Knut Görich: "Friedrich Barbarossa"

Eine Biografie


Eine große Biografie des Staufers mit dem roten Bart

Materialien


Biografien historischer Persönlichkeiten decken meist einen Menschen auf, der vorher so nicht in den Köpfen der Leser anzutreffen war. Neben der Menge biografischer Fakten, die ein solches Werk transportiert, steckt darin auch ein Bild des Biografierten, ein Fazit eines Lebens, das oft völlig neue Züge aufweist. So auch die vorliegende Biografie Knut Görichs, der Mittelalterliche Geschichte an der LMU München lehrt. Das verdeutlicht bereits der erste Satz: "Friedrich Barbarossa ist gewissermaßen eine Entdeckung des 19. Jahrhundert - und zu einem guten Teil auch dessen Erfindung." Im 19. Jahrhundert galt er etwas, der Barbarossa, legendenumrankt, glorifiziert, Kondensationskern der Romantiker. Schon die Brüder Grimm und Friedrich Rückert legten die literarischen Grundlagen der Popularität des um 1122 geborenen Friedrichs. Der Hohenzollernkaiser Friedrich III., Sohn des ersten Wilhelms und Vater des zweiten, betrachtete sich in einer auf Friedrich Barbarossa zurückgehenden Tradition kaiserlicher Friedriche als Friedrich IV., wurde jedoch auf die Hohenzollern reduziert als Friedrich III. eingeordnet.

Gleich zu Anfang des Buches erahnen wir die Schwierigkeiten, die sich einem Historiker auftun, der sich Friedrich in biografischer Absicht nähert, denn aufgrund der historischen Unsicherheiten der vita frederici stehen einer Biografie viele methodische Hindernisse im Weg. Wenn der Autor es dennoch tue, dann "vor allem in der Absicht, den Verführungen retrospektiver Geschichtsdeutungen zu widerstehen und das Handeln des Staufers konsequent zu historisieren, aus seiner Zeit heraus zu deuten und seine Beschreibung nicht an den anachronistischen Fluchtpunkten der Kategorien moderner Staatlichkeit auszurichten". Die Quellenlage ist zweifelsohne nicht sehr ergiebig, und vieles baut auf Vermutungen, die jedoch eine Menge Sachverstandes verlangen, um nicht als Spekulation zu enden.

1152 starb König Konrad III., ein Onkel Friedrichs. Konrad hatte seinen noch minderjährigen Sohn Friedrich als Nachfolger vorgeschlagen, doch die zu Frankfurt versammelten Fürsten bevorzugten Konrads Neffen Barbarossa. Dieser Wahl sind nicht unerhebliche Verhandlungen und Absprachen, Versprechen und Zusagen vorausgegangen, wie der Autor belegt. Auch in diesen legendenumrankten, verklärenden und verteufelnden Geschehnissen bewegt sich der Autor vorsichtig und versucht die wahren Ereignisse freizulegen. Bestehen zu einem Punkt Unsicherheiten, so geht der Autor folgendermaßen vor. Es werden vergleichbare, gesicherte Szenarien vorgestellt. Dann werden mögliche Verhaltensweise Barbarossas daran gespiegelt. Am Ende weiß man zwar nicht, wie es sich abgespielt hat, aber man hat ein Gefühl für den Handlungskontext. Das ist zwar ernüchternd, aber aufrichtig. Friedrich wird also gewissermaßen von seinem Biografen in kontingente Watte gehüllt, von der er sich dann nicht mehr trennen lässt. Dieser etwas ungewöhnliche Ansatz stellt sich am Ende aber als die einzig seriöse Vorgehensweise heraus.

Schon im Krönungsjahr zog Barbarossa mit seinen Reichstagen durch das Land. Anfang 1153 richtete sich das königliche Augenmerk auf die langobardischen Usurpationen im Süden Italiens durch Roger II. Hier sah sich Barbarossa im Bündnis mit Byzanz und dem Kirchenstaat, mit dem ihn jedoch nicht nur Harmonie verband. Ein weiterer Konflikt ergab sich in Mailand, das sich durch Unbotmäßigkeit ausgezeichnet hatte und weiterhin auszeichnen sollte. Ziel der Reise nach Italien war aber auch die Kaiserkrönung. Und so zog der Tross zwischen Oktober 1154 und September durch Italien, Reichstag inklusive, Kaiserkrönung durch Hadrian IV. ebenfalls.

1158 fand der zweite Italienzug statt, um das aufmüpfige Mailand zur Ordnung zu rufen. Den folgenden Reichstag in Roncaglia nutzten die angesehenen Juristen der Universität Bologna, Friedrich von der Notwendigkeit eines geschriebenen Kodex auf Basis des Römischen Rechts zu überzeugen. Die naturgemäß seltenen Besuche in Italien machten es erforderlich, dass in Abwesenheit Barbarossa durch Legaten (Podestàs) Verfahrensgrundsätze zur Anwendung kamen. Da liegt vielleicht auch ein Moment frederizischer Größe, dass der illiterate Kaiser sich dem Rat von Gelehrten anvertraute, die ihm intellektuell weit überlegen waren. Sie werden ihm dennoch tüchtig geschmeichelt haben.

Bei der Eroberung setzte Barbarossa sehr zweifelhafte Strategien ein, die sich nicht mit einem mittelalterlichen Ritterethos vereinbaren lassen. Die Verwüstung der Ernten - und somit der bäuerlichen Existenzen - gehörte noch zu den harmloseren Späßen, wobei aus dem Entrinden fruchttragender Bäume schon eine gewisse Perversität abgeleitet werden konnte. Das Anbinden von Geiseln vor Belagerungsmaschinen oder das weithin sichtbare Aufknüpfen von Gefangenen ist wohl mit keinem irgendwie gearteten  Kodex in Übereinstimmung zu bringen. Sic transit gloria imperatoris!

Der Begriff der Ehre (honor imperii) kommt erwartungsgemäß zur Sprache, da der Autor hierüber 2001 einen wesentlichen Forschungsbeitrag publizierte. Aber erst vor diesem Hintergrund werden Barbarossas Aktionen gegen Mailand verständlich, wenngleich nicht entschuldbar: als satisfactio. Wurde die Ehre verletzt, war dem Herrscher der Wirkungsmechanismus entzogen, was sich insbesondere bei Abwesenheit bemerkbar machen sollte. Insofern war eine intakte Ehre eine notwendige Bedingung eines funktionierenden Herrschaftssystems. Diesem Prinzip gehorchend wurde im März 1162 Mailand komplett niedergebrannt. Als die Piemonteser 1168 eine Siedlung gründeten und sie nach dem Papst Alessandria nannten, beleidigten sie damit die Ehre Barbarossas, weil dieser ja mit Alexander III. im Streit lag. Aus einer Art inneren Notwehr heraus mussten Barbarossas Leute die Stadt gewissermaßen belagern. Das sind die mentalitätsgeschichtlichen Teile der Biografie, die weit über den Gegenstand hinaus im Gedächtnis bleiben werden, weil sie einen Wirkmechanismus freilegen, der das Verständnis einer ganzen Epoche fördert.

1177 versöhnten sich Papst Alexander III. und Barbarossa in Venedig. Eine komplexe Choreografie sorgte dafür, dass am Ende Papsttum und Kaisertum wieder vereint waren, ohne dass einer von beiden im öffentlichen Ansehen über Gebühr litt. Doch der Stratordienst, das öffentliche Halten des Steigbügels des Papstes und Führen des Pferdes - wenngleich auch nur über eine kurze Distanz -, stellte die gewohnten Verhältnisse wieder her.

Die antijüdischen Übergriffe im Vorfeld des Kreuzzugs im Jahre 1189 wurden von Friedrich unterbunden, allerdings, wie der Autor vermutet, weniger aus religiöser Toleranz, sondern vielmehr aus herrscherlichen Pflichten heraus und fiskalischen Überlegungen, denn für den Schutz der Juden hatten diese zu zahlen.

Das Jahr 1189 brachte den Aufbruch zum 3. Kreuzzug, bei dem Friedrich sein Ende besiegelte, in einem Fluss, der je nach Erzählkontext und Absicht des jeweiligen Autors ein knietiefes Rinnsal oder ein reißender Strom war. Intrabit ut vulpes, regnabit ut leo, morietur ut canis: zur Macht gekommen wie ein Fuchs, geherrscht wie eine Löwe, gestorben wie ein Hund. Die Spekulationen schossen ins Kraut, zumal ein plötzlich und somit sakramental unvorbereiteter Tod nichts Gutes verheißen konnte. War er nun ein Gerechter oder gar ein Sünder?

Dem biografischen Teil folgen noch drei thematische Verdichtungen, in denen Barbarossas Verhältnis zu Gesetzen, Kriegen sowie Kirchen und Kirche beleuchtet wird. Während der Abschnitt über die Gesetze eher analytischer Natur ist, wird Friedrichs Verhältnis zum Krieg eher exemplarisch-episodenhaft untersucht. Dass er trotz aller Streitereien mit Päpsten ein guter Christ war, verwundert nicht. Nur ganz wenige Intellektuelle wie Albertus Magnus oder Meister Eckhart konnten sich aus dem System lösen; Barbarossa war ein Pragmatiker der Macht, aber kein Intellektueller.

Das Buch schließt mit einer beeindruckenden Analyse einiger geistesgeschichtlicher Aspekte Barbarossas und seiner Zeit. Um diese resümierend genießen zu können, bedarf es offenbar des rauen Weges über die vielen Details von Leben und Regnum Barbarossas. Abschließend kann man festhalten, dass Barbarossas Regiment weniger konzeptuell durchdrungen und vielmehr ereignisgetrieben war. Nach Hegels gescheiterten Ansätzen herrschen ja "Zufall und Kontingenz" wieder über die Geschichte.

Es liegt in der Natur des Gegenstands, dass die Zentralfigur dieser Reichsepoche mit einer Fülle von Personen und einer Menge an Orten und Ereignissen in Berührung kam, wovon allein schon ein 22-seitiges (Personen- und Orts-)Register Zeugnis gibt. Das Buch ist mit wissenschaftlichem Anspruch geschrieben und benötigt demzufolge auch die biografischen Details des Typs, welcher Gesandte wann mit welchem Auftrag wohin ritt. Dabei muss man sich vor Augen führen, dass nahezu ständig jemand unterwegs war. Für den interessierten historischen Laien, den der Verlag C.H. Beck dankenswerterweise stets im Blick behält, können sich diese Lokalien und Personalien gelegentlich ins schwer Überschaubare kumulieren. Hier wäre eine Verlagerung mancher Details in Fußnoten (nicht in den Anhang!) eine mögliche Alternative gewesen. Sieht man davon ab, so dürfte es sich aber um den kommenden Standard zu Friedrich Barbarossa handeln, der in den Schränken geschichtsinteressierter Zeitgenossen nicht fehlen darf.

(Klaus Prinz; 10/2011)


Knut Görich: "Friedrich Barbarossa. Eine Biografie"
C.H. Beck, 2011. 782 Seiten.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Die Staufer. Herrscher und Reich"

Das Bild Kaiser Friedrichs I. Barbarossa, legendenumwobener Exponent der Stauferzeit, zeigt noch bis heute die Züge der Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts. Doch wer waren die Staufer wirklich? Dieser Band informiert über die Geschichte der Staufer und das Leben und Wirken der einzelnen Kaiser vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen ihrer Zeit. Ein Ausblick in die Rezeptionsgeschichte rundet die Darstellung ab. (C.H. Beck)
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