Roger Scruton: "Ich trinke, also bin ich"
Eine philosophische Verführung zum Wein
Oinis
kai aletheia - Wein und
Wahrheit
Es waren die Griechen, denen wir das Sprichwort "Oinis kai aletheia"
verdanken. "In vino veritas" machten
die
Römer daraus. Wein
und
Wahrheit gehen schon immer eine enge Symbiose ein. "Der Wein
sollte auf
einen gut gefüllten Magen treffen und sich gleichsam als
Diskurs darauf
erheben." Das wiederum sagt Roger Scruton, der Autor dieses
philosophischen Weinverführers. Scruton, Jahrgang 1944, lehrt
Philosophie am American
Enterprise Institute Washington und in Oxford und ist
bekennender Liebhaber
der vergorenen Trauben. Er stimmt Horaz bei, der schrieb, dass "caelum
non animum mutant qui trans mare currunt", was nichts Anderes
bedeutet,
als dass Reisen den Horizont einengt, "und je weiter man
reist, desto
enger wird er. Es gibt nur eine Methode, eine Gegend mit offenem Herzen
und
offenem Geist zu besuchen und zwar im Glas."
Auf einen ausschweifenden Weg nimmt Roger Scruton seine Leser mit.
Dabei handelt
es sich bei diesem Buch keineswegs um einen Weinführer, deren
es sicher unzählige
auf dem Markt geben dürfte, sondern der Autor philosophiert
über das Denken,
das Nachdenken über Wein und dessen Tugenden. Wein, so
Scruton, vernebelt nicht
den Blick auf die Dinge, so wie es jedes Rauschmittel tut, sondern nach
dem
stilvollen Genuss sehen wir die Welt "in einer neuen,
gleichsam
idealisierten Form." Für ihn ist Wein eine
Bereicherung der
menschlichen Gesellschaft, "vorausgesetzt, er dient zur
Anregung des
Gesprächs, und dieses bleibt zivilisiert und im Allgemeinen."
Scruton
erörtert den Wein als Begleiter der Philosophie und die
Philosophie als ein
Nebenprodukt des Weins. Denn neben seiner vorzüglichen Eignung
als
Speisenbegleiter macht er sich noch besser als Gefährte des
Gedankens. "Wer
Wein beim Denken genießt, lernt nicht nur das gefasste
Denken, sondern auch das
Denken in Fässern", so der Autor. Und weiter: "Wein,
zur
rechten Zeit, am rechten Ort und in passender Gesellschaft genossen,
weist den
Weg zur Meditation - ein Vorbote des Friedens." Dieses am
wenigsten
berechenbare Getränk ist zweifelsohne nicht nur ein Objekt der
Sinne, sondern
auch der Erkenntnis, denn ein sinnliches Vergnügen
hängt unbestritten von der
Erkenntnis ab. Vergorener Traubensaft bietet dem genießenden
Kenner "ein
kompliziertes und vielschichtiges Arrangement, das sich wie ein
Schachspiel nach
dem ersten Eröffnungszug entfaltet."
Und so werden wir in die Studienzeit des Briten versetzt, in der er
erstmals
Kontakt mit diesem philosophischen Lebenselixier aufnahm und seither
nicht mehr
loskommt. Scruton philosophiert über Sinn und Unsinn der
heutigen Weinkunde und
gibt einen kurzen Überblick über die belegbaren
Anfänge der Genusskelterei,
die bei den Griechen und Römern ihren kulturellen
Höhepunkt erfuhr.
Dionysos
und Bacchus sind die göttliche Zeitzeugen.
Roger Scruton widmet ein großes Kapitel "la Tour de France",
dem
Weinland schlechthin, das er sich während seines Studiums
"trinkend"
erschloss. Von Frankreich aus macht er sich danach
völkerverbindend in andere
große Weinnationen wie Italien oder Spanien, bis
über den großen Teich nach
Nord- und Südamerika und Neuseeland auf, ein kurzes
Naserümpfen beim
Vorbeisegeln am australischen Kontinent inklusive. Und immer hat er
einige
Empfehlungen besonders genussvoller Sorten parat. "Wein
erlaubt uns
einen Blick auf die Welt 'sub specie aeternitatis', eine Welt, in der
die guten
Dinge ihren Wert haben, egal wer sie besitzt." Sein
Erzählstil ist
flott und charmant, zuweilen sogar recht direkt und unkonventionell,
aber daher
authentisch und nicht abgehoben.
Nach der reichlichen Hälfte wird der "weinhaltige" Genusspfad
verlassen, und Roger Scruton widmet sich seiner Profession, der
Philosophie. Ist
es zuvor beinahe ein Muss, das Glas Wein zur Lektüre zu
genießen, werden jetzt
die Sinne geschärft und erfordern höchste
Aufmerksamkeit. Auf die Auswahl des
alkoholischen Begleiters sollte nun besonderes Augenmerk gerichtet
sein. Der
Autor versucht dem bedeutungsschwangeren Inhalt seines Buchtitels auf
den Gaumen
zu fühlen. Ganz im Sinn der Philosophie, die aus dem
Nachdenken über Vernunft,
Bewusstsein und Sein entsteht - jene drei Vorstellungen, die in der
Reihenfolge
der Worte "also" "bin" "ich" zum Ausdruck kommen.
Scruton geht Fragen auf den Grund: Ist der Wein eher ein Tagtraum oder
ein
Kunstwerk? Verweist er auf unsere subjektiven Eindrücke und
Erinnerungen, oder
zeigt er hinaus in die Welt - bringt also Ordnung in die Welt, so wie
Tintoretto
oder Mozart eine neue Ordnung erschufen, in dem sie die
Gegenstände unserer
Wahrnehmung neu geformt haben? Dabei zieht der Autor Vergleiche bei
Richard
Wagner, Descartes, Edmund Husserl, Aristoteles, Heidegger
oder Kant
heran.
Letztendlich versucht Scruton den "Meckerern" und Moralaposteln, aber
auch dem Missbrauch von Alkohol die positive Gesamtbedeutung des
Elixiers mit
Namen Wein entgegenzusetzen. Ein opulenter Anhang "Was man wozu trinkt"
gibt keineswegs Weinempfehlungen zum Essen, sondern
Vorschläge, welche Rebsorte
zu welchem Philosophen am besten passt. Sogar dem großen
Pessimisten und
bekennenden Biertrinker
Schopenhauer
widmet er ein gutes Glas
neuseeländischen
Chardonnays, "vielleicht den mineralisch butterigen Muddy
Water, um uns
daran zu erinnern, dass andere diesen Ozean überquert haben,
ohne Glauben und
Hoffnung zu verlieren, und nachdem sie an den abartigsten Orten
gelandet waren,
bewahrten sie sich den Glauben und die Hoffnung auf
Wohltätigkeit, indem sie
begannen, Weinstöcke anzubauen."
Fazit:
"Ich trinke, also bin ich" ist ein wunderbares Buch für den
weinliebenden philosophisch interessierten Leser, ein Genuss in
doppeltem Sinn,
eine unbedingte Empfehlung, die mit den Worten Roger Scrutons
bekräftigt sei: "Mir
scheint, dass der Weingenuss eine Wiederaneignung des
ursprünglichen Kults des
Sesshaftwerdens und der Stadtgründung darstellt. Wir schmecken
im Wein nicht
nur die Frucht und die Fermentierung, sondern nehmen auch das
spezifische Aroma
einer Landschaft wahr, in der man die Götter zum Bleiben
eingeladen hat und in
der sie eine Heimat gefunden haben. Nichts von dem, was wir zu und
nehmen, ist
dermaßen bedeutungsschwanger. Wer nicht trinkt, ist nicht von
dieser Welt."
(Heike Geilen; 11/2010)
Roger
Scruton: "Ich trinke, also bin ich.
Eine philosophische Verführung zum Wein"
Übersetzt von Reinhard Kreissl.
Diederichs, 2010. 285 Seiten.
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