Yu Hua: "Leben!"
Eine
Familie, die Menschen und
die wechselvolle Geschichte Chinas sind der eigentliche Stoff der
Ereignisse,
die in einfachen, eindrücklichen und fast poetischen Worten
mitgeteilt werden.
Ein Mann zieht durch die
chinesischen Landwirtschaftsgebiete und sammelt Geschichten. Er ist
begeistert
von der Aufnahme, die er überall findet, und auch die Menschen
scheinen sich über
ihn zu freuen und berichten ihm immer wieder gern ihre Dorf- und
Familiengeschichten, Volkssagen und Ähnliches.
Eines Tages trifft der Mann einen sehr alten Herrn,
der
sich lauthals mit seinem ebenfalls sehr alten Ochsen über
dessen Arbeitsleistung und Arbeitshaltung
auseinandersetzt. Dabei fallen etliche Namen von Anderen, die
besser arbeiten an diesem Tag, und weil diese nicht zu sehen sind,
kommen die beiden Männer ins Gespräch miteinander,
während der Ochse sich ein wenig ausruhen kann.
Der alte Mann heißt Fugui und ist der Sohn eines vormals
reichen Grundbesitzers in der Gegend, der in seiner Jugend die
Hälfte des Familienbesitzes an den Spieltischen und in den
Bordellen der Gegend aufgezehrt hatte. Im Alter
vernünftiger geworden hoffte er, dass sein Sohn das noch
Bestehende erhalten und einen Teil des Verlorenen zurück
gewinnen würde, aber Fugui scheint ganz nach seinem Vater zu
kommen, und so beginnt auch er kurz nach seiner Hochzeit mit der
wunderschönen Jiazhen, der Tochter eines reichen
Reishändlers, und der Geburt der kleinen Fengxia,
zunächst ins Bordell zu gehen und sich dann mehr und mehr dem
Spiel zuzuwenden. Innerhalb kürzester Zeit hat er auch noch
den Rest des familiären Erbes durchgebracht -
tatsächlich im Versuch, die väterlichen Verluste
wettzumachen - und dies ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als seine Frau
zum zweiten Mal schwanger wird. Sein Schwiegervater ist so erbost, dass
er Jiazhen zunächst erst einmal wieder zurück ins
Haus holt, was Fugui noch mehr deprimiert.
Später kommt Jiazhen aber wieder zurück, und so lebt
die Familie in sehr ärmlichen
Verhältnissen als Pächter der Spielgewinner, bis im
japanisch-chinesischen
Krieg alles durcheinandergeworfen wird.
Beim Versuch, einen Arzt für seine
schwerkranke Mutter zu finden, wird Fugui von der Guomindang
zwangsrekrutiert
und kann erst zwei Jahre später nach Hause
zurückkehren, wo die politischen
Entwicklungen und Reformen ihm und seiner Familie ein
ständiges Auf und Ab des
Lebens bescheren, wobei sich immer wieder neu die Frage stellt, was
denn nun
ein Glück im Leben eines Menschen ist und was ein
Unglück.
Die Antwort, die der alte Mann und sein Ochse schließlich
gefunden haben, wird
manche Leser überraschen, obwohl sie zumindest für
das
chinesische Empfinden relativ normal zu sein scheint. Wer die
Lebensberichte von
Chinesinnen und Chinesen liest, die heute um die achtzig oder neunzig
Jahre
sind, der wird in diesem Buch nicht nur inhaltlich sondern auch
emotional eine
Menge wiedererkennen.
"Leben!" ist ein in Anbetracht seiner Kürze sehr volles Buch,
bei dem ich dringend gewünscht hätte,
es im Original lesen zu können, um noch mehr Nuancen
herauszufiltern.
Der Roman wurde trotz Einwänden der chinesischen Zensur von
Zhang Yimou
verfilmt, 1994 in Cannes uraufgeführt und mit dem
"Großen Preis der Jury"
ausgezeichnet,
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 02/2010)
Yu
Hua: "Leben!"
(Originaltitel "Huozhe")
Aus dem Chinesischen übersetzt von Ulrich Kautz.
Gebundene Ausgabe:
Klett-Cotta, 2003. 220 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
btb, 2008. 219 Seiten.
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Yu
Hua, 1960 in der
ostchinesischen Provinz Zhejiang geboren, hat fünf Jahre als
Zahnarzt
praktiziert, bevor er Schriftsteller wurde.
Drei weitere Bücher des Autors:
"Brüder"
Zwei Brüder - zwei Leben. Li ist ein gerissener
Geschäftsmann. Er verkauft Müll
und abgetragene Anzüge
aus
Japan. Li scheffelt Millionen.
Bruder Song ist
besonnen, ein Schöngeist und ewiger Pechvogel. Ein bisschen zu
gut für das
moderne China - den wilden Kapitalismus. Aber auch er will am
Wirtschaftswunder
teilhaben. Also lässt er sich seine Brust
vergrößern, um den Landfrauen ein
Gel zu verkaufen, das den Busen praller macht.
"Brüder" ist die tragikomische Geschichte von Li und Sang, die
die
Schrecken der Kulturrevolution überleben und im neuen China
ihr Glück
versuchen. Yu Hua weiß um die Brisanz Chinas, aber er
weiß auch, dass man den
Humor nie verlieren darf. "Brüder" ist die Kehrseite des
Wirtschaftsrausches in China - traurig, klug und sagenhaft komisch. (S.
Fischer) zur Rezension ...
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