Norbert Zähringer: "Einer von Vielen"
Zeitlosigkeit
oder
Aus-der-Zeit-gefallen-Sein
"Was macht die Zeit mit uns, und was machen wir mit der Zeit,
die uns
durchdringt?", fragt sich Edison Frimm in Norbert
Zähringers für den
"Deutschen Buchpreis" 2009 nominierten Roman "Einer von Vielen".
Und genau dies ist das Kernthema des Buches, das einen wahrhaft weiten
zeitlichen und auch örtlichen Rahmen umspannt.
Verschiedene Protagonisten "bevölkern" Zähringers
auktorial erzählten
Roman. Zwei davon entwickeln den Haupterzählstrang. Das ist
zum Einen eben
jener Edison Frimm und zum Anderen Siegfried Heinze. Beide
Männer werden am
selben Tag, dem 1. September 1923, geboren. Ersterer in einer
Aussteiger-Siedlung in der Mojave-Wüste, der andere in Berlin.
Und genau dort,
in den letzen Kriegstagen, kommt es beinahe zu einem Zusammentreffen.
Doch ihrer
beider Schicksale haben die Form von zwei Parallelen, die sich nie
berühren
werden, auch wenn sie im Roman beinahe kontrapunktisch aufeinander
bezogen sind.
Zähringer erzählt von Menschen, die vor dem
aufkommenden Nationalsozialismus
in Deutschland fliehen und in Amerika, dem Land der unbegrenzten
Möglichkeiten,
ihre Träume wahr werden lassen wollen, letztendlich aber doch
nur ihr Sein an
einem anderen Ort weiterleben, dann wieder von anderen, die nach
Fehlschlägen
und einer beinahe zum Stillstand gekommenen Existenz, letztendlich so
etwas wie
das kleine, große Glück finden.
Der Autor nimmt den Leser auf eine große Reise mit, die im
Jahr 1923 ihren
Ursprung hat und gleichsam das ganze zwanzigste Jahrhundert
überspannt. Sie führt
nach Japan, die USA, Deutschland und Großbritannien. Das kann
leicht verwirren
oder den Überblick verlieren lassen. Doch Norbert
Zähringer schafft es mit
geradezu faszinierender Manier, die verschiedenen
Handlungsfäden geschickt
abzurollen, sie dabei jedoch immer straff gespannt zu halten. Auf
nahezu
magische Art und Weise hängt alles mit allem zusammen. Subtil
deckt er
verborgene Verbindungen auf und schafft immer wieder
überraschende
Erkennungsmomente. Raffiniert steigt er aus einer Situation aus oder in
sie ein
"wie in einen Spiegel,
um auf der anderen Seite, in einer anderen Welt
herauszukommen".
Eine geradezu unermessliche Landschaft der Erinnerung breitet der 1967
in
Stuttgart geborene, in Wiesbaden aufgewachsene und heute in Berlin
lebende Autor
vor dem Leser aus. Man könnte seinen Roman fast mathematisch
nennen, denn
"Einer von Vielen" bietet immer wieder unerwartete Lösungen,
das Eine
greift in das Andere, und selbst der Zufall bekommt mitunter eine
Ordnung. "Man
darf nicht versuchen, inmitten eines Albtraums aufzuwachen. Damit er
nie mehr
wiederkehrt (...) muss man ihn ganz zu Ende träumen."
Norbert Zähringer
tut dies auf beeindruckende Art und Weise und vermittelt auf all seinen
knapp
500 Seiten "mathematische" Schönheit und Perfektion.
Fazit:
Norbert Zähringers Roman "Einer von Vielen" ist eine kluge und
unterhaltsame Geschichte, eine Komposition von unzähligen
ineinander
verwickelten, zum Teil wundersamen Episoden. Sie handelt vom
Leben
und dem Tod
sowie dem Erinnern und dem Vergessen, "weil nichts uns das
Vergangene
zurückbringen kann und es endgültig verschwunden sein
wird, von dem Moment an,
da sich niemand mehr daran erinnert."
(Heike Geilen; 01/2010)
Norbert
Zähringer: "Einer von Vielen"
Rowohlt Reinbek, 2009. 493 Seiten.
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