José Eduardo Agualusa: "Barroco tropical"


Magischer Realismus aus Angola

"Barroco Tropical" ist nach "Das Lachen des Geckos" und "Die Frauen meines Vaters" der dritte ins Deutsche übersetzte Roman des 1960 geborenen angolanischen Autors José Eduardo Agualusa, der in Portugal, Brasilien und Angola lebt.

In der nahen Zukunft angesiedelt, dreht sich das Geschehen um den erfolgreichen Schriftsteller Bartolomeu Falcato, dem bei einer Verabredung mit seiner Geliebten, der berühmten Sängerin Kianda, eine tote Frau aus dem Himmel vor die Füße fällt.

Dass diese Frau das berühmte Ex-Fotomodell Núbia ist, die (ehemalige) Geliebte der Präsidentin, gibt der Geschichte zusätzliche Würze. Erst wenige Tage vorher hatte Bartolomeu Falcato Núbia in einem Flugzeug auf dem Weg nach Angola kennengelernt, ein Treffen, das Núbia gerne zwecks Kindeszeugung (in 11000 Meter Flughöhe) mit Bartolomeu benutzt hätte.

"Schließlich schlief ich ein, muss eingeschlafen sein, denn ich weiß, dass ich nackt über einen Strand lief, neben mir Núbia, als ich plötzlich die Augen wieder aufriss und sah, wie sie sich über mich beugte. Sie hatte ihre Bluse aufgeknöpft und den Büstenhalter gelöst. Dort, mitten in der rasenden Nacht, in elftausend Meter Höhe, erschien sie mir wie eine unantastbare Gottheit ..."

Die Brenzligkeit seiner Anwesenheit am Tatort erkennend, flüchtet er mit seiner Geliebten Kianda.

Dadurch löst er eine Kette von Ereignissen aus, die ihn in absurde und teilweise surreale Situationen bringen. Verschiedene ominöse Anrufer warnen ihn davor, dass sein Leben in Gefahr ist. Kianda erzählt Bartolomeus Frau in einer Therapiesitzung ihre Version der Affäre mit Bartolomeu, und Núbia erklärt an anderer Stelle, warum ein Kind von Bartolomeu so wichtig gewesen wäre.

José Eduardo Agualusa führt den Leser in Szenen, die immer wieder aus einer anderen Perspektive erzählt werden, durch diesen spannenden Roman, in dem es um Liebe, Tod, Intrigen, Krieg, Macht und ein nur vermeintlich demokratisches System geht, das allerdings natürlich nur eine verschleierte Diktatur ist. Das verlangt immer wieder nach einer harten Sprache, nach rauen Worten und Szenen, die unter dem Begriff "grausam" einzuordnen wären. Trotzdem hat man als Leser nie das Gefühl, José Eduardo Agualusa bedient sich dieser Gewalt, oder dieses Intrigenspiels aus Opportunismus, um die Verkaufszahlen zu steigern. Alles, was hier passiert, ist, egal wie absurd es im ersten Moment scheinen mag, stimmig und in sich geschlossen, auch wenn die Grenzen zwischen Hirngespinsten und Realität oft verschwinden.

Und so wird "Barocco Tropical" zu einem überdrehten und harten Gesellschaftsbild Angolas. Ein Angola des Ölgeschäfts, der Ausbeutung des angolanischen Volkes mit der unvermeidlich korrupten Szene, die dahinter steckt und vor keiner Gewalt zurückschreckt, um das angepeilte Ziel zu erreichen.

"Es war fast Mitternacht, als ich endlich meine Wohnung betrat. Jacó saß im Wohnzimmer. Tot. An einen Stuhl gefesselt. Er war stundenlang mit einer Lötlampe gefoltert worden. Ich nehme an, dass er in der Wohnung gewesen war, um etwas zu essen zu suchen ... er war also zufällig in der Wohnung, als Frutuoso Leitaos Gorillas, oder die von Botschafter Adibe, ich habe keine Ahnung, an der Tür geklingelt hatten."

Agualusa lässt eine große Anzahl an Protagonisten, die er in Hauptpersonen und Nebendarsteller unterteilt, die sich auch alle zu Beginn des Buches quasi vorstellen dürfen, zu Wort kommen. Ihre Erzählungen reihen sich wie Mosaiksteine zum Gesamtbild des Romans. Glaubhafte, verrückte, introvertierte und plastisch gezeichnete Figuren, die dank Agualusas narrativen Talents zu leben beginnen.

Dass dann am Ende schwarze Engel auf Hochhausruinen zu einem Suizid tanzen und die afrikanischen Mythen als Nährstoff des Romans immer deutlicher erkennbar werden, ist Teil der besonderen Handschrift Agualusas, der sich mit jedem seiner bisher erschienenen Romane immens gesteigert hat und bereits jetzt zu den interessantesten Autoren Afrikas gezählt werden muss.

Absolute Empfehlung.

(Roland Freisitzer; 03/2011)


José Eduardo Agualusa: "Barroco tropical"
Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler.
A1 Verlag, 2011. 331 Seiten.
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