Holger Sonnabend, Jens Jähnig: "Die Sieben Weltwunder"
Antikes
Weltkulturerbe
Vielleicht geht es ja in dem vorliegenden Buch lediglich um Dokumente
des
menschlichen Größenwahns - andererseits zeigt sich
in den überdimensionierten
Bauwerken früherer (und heutiger?) Zeit
gleichermaßen die Genialität des
menschliches Geistes. Zwei Autoren in höchst interessanter
Kombination legen
hier ein übersichtliches Buch vor: Jähnig (Jg. 1970)
ist Theaterplastiker am
Opernhaus Magdeburg und rekonstruiert seit vielen Jahren zeichnerisch
antike
Bauwerke - Sonnabend (Jg. 1956) ist Professor für Alte
Geschichte an der
Universität Stuttgart. Im letzten Jahr erschien von den beiden
schon das Buch
"Große Bauwerke der Antike", welches hier nun seine
konzentrierte
Fortsetzung findet. Im Vorwort wird darauf verwiesen, dass ja bereits
Philon von
Byzanz zu Beginn des 2. Jahrhunderts vor Christus eine
ausführliche Beschreibung dieser
sieben Weltwunder gegeben hatte. Dass wir überhaupt eine
Überlieferung dieser
sogenannten sieben Weltwunder kennen, liegt nach Ansicht der beiden
Autoren an
dem Bestreben der antiken Griechen, Bestenlisten im Sport, in der
Kultur und
auch etwa bei den Bauwerken aufzustellen. Dabei hatte die Zahl 7 eben
eine
magische Bedeutung, und es sollten tatsächlich "Wunder" aus
der gesamten
damals bekannten Welt sein. Im Grunde basiert die Liste auf
Herodot (5.
Jh. vor
Christus)
und Antipatros (2. Jh. vor Christus) - so waren praktisch die Genres
"Sehenswürdigkeiten"
(themata) und "Wunderwerke" (thaumata) geboren. Die erste komplette
Darstellung (unter dem Titel "Septem opera in orbe terrae
miranda")
soll von Marcus Terrentius Varro stammen, die Schrift ist allerdings
nicht mehr
erhalten. Danach soll es immer wieder konkurrierende Auflistungen
gegeben haben,
welche durchaus auch politische und wirtschaftliche Interessen
verfolgten. Und während
die meisten der alten Weltwunder nicht mehr existieren, kursieren immer
wieder
Listen mit modernen Weltwundern, zu denen dann das Empire State
Building oder
der Kreml gezählt werden oder der Eurotunnel unter dem
Ärmelkanal oder
Schloss
Neuschwanstein. Diese Listen werden stetig variieren, da es keine
eindeutigen
Kriterien für die Aufnahme in dieselben gibt. Freilich
könnte die UNESCO ihre
Welterbe-Kriterien zur Anwendung bringen, womit allerdings allein der
historisierende Blickwinkel dominieren würde.
Die Pyramiden von Gizeh dienten bekanntermaßen als
Pharaonengräber und wurden
aus Millionen von tonnenschweren Steinen errichtet. Sie sind das
einzige fast
komplett erhaltene Weltwunder der Antike. Die Hängenden
Gärten der Semiramis
in Babylon werden von Historikern auch späteren
Königen bzw. Königinnen
zugeschrieben. Insgesamt gilt es als wahrscheinlich, dass Nebukadnezar
II. der
Erbauer war. Im Grunde weiß niemand zuverlässig, wo
diese "Hängenden Gärten"
tatsächlich waren und wie sie ausgesehen haben. Über
die architektonische
Anlage der Terrassen gibt es aber durchaus plausible Angaben, so dass
immer
wieder Versuche einer zeichnerischen Darstellung riskiert wurden. Das
Artemision
von Ephesos war der Tempel der griechischen
Fruchtbarkeitsgöttin Artemis. Er
wurde eigentlich zweimal gebaut, da der erste Bau einer Brandstiftung
zum Opfer
fiel. Hier setzte sich in einer
langwierigen Auseinandersetzung mit dem
Artemiskult schließlich das Christentum durch. Die
Zeus-Statue in Olympia war
im Grunde das Symbol der von einer archaischen Adelsgesellschaft nach
ihrem
eigenen Vorbild erdachten Götterwelt. Das antike Olympia war
ja eher eine
Kultstätte, die man später "mit
athletischen Wettbewerben garnierte", wie
die Autoren es formulieren. Die Olympischen Spiele galten
übrigens ursprünglich
aus christlicher Sicht als heidnische Veranstaltung zu Ehren von
Zeus.
Das
Mausoleum von Halikarnassos wurde zum namengebenden Prototyp
für die Prachtgräber
der Reichen und Mächtigen auch späterer Zeiten. Im
Übrigen galt Mausollos als
Vermittler zwischen griechischer und orientalischer Kultur, und sein
Bauwerk
bewunderten auch die römischen Kaiser. Der Koloss von Rhodos
war das am kürzesten
existierende Weltwunder, und man weiß auch eigentlich am
wenigsten darüber, wie
er eigentlich aussah. Jedenfalls gilt es auch als
äußerst unwahrscheinlich,
dass er breitbeinig über der Hafeneinfahrt zu Rhodos stand.
Der Leuchtturm von
Alexandria wurde als Prestigeobjekt zum Prototyp aller nachfolgenden
Leuchttürme.
Im Prinzip war er das erste Hochhaus mit über 100 Metern
Höhe und hatte ein
raffiniertes Hohlspiegelsystem zur Verstärkung der
Signalwirkung.
Im Schlussteil des Buches erläutert Jens Jähnig noch,
wie er aus historischen
Beschreibungen und archäologischen Funden bzw. auch nach
bestimmten
Bauprinzipien analog antike Bauwerke quasi rekonstruiert, um sie zu
zeichnen und
zu kolorieren. Beispiele seiner Darstellungen schmücken eben
auch den
vorliegenden Band. Man mag bedauern, dass die meisten der ehemaligen
Weltwunder
nicht mehr existieren, allerdings könnte man daraus auch
Bescheidenheit lernen
und die Einsicht in die Vergänglichkeit. Wie sagte schon
Goethes Mephisto: "Denn alles, was entsteht / ist wert,
dass es zugrunde geht." Insofern ist
es vernünftig, dass man etwa in Griechenland, Italien oder
Ägypten die noch
existierenden Gebäudereste aus antiker Zeit in aller
historischen Würde dem
natürlichen Verfall überlässt. In
Deutschland hat man da ja ein übertrieben
beflissenes Verhältnis gegenüber historischen
Bauwerken, indem man sogar nicht
mehr vorhandene wieder aufbaut (neuestes Beispiel das Stadtschloss in
Berlin).
Abgesehen davon, dass man andererseits in Dubai gerade ein modernes
Weltwunder-Hochhaus gebaut hat, bewegen wir Menschen uns offensichtlich
immer
wieder im Spannungsfeld zwischen Superlativsucht und
verspäteter Einsicht in
das tatsächlich Machbare. Wie auch immer, vermittelt uns das
vorliegende Buch
in wohltuender Klarheit und Übersichtlichkeit einen Eindruck
der antiken
Baukunst, welche man aus dem Blickwinkel unserer heute entwickelten
Technik gar
nicht genug bewundern kann.
(KS; 03/2010)
Holger
Sonnabend, Jens Jähnig: "Die
Sieben Weltwunder"
Primus Verlag, 2010. 96 Seiten.
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