Roberto Alajmo: "Es war der Sohn"
Der
vorliegende Roman des 1959
geborenen Palermitaners Roberto Alajmo hat mehrere Ebenen und
Dimensionen. Zum Einen
trägt er deutliche Züge eines Kriminalromans: Ein
Mensch wird getötet, der
Schauplatz ist die Familie, und es ist sehr lange nicht klar, warum der
Mord
geschah und wer der Täter ist, auch wenn einer aus der Familie
("Es war
der Sohn") sofort alle Schuld auf sich nimmt.
Zum Zweiten ist die betroffene Familie mit
anderen Familien in der die ganze Stadt Palermo beherrschenden Mafia
verbandelt,
doch dies ist nur eine Rahmengeschichte.
Und zum Dritten ist es eine mit zum Teil
skurrilem Humor und hintergründigem Witz geschriebene
Schilderung der Welt von
Menschen, die noch nie einer geregelten und
sozialversicherungspflichtigen
Arbeit nachgegangen sind, teils weil sie die Bildung dazu nicht haben,
teils,
weil sie keine geeigneten Arbeitsplätze finden,
hauptsächlich aber, weil es
sich in der sozialen Hängematte, die auch auf Sizilien noch
attraktiv ist, gut
und bequem leben lässt.
Von drei Schüssen ist der pater familias Nicola Ciraulo mitten
in seiner
Wohnung niedergestreckt worden. Da liegt er auf dem Fußboden,
und um ihn herum
stehen die Hauptpersonen eines Romans, der humorvoll,
kritisch-hintergründig
und unterhaltsam zugleich ist. Da ist die gerade zur Witwe gemachte
Loredana,
der nun neues Leid aufgebürdet wird, nachdem sie gerade erst
bei einer Schießerei
zwischen zwei Mafiaclans ihre kleine Tochter
verloren hat. Inwiefern
diese beiden Todesfälle miteinander zu tun haben, ist ein
Hauptthema des Romans
und wird von Roberto Alajmo im Laufe des Buches meisterhaft
aufgefächert. Dann
ist da der Großvater Fonzio, ein stiller Mann, der unter der
Fuchtel seiner
Frau Rosa steht, die wiederum in einer dauerhaften und ihr
große Lebensenergie
spendenden Auseinandersetzung mit ihrer Schwiegertochter Loredana steht.
Eingesperrt im Badezimmer ist der Sohn des Opfers, Tancredi,
Sozialhängemattennutzer
der zweiten Generation, der diesbezüglich von seinem Vater
viel gelernt hat,
und der nach einer seltsamen, von Alajmo genial geschilderten
innerfamiliären
Kommunikation, die hauptsächlich wortlos abläuft,
nach ewig langem Schweigen
bei seinem Verhör die Schuld für die Tat
übernimmt.
Denn als die Polizei eintrifft, den Sohn im Badezimmer findet, ihn von
dort
brachial herausholt und ins Untersuchungsgefängnis bringt,
schweigt er zunächst
tagelang, so wie es ihm die Familie Sekunden nach den Schüssen
aufgetragen hat.
Die ermittelnden Polizisten verzweifeln schier an der
Kommunikationsstruktur
dieser Familie, der es gelungen ist, aus dem letzten Tod eines ihrer
Mitglieder,
(wir erinnern uns: die kleine Tochter wurde von der Mafia versehentlich
erschossen), erhebliches Kapital zu schlagen und die sich das alles
durch die
Schüsse auf Nicola Ciraulo nicht wieder nehmen lassen will.
Um welches Kapital es sich genau handelt, was insbesondere Nicola getan
hat, um
es nach langem Hinwarten zu bekommen, das blättert Roberto
Alajmo mit grimmiger
Komik auf. Auf eine sehr realistische Weise beschreibt Alajmo eine
Wirklichkeit,
die er in seiner Heimatstadt jeden Tag beobachtet, deren
Surrealität er genauso
bewundert wie sie ihn abstößt.
Aus beiden Haltungen hat er einen sehr unterhaltsamen Roman gemacht,
der dem
deutschsprachigen Leser einiges von einer Misere einer
mafiösen Gesellschaft
verdeutlichen kann, die sich schon längst aufgegeben hat.
Zwischen den Zeilen
spürt man immer wieder, wie der überzeugte
Palermitaner Alajmo selbst darunter
leidet.
Die Originalfassung des Buches ist anno 2005 in Mailand erschienen.
Geändert
hat sich seitdem nicht viel.
(Winfried Stanzick; 04/2011)
Roberto
Alajmo: "Es war der Sohn"
Aus dem Italienischen übersetzt von Annette Kopetzki.
Hanser, 2011. 250 Seiten.
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Roberto
Alajmo, 1959 in
Palermo
geboren, ist der Autor mehrerer Romane, für die er Preise wie
den "Premio
Mondello" und den "Premio Super Vittorini" erhielt und die in die
Endauswahl für den "Premio Strega" und den "Premio Viareggio"
kamen. Er schrieb außerdem Theaterstücke und ein
Libretto. Bei Hanser erschien
"Palermo sehen und sterben" (2007). Alajmo lebt als Autor und
Journalist
der "Rai" in seiner Heimatstadt.
Ein weiteres Buch des Autors:
"Mammaherz"
Eigentlich betreibt Cosimo Tumminia eine Fahrradwerkstatt in Calcara,
einem
vergessenen Dorf auf Sizilien. Doch wegen des hartnäckigen
Gerüchts, er bringe
Unglück, bleiben die Kunden aus. So sitzt er den lieben langen
Tag vor seinem
Laden, hört Radio, löst Kreuzworträtsel und
lässt sich von seiner Mamma
widerwillig bekochen.
Eines Tages zwingt ihn eine Gruppe Fremder, ein kleines Kind eine
Zeitlang in
Obhut zu nehmen. Doch die Unbekannten lassen sich nicht mehr blicken;
und die
Nachrichten vermelden nichts von einem entführten Kind.
Schließlich nimmt
Cosimos Mutter die Sache in die Hand und löst das Problem auf
ihre Weise. (Unionsverlag)
Leseprobe:
"Ein Junge überquert die Straße, hundert
Meter weiter vorne. Er schaut nach links, schaut nach rechts, geht los.
Aber
bevor er auf die Straße tritt, tut er noch etwas anderes. Die
Geste ist leicht
zu übersehen, der Junge hält die Hände in
den Hosentaschen vergraben. Aber
da: Genau in dem Augenblick, in dem er den Gehsteig verlässt,
tut er das, was
die Männer von Calcara immer tun - ob bewusst oder unbewusst,
unmerklich oder
unverfroren, mit der Rechten, mit der Linken, lächelnd oder
ernst, im tiefsten
Glauben oder einfach, weil man nie wissen kann - es ist die Geste der
Männer
von Calcara, wenn sie Cosimo Tumminia zu Gesicht bekommen oder wenn
jemand in Hörweite
Cosimo Tumminias Namen ausspricht. Die rechte Hand bewegt sich, hinter
dem
Hosenstoff. Dabei schaut der Junge herüber zu Cosimos
Werkstatt,
untheatralisch, beinahe mechanisch, wie man die Dinge eben tut, die
getan werden
müssen, ohne dass man sich noch daran erinnerte, wieso sie
getan werden.
Das ist einer der Gründe, weswegen man in Cosimos Werkstatt
selten Leute sieht.
Wie und wo das Gerücht entstand, ist schwer festzumachen, sein
Ursprung liegt
wohl Jahre zurück. Die Sache verdrießt Cosimo, er
versucht also, nicht daran
zu denken, hat sich im Lauf der Zeit beinahe daran gewöhnt.
Früher allerdings
hat er sich gequält damit, so sehr, dass er irgendwann die
verschiedensten
Mutmaßungen anstellte.
Eine seiner Mutmaßungen besagt, dass damals, als er Werkstatt
wie Beruf von
seinem Vater übernommen hat, wohl eine Reparatur schief
gelaufen sein muss. Ein
Radfahrer fährt sich einen Reifen platt, er, Cosimo, repariert
den Platten, der
Radler fährt hundert Meter weiter und fährt sich
schon wieder den Reifen
platt. So was kann vorkommen, so was kam schon vor. Unter
Umständen aber
widerfuhr dasselbe Missgeschick, so oder ähnlich, damals auch
noch einem
Zweiten. So was kann vorkommen, so was kam schon vor. Aber vielleicht
war es
gerade dieses eine Mal so, dass sich der erste und der zweite Radfahrer
kannten
und über die Sache sprachen. Und je länger sie
darüber redeten, desto mehr überzeugten
sie sich gegenseitig davon, dass es sich hier nicht um einen
bloßen Zufall
handeln konnte: zu viele Zufälle. Es hätte
natürlich an Cosimos beruflicher
Unerfahrenheit liegen können, schließlich war er neu
im Geschäft. Die beiden
Radfahrer haben diese Möglichkeit durchaus in Betracht
gezogen, sie allerdings
umgehend wieder verworfen, sie waren nämlich auf eine sehr
viel unterhaltsamere
Erklärung gekommen. Natürlich, sagten sie, war es
Cosimos Schuld, wenn auch
eine in gewissem Sinn unfreiwillige Schuld."
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Constanze Neumann: "Gebrauchsanweisung für Sizilien. Mit den
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Wo
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Italiens südlichstes Ende und Afrikas Tor nach Norden,
arabische Einflüsse und
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all das, womit Sizilien uns immer wieder aufs Neue fasziniert.
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sich im Centro Storico von Cefalù genauso gut aus wie in den
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worin ein Samstagabend in Catania gipfelt. Warum Marzipan an
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