans Ende dieser
fünfhundertvierundvierzig
Seiten, wissend, dass man soeben ein für die ungarische Literatur immens
wichtiges Werk gelesen hat, wissend, dass man soeben den für Péter
Esterházy
vielleicht entscheidenden Startschuss erlebt hat, annehmend, dass
Térezia Mora
eine übersetzerische Glanzleistung erbracht haben muss, und froh, dass
man es,
trotz immer wieder auftretender Verzweiflung durch den ersten
Produktionsroman
und den aus Hunderten von Fußnoten bestehenden zweiten Produktionsroman
geschafft hat.
Leider stellt sich nur keine wirkliche Genugtuung ein, kein Gefühl der
Belohnung, aber auch kein Gefühl, dass man als Leser in diesem
übertriebenen
Werk der Übertrumpfung, in dem der Autor vermutlich auch James
Joyce auf den Zahn fühlen wollte, etwas wirklich Großes gelesen
hat.
Denn einerseits ist die in diesem Roman parodierte Welt des
sozialistischen
Realismus ohne zwingende literarische Umsetzung im Jahr 2011 bereits zu
weit
entfernt, und da andererseits der sowieso schon chimären- und
sprunghafte Text
in seinem Fluss durch das permanente Hin und Her zwischen den beiden
Produktionsromanen (allerdings verlagstechnisch schön mit zwei
Lesebändchen
gelöst) erheblich gestört, eigentlich sogar zerstört wird.
Möglicherweise
ist ja genau das die Absicht des Autors gewesen, wenn ja, so ist das
sehr
gelungen.
Dem Roman bzw. den beiden Romanen, wenn man will, fehlt aber dieses
literarisch
Zwingende, dieses Fortführende; etwas, das dazu führen könnte, diesen
Roman
als beglückendes Leseerlebnis im Gedächtnis bleiben zu lassen. Auf dem
Spielfeld der beiden Produktionsromane besiegt jedoch am Ende die
historische
Tatsache des Existierens dieses Romans das literarische Interesse durch
ein
lupenreines Eigentor.
(Roland Freisitzer; 03/2011)
Péter
Esterházy: "Ein Produktionsroman. (Zwei Produktionsromane)"
Aus dem Ungarischen von
Terézia Mora.
Berlin Verlag, 2010. 544 Seiten.
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Ein weiteres Buch
des Autors:
"Esti"
Wie in seinem gefeierten Roman "Harmonia Caelestis" spielt Péter
Esterházy mit der Identität und treibt sein Spiel hier auf die Spitze.
Er wird
zu
Kornél Esti, dem charmantesten Romanhelden der Literatur
aus Ungarn, einer Erfindung des großen Schriftstellers Dezsö
Kosztolányi. Esterházy schlägt Haken und Kapriolen, taucht ab - bis
alles, jede Begebenheit, jeder Gedanke die Form von Kornél Esti annimmt.
Esti kann eine Studentin in skandalös kurzen Röcken sein, die Jungfrau
Maria oder auch ein betender Karpfen. Zugleich schreibt Péter Esterházy
aber auch seinen eigenen romanhaften Lebenslauf, denn "Kornél Esti -
c'est moi". Ein echter Esterházy. (Hanser Berlin)
Buch
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