Theo Buck: "Die Adler im Sumpf'"
oder Die missratene deutsche Einheit.
Interpretation zu Heiner Müllers "Mommsens Block"
Mommsens Block
Gegenstand dieser Publikation Theo Bucks - eines emeritierten Professors
für neue deutsche Literatur - ist ein Gedicht des deutschen Lyrikers und
Dramatikers Heiner Müller. Ein Gedicht mit dem etwas eigenwillig
anmutenden Titel "Mommsens Block". Und als Block erscheint dieses
erstaunliche Werk gleich in mehrfacher Hinsicht. Der Leser, der Theo
Bucks Buch zur Hand nimmt, wird "Mommsens Block" wahrscheinlich zunächst
einmal mit dem blockförmigen Mommsen-Denkmal vor der Berliner Humboldt
Universität assoziieren, denn dieses Denkmal ist auf der Vorderseite
abgebildet. Doch schlägt man das Buch dann auf, so erscheint auch das
Gedicht als ein einziger großer Block. Und als Block wirkt Heiner
Müllers Gedicht vor allem durch die fehlende Interpunktion sowie durch
die ebenfalls fehlende Gliederung in Strophen oder Abschnitte. Der Leser
muss sich seine Orientierungspfähle also selbst stecken, es sei denn,
ein kundiger Führer wie Theo
Buck leistet ihm Hilfestellung. In der Tat droht sich "Mommsens
Block" in seiner Sperrigkeit auch als ein Block vor das Verständnis des
Lesers zu legen, denn obwohl jegliche Interpunktion fehlt, wirft der
Text doch etliche Fragezeichen auf, die durch Theo Bucks Analyse jedoch
überzeugend auf den Punkt gebracht werden. Weiterhin steht "Mommsens
Block" für Schreibblockade, unter Anderem bezogen auf den nicht
geschriebenen vierten Band von Mommsens Römischer Geschichte. Bezogen
aber auch auf Heiner Müllers eigene Schreibhemmung, die aber laut Theo
Buck nicht etwa mit einem künstlerischen Scheitern gleichzusetzen ist.
Es ist vielmehr "die Last der Geschichte, die sein Schreiben lähmt."
Der Autor sieht Müller denn auch als einen Chronisten des Scheiterns an,
eines Scheiterns auf mehrfacher Ebene: das Scheitern
der
römischen Legionärs-Adler im germanischen Sumpf, das Scheitern des
deutschen Reichsadlers nicht nur auf den blutdurchtränkten
Schlachtfeldern der Weltkriege, sondern auch schon bei der
Reichsgründung, und nicht zuletzt das Scheitern des deutschen
Bundesadlers im Korruptionssumpf von Macht und Kapital im Zuge der Wiedervereinigung.
Die Sumpf- und Adler-Metapher erfüllt also eine wichtige Funktion in
"Mommsens Block". Nun ist es aber nicht so, dass sich Müllers Kritik
ausschließlich gegen das kapitalistische System des Westens richtete,
wie Theo Buck aufzeigt, auch "die roten Cäsaren", die durch
ihren Staatsterror die Idee des Kommunismus auf geradezu perverse Art
verraten haben, erfahren harsche Kritik. Heiner Müller: "Die einzige
Legitimation der DDR kam aus dem Antifaschismus, aus den Toten, aus
den Opfern." Einen Block assoziiert man gemeinhin mit etwas
Kompaktem. Das mag auch für "Mommsens Block" zutreffen, denn das Gedicht
komprimiert auf relativ knapp bemessenem Raum (224 Zeilen) in Blockform
das, was Heiner Müller in seinen letzten Lebensjahren gedanklich
beschäftigt hat. Theo Buck sieht das Gedicht als ein "spannungsvolles
Konzentrat" der Themen, mit denen sich Heiner Müller in seinen
späten lyrischen Texten auseinandergesetzt hat, an anderer Stelle
spricht Theo Buck von "lyrischer
Selbstbefragung und Selbstdarstellung" Heiner Müllers mittels
"Mommsens Block". Die analytische Ausdeutung des Textes ist dem Autor
bestens gelungen, zudem ist das Buch verständlich geschrieben, selbst
für den literaturwissenschaftlich nicht geschulten Leser. Und so wird
die Lektüre dieses Buches nach anfänglichen Schwierigkeiten mehr und
mehr zu einem anregenden Vergnügen.
(Werner Fletcher; 04/2011)
Theo Buck: "Die Adler im Sumpf oder Die
missratene deutsche Einheit.
Interpretation zu Heiner Müllers 'Mommsens Block'"
Weidler Buchverlag, 2011. 106 Seiten.
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