Ulrike Draesner: "Richtig liegen"
Geschichten in Paaren
Darüber, dass es wichtig
ist, richtig zu liegen, während das Leben an einem vorbeizieht
Ulrike Draesner legt in ihrem Buch "Richtig liegen" siebzehn
Kurzgeschichten vor. Dass es in ihnen um das Glück ginge, meint der
Klappentext. Auch um Liebe und Karriere. Um die Dinge also, die jeden
von uns doch alltäglich umgeben. Und diese Dinge präsentiert Ulrike
Draesner in ihrer bekannt nüchtern wirkenden Sprache, die sich mit
Anglizismen und der gängigen Werbe- bzw. Mediensprache in ihre
fiktionalen Räume begibt.
Die Auftaktgeschichte "Zarte Ration" erzählt von Birte, die sich in den
ziemlich dicken Ed verliebt.
"[S]ie kroch neben ihn, sah zum ersten Mal, wie er sich selbst sah:
die Weite der Brust, der um vieles weitere Bauch. Die Knie. An den
Knien fingen die Beine erst an. Zwei Füße mit Schuhen groß wie Boote.
Hässlich? Hässlich. Boote aber auch, wie um auf dem Nil zu fahren,
weit fort. Sie hatte ihre Wange gegen die seine gelegt. [...] Bei Ed
stieß sie sich nirgends an, nicht einmal an sich selbst" (10f.).
Und dennoch stößt sich die Gesellschaft an ihr und ihrem Verhältnis zu
Ed, der sie in seine Essensrituale einweiht, sie über "die
Verbindung zwischen Innerem und Äußerem" nachdenken lässt, die
Beziehung zu ihren Eltern mit neuen Fragen belegt, und Birte dennoch
nicht davon abhält, mit anderen Männern Sex zu haben.
Ein wenig schulterzuckend, weil so unspektakulär erzählt, spricht es
sich in dieser Geschichte vom Zusammenleben der Menschen, von dem, was
sie zusammen hält, und vom Glück, das "immer aussieht wie ein
Motorrad von hinten in den Bergen, die Serpentinen herab" (28).
In den folgenden Geschichten, "Das Lächeln der Ehefrau", "Sommerfrische"
oder "Das Brüh" erzählt Ulrike Draesner ganz selbstverständlich vom
"Fremdgehen". Es scheint, als würden die Menschen in ihren
Geschichten sich dem ohne große Fragen (an Moral, Treue,
Geschlechtskrankheiten, ...) hingeben, es scheint dabei sogar so, als
gäbe es dabei keine wirkliche, diese an die Ewigkeit des Begehrens
gebundene Leidenschaft - egal, ob sie dann nur eine Nacht, ein paar Tage
dauert oder doch bereits als Affäre betitelt werden könnte.
Dass Fleisch zu Fleisch findet, "[d]enke ich wieder daran, senke ich
den Blick, als sitze mir ein Knutschfleck im Gesicht, dabei fließt mir
höchstens etwas um die Augen, das man nicht wirklich sehen kann. Er
roch überall anders, [...]" (65), scheint unabdingbar zu sein.
Die Menschen in Ulrike Draesners Buch sind ständig unterwegs, sie
arbeiten sich im Fitnessstudio oder Büro ab, sie leben ein Leben
mit Menschen zusammen, die sie im Verlauf ihres eigenen
Vorwärtsschreitens dann doch nur streifen. Das Einzige, was den Menschen
hält, sind die eigenen Gedanken, die innere Beschäftigung mit dem
Äußeren.
Die Geschichte "Das Denkmal der Läuferin" könnte man als eine von Ulrike
Draesner vollzogene Adaption des Kafka'schen
Hungerkünstlers sehen. Die Läuferin spricht über die Entwicklungen
der Laufsucht. In ihrer Kindheit widmete sie sich einer Essstörung, nun
im erwachsenen Alter entdeckt sie durch einen ungeplanten Zufall, "als
ihr einmal die Straßenbahn vor der Nase wegfuhr [...]. Einer spontanen
Eingebung folgend lief die zukünftige Läuferin der Bahn zu nächsten
Haltestelle nach, die sie zeitgleich mit dem Zug erreichte" (125).
Wer kennt ihn nicht, diesen um ein normales Dasein in seinem Leben
bemühten Hungerkünstler? Diesen Hungernden, der am Ende im Zirkus landet
und vergessen und ungeliebt nach seinem Tod gegen einen Panther
ausgetauscht wird. Warum nur musste er bis zur Maßlosigkeit hungern? "'Weil
ich,' sagte der Hungerkünstler, [...], 'weil ich nicht die Speise
finden konnte, die mir schmeckt. Hätte ich sie gefunden, glaube mir,
ich hätte kein Aufsehen gemacht und mich vollgegessen wie du und
alle.'" Soweit Kafka.
Wobei Attal, der der Läuferin eines Tages begegnet, als Trainer, "[v]ermutlich
arbeitete er als Jogging-Scout" (127), und coachender
Fürsprecher der Läuferin eine Erweiterung zum Impressario im
Hungerkünstler darstellen würde. Denn Attal ist Begleitfigur für die
Läuferin, er trainiert sie, ist stärker im Laufen
als sie und geht, "[a]ls die Läuferin das lange reglose Stehen an
den Kassen der Supermärkte nicht mehr ertrug, [...] selbstverständlich
für sie einkaufen" (128).
Auch in Draesners Geschichte, die das Hungern
als Kinderkrankheit hinter sich lässt und sich dem stetigen Vorwärts
ohne Bremsen oder Pause verschreibt, bleibt von der Protagonistin nicht
mehr viel übrig. Ein wenig kann die Mutter der Läuferin durch ihre
ökonomische Wirkkraft - "Die Firma, die ihr gehörte, kannte jedes
Kind der Stadt." (135) - den Blick auf ihre Tochter verstärken,
doch am Ende bleibt die Läuferin ein Link in den Weiten des
Internets, und: "Dann wurde auch diese Datei gelöscht" (137).
Wie dieser angedeutete Vergleich zu Kafka zeigen möchte, benutzt Ulrike
Draesner "auch" in der gegenwärtigen Zeit und in ihrem sehr
jetztverhafteten Ton das Mittel des undurchsichtigen, parabelhaften, ja
kafkaesken Schreibens. Sie schreibt sich gewissermaßen mit "Das Denkmal
der Läuferin" in eine Auseinandersetzung des Einzelnen mit den
Umliegenden ein, wie sie ganz basal gesehen auch in Kafkas Geschichte
dargestellt wird.
Der Hungerkünstler wollte Bewunderung, eine Akzeptanz von der Außenwelt,
ein Dazugehören zum sozialen Kreis. Er wird ersetzt, keiner denkt mehr
an ihn. Die Läuferin bleibt ein medialer Verweislink, der sich
nur noch zum Löschen eignet. In dieser Geschichte gibt es keinen reellen
Tod, der virtuelle Tod reicht aus, um im Schlamm der Vergessenheit zu
versinken.
Die Kurzgeschichten schwanken zwischen namentlicher Anonymität /
Austauschbarkeit und konkreter, individueller Erzählsituation, die
letztlich Ähnliches bewirkt, weil die Situationen sich wiederholen, weil
die Endpunkte der Texte sich auf das Ende eines darzustellenden Problems
beschränken, das Leben der Protagonisten wird einfach nur ausgeblendet.
Weitergehen wird es im Kopf des Lesers, der Verknüpfungen sucht oder
Antworten auf Fragen, die sich hier - so unmoralisch und kalt
dargestellt - offenbaren.
Manchmal möchte man sagen, so unspezifisch und kalt lebt man doch nicht
dahin, das ist zu symbolisch, das ist nicht das Leben, wo man die
Glücksmomente sammelt, so roboterhaft wachen die Menschen nicht einen
Tag nach dem anderen durch.
Aber dann erkennt man die Struktur des Lebens doch immer wieder und
wieder, auch wenn es, wie in der Geschichte "Sei versichert ..." für den
Leser niemals richtig zu fassen sein wird, was dieses Trio Pider, Kolbe
und die Ich-Erzälerin, wirklich verkauft, auch wenn sie am Anfang ganz
klar behaupten: "[W]ir verkauften Gefühl
[...]" (73).
Ulrike Draesners Geschichten lesen sich scheinbar einfach dahin, aber
dann, dann liegen sie schwer im Magen.
(Christin Zenker; 06/2011)
Ulrike
Draesner: "Richtig liegen. Geschichten in Paaren"
Luchterhand Literaturverlag, 2011. 252 Seiten.
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