Hans-Dieter Radecke, Lorenz Teufel: "Was zu bezweifeln war"

Die Lüge von der objektiven Wissenschaft


"Uns stört, dass die meisten Wissenschaftler mit absoluter Sicherheit davon ausgehen, dass wir ein Produkt einer objektiven Umwelt sind, aber verdrängen, dass das Konzept einer objektiven Umwelt ein Produkt der subjektiven Phantasie ist."
(Auszug aus "Was zu bezweifeln war")

Die Lüge von der objektiven Wissenschaft

"Was zu beweisen war", in Kurzform "w.z.b.w.", ist in der Mathematik ein üblicher Kommentar am Ende einer formalen Beweiskette. Der Buchtitel "Was zu bezweifeln war" dürfte daher nicht zufällig gewählt, sondern eine eindeutige Anspielung auf exakte Beweisführungen in den Naturwissenschaften sein. Hans-Dieter Radecke und Lorenz Teufel, beide selbst Physiker, relativieren den Anspruch der Naturwissenschaften auf letztgültige Wahrheiten und Beweise. Ihre Interpretationen physikalischer Vorgänge und derer philosophischer und historischer Rahmenbedingungen wirken provozierend. Wissen ist nicht ohne Glauben zu haben, und der Glaube bzw. Subjektivität spielen eine größere Rolle, als manchem Forscher recht sein kann, so ihre Erkenntnis. Damit liegt ihr Fokus auf den Rahmenbedingungen, in die Naturwissenschaften eingebettet sind.

Im ersten Kapitel beschreiben die Autoren Phänomene, die nach heutigem Verständnis in den Bereich der Parapsychologie gehören. Sie erläutern (und bedauern, so der Eindruck), dass bestehende Theorien nicht verworfen werden, wenn Beobachtungen oder Experimente ihnen widersprechen. Nach Karl Poppers Kriterium der Falsifikation müsste das eigentlich so sein. Aber Naturwissenschaft funktioniert anders. Theorien werden nicht verworfen, sondern durch umfassendere Theorien ersetzt. Solange diese fehlen, wird eher die Stichhaltigkeit der Beobachtungen und Experimente angezweifelt. Ein neues Paradigma muss sich erst durchsetzen.

Mit diesem Problem hatte in der Frühen Neuzeit auch Galileo Galilei zu kämpfen. Die Autoren beschreiben den Konflikt mit den Gelehrten seiner Zeit. Es muss vermutet werden, dass die Herren Professoren sich damals nicht geweigert hatten, durch sein Teleskop zu schauen, um die Jupitermonde zu entdecken, sondern dass Galilei die Professoren nicht überzeugen konnte, weil seine Beweislage zu dürftig war. Er war nicht in der Lage, die Funktionsweise seines Fernrohrs zu erklären, und die Bilder waren zudem verschwommen. Galileis Weltbild beruhte auf einer Mischung aus Glaube und Vernunft und war zu seiner Lebenszeit keinesfalls logisch zwingend. Der damalige Konflikt ist auf die heutige Zeit übertragbar. Ein etabliertes Paradigma wird nicht von heute auf morgen verworfen.

Galileo Galilei, Johannes Kepler, Isaac Newton und Giordano Bruno gelten heute als die Begründer der modernen Wissenschaften. Welche große Rolle der Glaube in ihrem Leben und ihrer Arbeit gespielt hat, wird im Allgemeinen nicht thematisiert. Neue Ideen sind ein kreativer Akt und nicht ein Produkt der Logik oder der reinen Erfahrung. Dazu werden sie erst im Nachhinein, wenn sie sich im Laufe der Zeit durchgesetzt haben und Teil eines neuen Paradigmas geworden sind.

Einige Darstellungen gehen zu weit. Wenn die Autoren ausführen, dass die Theorie, wonach die Erde eine Scheibe ist, nicht endgültig widerlegt ist, überspannen sie den Bogen. Es gibt elementare Erkenntnisse, für die aus heutiger Sicht keine Theorie mehr erforderlich ist. Auch die nachträgliche Beeinflussung der Vergangenheit klingt zu esoterisch. Abenteuerlich mutet der Gedanke an, dass zum Beispiel die Jupitermonde vor ihrer Entdeckung noch nicht existiert haben sollen. Hier wird Subjektivität auf die Spitze getrieben.

Anders liegen die Dinge bei der Urknalltheorie. Die Beweislage ist dünner, und die zugrunde liegenden Postulate sind zahlreicher, als in wissenschaftlichen Veröffentlichungen allgemein zugestanden wird. Hinzu kommen Widersprüche, die bis heute einfach ignoriert werden. "Wahrheit ist immer ein theoretisches Konstrukt, bei dem der Glaube eine nicht unwesentliche Rolle spielt", so die Autoren. Der Urknall wird als Tatsache präsentiert und nicht als Theorie, die auf tönernen Füßen steht.

In den letzten beiden Kapiteln erläutern die Autoren ihre persönliche Philosophie. Sie vertreten die These, dass sich eine von uns unabhängige, objektive Welt weder empirisch noch logisch beweisen lässt. Sie glauben an eine von uns abhängige, objektive Welt. Die Welt sei nicht aus Teilen aufgebaut, wie die Physiker das verstehen, sondern aus einer Ganzheit, die durch den Bewusstseinsakt in Teile zerbrochen ist. Wir erzeugen nicht die Welt, die wir wahrnehmen. Der Konstruktivismus hat insofern unrecht. Das Bewusstsein entsteht erst durch die Trennung. Das "Zerbrechen der Einheit" ist eine Metapher dafür, dass alles Beobachtbare einen fundamentalen Zusammenhang mit dem Beobachter aufweisen muss.

Die Dialoge am Ende der einzelnen Kapitel, in denen ein fiktiver Fragesteller sich mit den Autoren unterhält, vertiefen den Stoff. Sie tragen wesentlich zum Verständnis des Inhalts bei.

Aufschlussreich ist die Beschreibung des Grundproblems des Intelligenten Designs: "Befindet sich der Designer in der Welt, oder ist er ein transzendenter Schöpfer? Wenn er in der Welt ist, dann kann er wissenschaftlich untersucht werden. Dann kann und muss man fragen, wie er selbst entstanden ist oder woher er kommt. Nimmt man hingegen an, der Designer sei transzendent, dann entzieht er sich der wissenschaftlichen Forschung, und die Theorie des Intelligent Design ist damit keine wissenschaftliche Theorie mehr."

Bei aller Kritik an den Naturwissenschaften muss betont werden: Nicht Alchemie, Theologie oder Mystik haben den Fortschritt gebracht, sondern die Naturwissenschaften. Selbstverständlich bedurfte es dazu kreativer Köpfe, die das jeweils gültige Paradigma infrage gestellt haben. Aber diese Ideen haben sich durchgesetzt, weil sie überprüfbar waren. In diesem Sinne müsste Telekinese längst verworfen werden, weil stichhaltige Experimente fehlen. Das sicherste Wissen, welches uns heute zur Verfügung steht, liefern die Naturwissenschaften. Es kann nicht sein, dass dieses Wissen relativiert wird, um der Esoterik damit Tür und Tor zu öffnen.

(Klemens Taplan; 02/2010)


Hans-Dieter Radecke, Lorenz Teufel: "Was zu bezweifeln war. Die Lüge von der objektiven Wissenschaft"
Droemer, 2010. 384 Seiten.
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Hans-Dieter Radecke, Jahrgang 1954, studierte Physik und Astronomie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Promotion in Theoretischer Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Mehrjährige Tätigkeit an der Münchner Universität und beim Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik und Astrophysik in Garching bei München.
Lorenz Teufel, Jahrgang 1962, studierte Elektrotechnik an der TU München. Anschließendes Studium der Physik an der Ludwig-Maximilian-Universität München. Diplom in Festkörperphysik. Daneben philosophische Studien.