Juan Gabriel Vásquez: "Die Informanten"
Verrat
mit tödlichen Folgen
Die Beziehung zwischen dem jungen Gabriel Santoro und seinem
gleichnamigen Vater, einem Rhetorikprofessor, ist schwierig. Vater
Santoro nimmt den Beruf des Journalisten nicht ernst, den der Sohn
ausübt. Dennoch hat der Sohn nicht mit der Reaktion des Vaters
gerechnet, als er diesem ein Exemplar seines ersten Buchs schenkt: Der
Vater überwindet seine Aversion gegenüber den
Massenmedien und verfasst eine Rezension zum Buch - einen
bitterbösen Verriss.
Für das Buch hat Gabriel die Jugendfreundin seines Vaters,
Sara Guterman, interviewt und ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben.
Sara war 1938 mit ihrer jüdischen Familie aus Deutschland nach
Kolumbien geflohen, und ihr Vater hatte dort ein Hotel
eröffnet. Sara lernte dort viele interessante
Persönlichkeiten kennen, unter anderem den damals jungen
Gabriel Santoro senior.
Sara erzählte dem Sohn ihres Jugendfreundes auch von der
"Schwarzen Liste", die in enger Kooperation mit den USA
geführt wurde und Menschen mit Nationalitäten aus den
Achsenmächten enthielt, die verdächtigt wurden, eine
nationalistische Gesinnung und somit eine USA-feindliche Einstellung zu
haben. Auf einen bloßen Verdacht hin konnte man auf diese
Liste und letztlich sogar in ein Internierungslager gelangen, und wer
dort aufgeführt war, verlor sein Vermögen und zumeist
auch seine mühsam erarbeitete Existenz. Zu den Opfern
gehörte der völlig harmlose Deutsche Konrad Deresser,
Vater eines gemeinsamen Freundes von Santoro senior und Sara, der sich
nach dem Krieg umbrachte - wirtschaftlich ruiniert und von seiner
Familie verlassen.
Als Santoro senior eine Herzoperation überstanden hat, kommen
sich Vater und Sohn näher. Doch dem Sohn bleibt es ein
Rätsel, warum der Vater so aggressiv auf sein Buch
reagiert
hat.
Erst nach dem Unfalltod des Vaters und den Enthüllungen von
dessen letzter Geliebter begreift der junge Gabriel, dass sein Vater,
der edle Moralist und geschätzte Bogotáer
Bürger, einen tiefschwarzen Fleck auf seiner Weste hatte. Er
muss ein zweites Buch schreiben, das weniger auf das Schicksal der
jüdisch-deutschen Immigranten eingeht als auf die Leiden
derer, die wie Konrad Deresser unschuldig auf die Schwarze Liste
gerieten und so Teil eines üblen Kapitels der kolumbianischen
Geschichte wurden.
Es dauert eine Weile, bis der Leser begreift, warum Gabriels Vater so
aggressiv auf das erste Buch reagiert hat. Erst nach und nach setzt
sich das Mosaik, das Puzzle einer Vergangenheit zusammen, die
zunächst nach relativ unbeschwerter Freundschaft aussieht und
nach Schicksalen, die scheinbar zufällig zustande kamen.
Letztlich aber ist in diesem Roman nichts dem Zufall
überlassen. Die Figuren sind auf höchst interessante
Weise konstruiert, ihre Handlungen nachvollziehbar - je nach ihrem
Standpunkt in verstörender oder bemitleidenswerter
Weise-– und sie selbst auf ganz individuelle Weise
sympathisch.
Zwischen ihnen steht als Mittlerin Sara Guterman, deutsch und doch
nicht deutsch, nicht wirklich kolumbianisch. Sara,
großzügig mit der Vermittlung von Informationen und
dabei doch grenzenlos loyal denen gegenüber, die ihr in ihrem
Leben etwas bedeutet haben.
Die Geister der Vergangenheit, die Gabriel heraufbeschworen hat, kann
sie nicht aufhalten, und so steht sie ihm, so gut sie kann, zur Seite,
als er sich verpflichtet fühlt, dem wie erwähnt von
der ehemaligen Geliebten zerstörten öffentlichen Bild
seines Vaters nachzuspüren, und auch unangenehmen Begegnungen
nicht ausweicht.
Gabriels erstes Buch bewirkt die Auseinandersetzung mit dem Vater,
obwohl er das nie beabsichtigt hat. Das zweite Buch bringt jemanden auf
den Plan, mit dem Gabriel noch weniger gerechnet hat - ein Opfer. Und
so findet sich Gabriel noch mehr als Sara zwischen allen
Stühlen wieder.
Trefflich ausgedacht und doch an wahren Ereignissen ausgerichtet,
unerbittlich und dabei einfühlsam, kritisch ohne schlichtes
Aburteilen lässt Juan Gabriel Vásquez
ein
düsteres Kapitel der Geschichte in seiner
südamerikanischen Ausprägung auferstehen: ein
packender Roman, eine schmerzliche Auseinandersetzung mit dem Thema
Verrat.
(Regina Károlyi; 02/2010)
Juan
Gabriel Vásquez: "Die Informanten"
Aus dem Spanischen von Susanne Lange.
Schöffling & Co., 2010. 381 Seiten.
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Juan
Gabriel Vásquez wurde 1973
in Bogotá geboren und studierte lateinamerikanische
Literatur an der Sorbonne.
Er hat unter Anderem
Victor
Hugo und E. M. Forster übersetzt sowie zahlreiche
preisgekrönte Erzählungen
und Essays publiziert.
Vier weitere Buchtipps:
Juan Gabriel Vásquez: "Die Liebenden von Allerheiligen"
"Noch nie hatte ich die Einsamkeit aus solcher Nähe gesehen."
In den Erzählungen von Juan Gabriel Vásquez klaffen feine
Risse in zwischenmenschlichen Beziehungen und entfalten eine enorme
Zerstörungskraft: Auf einer Jagd begeht ein alter Mann Selbstmord,
weil er in die Frau seines besten Freundes verliebt war. Von da an
entzweit die Erinnerung an ihn die Eheleute. Die Ehe eines jungen
Paares befindet sich in einer Krise, und während der Mann
kurzzeitig Trost bei einer einsamen Witwe sucht, trifft seine Frau eine
endgültige Entscheidung. Der Erbe eines Gestüts verbringt
eine Nacht mit einer Pferdeärztin und erfährt, warum sie sich
so sehr vor der Dunkelheit fürchtet. Ein Magier vollbringt
für seine Geliebte das Zauberkunststück seines Lebens.
Juan Gabriel Vásquez' Geschichten spielen im ländlichen
Frankreich und Belgien. Seine Anliegen sind jedoch universaler Natur:
Liebe und Abneigung, Einsamkeit, Verlust und Schuld. Mit allen sieben
intensiven Erzählungen beweist der große Romancier, dass er
auch die kleine Form meisterhaft beherrscht
Juan Gabriel Vásquez wurde 1973 in Bogotá geboren und
studierte lateinamerikanische Literatur an der Sorbonne. Er hat unter
Anderem Victor Hugo,
E. M. Forster und John Dos Passos übersetzt sowie
preisgekrönte Erzählungen und Essays publiziert. Seine Werke
wurden bisher in 16 Sprachen übersetzt. Bei Erscheinen seines
Romans "Die Informanten" nannte ihn der Nobelpreisträger
Mario Vargas Llosa "eine der originellsten neuen Stimmen der lateinamerikanischen Literatur".
Im März 2011 wurde Vásquez mit einem der wichtigsten
Literaturpreise der spanischsprachigen Welt ausgezeichnet - dem
"Alfaguara-Literaturpreis". Sein bis dahin unveröffentlichter
Roman "El Rudio De Las Cosas Al Caer" ("Der Lärm herabfallender
Dinge") wurde aus über 600 eingesandten Manuskripten von der Jury
in Madrid gewählt. Für diesen Roman erhielt er 2013 auch den
"Premio Gregor von Rezzori". Juan Gabriel Vásquez lebt als
Schriftsteller mit seiner Frau und zwei Töchtern in Bogotá.
Juan Gabriel Vásquez: "Die Reputation"
zur Rezension ...
Ingolf Bruckner: "Kolumbien"
Weite Teile Kolumbiens sind inzwischen sehr sicher zu bereisen - der
Tourismus blüht!
Dieser umfassende Reiseführer voller Reisetipps informiert
ausführlich über
Hintergründe, Geschichte und Kultur und bietet wertvolle
praktische Ratschläge
für jedes Reisebudget und alle Besucher:
Weltenbummler,
Geschäftsreisende,
Flitterwöchler und Naturforscher. Von der Anreise
über die Wahl der passenden
Unterkunft und Verkehrsmittel vor Ort, Essen und Trinken,
Sehenswürdigkeiten
und Sport, Ausgehen und Einkaufen bis zu den Zollvorschriften beim
Rückflug
werden alle reisepraktischen Fragen kompetent beantwortet.
Kolumbien
kennenzulernen heißt, ganz Südamerika kompakt zu
erleben: traumhafte Inseln
und Strände, alte indianische Traditionen, spanisches
Kolonialflair, eisige
Andengipfel, dampfende Dschungel und heiße Rhythmen auf
brennenden Tanzdielen.
Der Reiseführer beschreibt sorgfältig alle
sehenswerten Orte, Städte,
touristischen Attraktionen und Landschaften. Doch das Beste sind die
Menschen:
herzlich, offen, gastfreundlich und hilfsbereit. (Reise Know-How Verlag
Rump)
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Sergio Àlvarez: "35 Tote"
"Ich
wuchs in einer marxistischen Kommune in Bogotá auf.
Doch die Träume von
der Revolution platzten, nicht zuletzt wegen amouröser
Verstrickungen. Das
Leben draußen auf der Straße lockte mit Salsa,
Mädchen und kleineren Überfällen.
Irgendwann wagten wir uns an größere
Geschäfte. Aber die Drogenmafia kennt
keine Gnade, und als immer mehr meiner Freunde getötet wurden
oder
verschwanden, musste auch ich fliehen. Damit begann meine Wanderschaft
durch
Kolumbien, auf der ich philosophierenden Drogenhändlern,
geschäftstüchtigen
Marionettenspielern und freundlichen Mördern begegnet bin.
Genausowenig wie ich
die Frauen verstehe, die mir immer nur Unglück bringen,
begreife ich, wie
dieses Land funktioniert, wer auf welcher Seite steht und wo mein Platz
ist."
Dem magischen Realismus von
García
Márquez' "Hundert Jahre Einsamkeit" setzt Sergio
Álvarez mit
"35 Tote" einen kraftvollen Roman entgegen, der die jüngere
Geschichte Kolumbiens genauso drastisch realistisch wie unterschwellig
humorvoll
erzählt.
Sergio Álvarez, geboren 1965 in Bogotá,
Kolumbien, lebt in Barcelona.
Er hat
in der Werbe-, Fernseh- und Kinobranche gearbeitet, bevor er sich dem
Schreiben
zuwandte. Für die Recherche zu diesem Roman ist er viele Jahre
durch sein
Heimatland gereist. "35 Tote" ist sein dritter Roman; er wird in
zahlreiche Sprachen übersetzt. (Suhrkamp)
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