Hans Petschar: "Altösterreich"

Menschen, Länder und Völker der Habsburgermonarchie


Antinationales aus der Nationalbibliothek

Hans Petschar, der Leiter des Bildarchivs und der Grafiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, veröffentlicht eine auf den ersten Blick vielleicht unspektakuläre, in politischer Hinsicht aber faszinierende Zusammenstellung von Grafiken, Aquarellen, Zeichnungen, statistischen Blättern, von seltenen frühen Fotografien vor allem aus dem 19. Jahrhundert. Der reich bebilderte Band dient gleichzeitig als Katalog zu einer Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek.

Aus deren Beständen versammelte man Abbildungen aus der Zeit ab 1790, dem Ende der Aufklärung (Regierungsantritt Kaiser Leopolds II.). Die jüngsten Bilder der Menschen, Städte und Landschaften der Habsburgermonarchie stammen aus dem Todesjahr Kaiser Franz Josephs (1916), dessen Regierungszeit seit 1848 mehr als die Hälfte der dargestellten Zeit ausmacht.

Die in Technik, Stil und Inhalt höchst unterschiedlichen Bilder eint das Thema, genauer gesagt sollte mit ihnen im 19. Jahrhundert, der Hochblüte des Nationalismus, dieses Thema - die Einheit des Landes - bildhaft dem Nationalstaatsgedanken entgegengesetzt werden. In dieser Epoche, als nach Aufklärung und Romantik der Monarch und das dynastische Prinzip nicht mehr als allgemein anerkannte ideologische Klammer eines Staates galt, ist die Illustration der landschaftlichen Schönheit und die Freude an der ethnischen Vielfalt mit der akribischen Beschreibung der Gebräuche und Mentalitäten ein Gegenentwurf zu den zentrifugalen Politiken, die letztendlich Österreich-Ungarn zerrissen.

Dargestellt werden nach einer recht knappen Einleitung, die die Geschichte der Bewertung und Einschätzung der Habsburgermonarchie bloß anreißt, die Schönheit der Natur als einigendes Band der beherrschten Länder, sodann das Land und seine Bewohner gemäß der Kronländergliederung des Kaisertums Österreich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, also mit Venedig und der Lombardei, die beide 1859 an Italien fielen, und der Militärgrenze als eigene Provinz. In diesem Teil finden sich kolorierte Stiche eines "Tyrolischen Roblers" (Raufbold), "Egerischer Land-Leute beym Tanze", einer "Supanischen Gräfin aus der Bocche di Cattaro in Albanien" und vieler anderer damaliger Landsleute, oft mit zeitgenössischen Beschreibungen ihres Wesens.
Statistiken und historische Karten erleichtern die Einordnung - oft aber nur mit dem mehrsprachigen Register am Ende des Buches, in dem zu den Namen der dargestellten Orte die heute gebräuchlichen Bezeichnungen aufgelistet wurden.

Der zweite Teil des Bildbandes widmet sich dem so genannten Kronprinzenwerk, als der damalige Thronfolger Rudolf unter dem Titel "Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild" eine Bestandsaufnahme der Doppelmonarchie vornahm. Im größten editorischen Unternehmen seiner Zeit verpflichtete er die namhaftesten Wissenschaftler, Publizisten und Künstler, insgesamt 452 Autoren und 264 Illustratoren, auf 12596 Textseiten die Völker und Länder unabhängig von ihrer tatsächlichen Größe als gleichwertig darzustellen. Über einen Zeitraum von 17 Jahren, bis 1902, also weit über seinen Tod hinaus, wurden die 24 deutschen und 21 ungarischen Bände dem Publikum zu einem vergleichsweise günstigen Preis präsentiert. Darin erfuhren zeitgenössische Leser so wie die heutigen Betrachter von Volksgruppen der Lippowaner, von modernen Methoden der Seidenraupenzucht und den unterschiedlichen Lebensweisen der Bewohner Bosniens und der Herzegowina. Und doch ist das Kronprinzenwerk nicht nur Darstellung, sondern auch legitimistisches Instrument.

Die Texte und Bilder des Kronprinzenwerks - und des gesamten Bildbandes von Hans Petschar - laden uns ein, in einer Reise durch die Zeit, den mannigfaltigen Wegen der Maler, Fotografen, Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler zu folgen, mit ihnen zu versuchen, die Menschen und Länder besser kennenzulernen und wie sie durch Wissen und Anschauung das Gemeinsame und Völkerverbindende zu erkennen und zu schätzen.

Der Mehrwert der Vielfalt ist heute wie damals ein aktuelles Anliegen, das aus dem geschichtlichen Kontext zu heben, dem Herausgeber Hans Petschar aber nur gelingt, indem er interessierte Leser (nicht "nur" Bildbetrachter) in die geschichtlichen Zusammenhänge eindringen lässt.

(Wolfgang Moser; 07/2011)


Hans Petschar: "Altösterreich. Menschen, Länder und Völker der Habsburgermonarchie"
Verlag Christian Brandstätter, 2011. 255 Seiten, ca. 200 Farbabbildungen.
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