Herman van Veen: "Einige Gedichte"
(Hörbuchrezension)
Wie
ein einzelnes langes Gedicht, so hört sie sich durch, diese CD
mit dem Titel "Einige Gedichte". So fügen sich die vom Akzent
geprägten Worte aneinander. So sprechen alle Gedichte vom
Leben, Zusammensein, von der Eigenartigkeit des Seins.
Die Texte decken eine Bandbreite von 1976 bis 2009 ab, "bei
einigen Gedichten wusste [Hermann van Veen] leider nicht mehr, in
welchem Jahr [er] sie geschrieben [hatte]."
Eröffnet wird dieser Reigen an Wortmaterial mit einem Gedicht
von Boris Pasternak:
"Der Saal wird still / Und ich stehe auf den Planken / Ich
lehn mich zögernd an die Tür / Und fange auf in
fernen Echoklängen / Was in meinem Leben um mich herum
passiert."
Auch dieser ein Mensch, der sich mit Klavierspiel, Musiktheorie und
Komposition auseinandergesetzt hat. Dabei scheinen schon diese wenigen,
bereits hier von Klavierspiel begleiteten Worte Pasternaks, die Hermann
Van Veen spricht, Ausdruck für ein Vorgehen der folgenden
Texte zu sein: Hier geht es um das Empfangen dessen, was im eigenen
Leben um einen herum passiert. So haben auch die meisten Gedichte ein
explizites lyrisches Ich, dessen Wahrnehmungsperspektive für
die einzelnen Situationen Ausgangspunkt für den entstandenen
Text ist. Eine gewisse Distanz meint man dabei den
einführenden Worten von Pasternak entnehmen zu
dürfen, vielleicht eine durch die Weisheit des Alters
entstandene Entfernung oder Unnahbarkeit, doch das mag ein
eindringlicher und detaillierter Blick auf die folgenden Gedichte
bestätigen oder verwerfen.
Einleitend und während der gesamten Tonvorführung
spielt das Klavier (und einige musikalische Nebeneffekte) neben Hermann
Van Veens Worten und bedeutet so eine ganz eigene Kulisse, einen
eigenen semantischen Raum. Dabei wirkt die Musik oftmals wie ein
Fragezeichen für den Text, sie interveniert in Sprechpausen
und konterkariert das Wort durch seine Koketterie, die oftmals im
Missklang endet.
Lyrik, das Wort kommt aus dem Griechischen, bedeutet letztlich: "die
zum Spiel der Lyra gehörende Dichtung". Mit dieser
Zusammenstellung könnte man annehmen, dass beide Elemente
wieder zusammen gefunden haben. Doch ganz klar ist es hier die zur
Dichtung gehörende Musik, die die Worte unterstreicht, die
einzelnen Texte ein wenig von einander abgrenzt. Das
"Haupthörmerk" liegt auf den gesprochenen Worten.
Ein Begleitheft mit den zumeist recht kurzen Texten liegt der CD leider
nicht bei. Anfangs dachte die Rezensentin, das sei wirklich schade,
wollte die Wörter vor sich haben, sie in ihrer geschriebenen,
auch formalen Form vor sich wissen, und sie selbst auf sich wirken
lassen. Doch mit jedem Mal hören, mit jedem einzelnen Gedicht
mehr, glaubt die Rezensentin den Erzähler in Herman Van Veen
zu entdecken. Einen Menschen, der dieser alten Tradition des
mündlichen Erzählens nachgeht. Der Titel der CD ist
auch ganz schlicht "Einige Gedichte". Bis zum 18. Jahrhundert war
dieser Begriff noch nicht nur der
Poesie vorbehalten. Man bezeichnete alles schriftlich
Abgefasste als Gedicht. So, wie auch das Wort Dichtung, letztlich auf
ein verdichtetes sprachliches Werk hinweist, auf die Kunstform des
Wortefindens.
Wenige Worte machen hier oftmals ein Gedicht aus, kaum 14 Sekunden lang
ist zum Beispiel der Text, der dem Pasternak-Gedicht folgt und es
postuliert im Titel: "Man hat nichts." Um das Erzählen geht es
da. Wer hat etwas zu erzählen, worüber
erzählen wir? Ist das Erzählen eine allgemeine
menschliche Konstruktion? Mit all dem mag man sich sehr oft nach den
winzigen Gedichten, die so viele Fragen aufwerfen, konfrontiert sehen.
Gut so. Das geringe Wort hinterlässt manchmal mehr als das
lange, epische, ausformulierte, pointierte Gedicht es zu tun vermag.
Und dann, einige Gedichte weiter, ja, da ist es, Van Veen
beschäftigt sich tatsächlich mit dem Alter. "Ich wach
noch nicht auf", ein Text aus dem Jahr 2008, konstatiert, wo man steht,
wer man ist, wie man noch funktioniert, im Verhältnis. Und
gerade in diesen "Ich-kann-noch"-Phrasen erkennt sich der Hang zum
kommenden Unvermögen, dem Nachlassen, das im Alter wohl
wartet. Dabei werden ganz alltägliche Szenerien zu poetischen
Ausdrucksmöglichkeiten, die genau darum auch funktionieren.
Weil sie so nah sind, weil sie so greifbar sind. Und doch, manchmal
findet man auch ein Urteil in den Gedichten, wie auch hier: "So
gut wie es früher war, ist es früher nicht gewesen."
Und die wirken nicht belehrend, die sind lebenserprobt. Deshalb nimmt
man sie als echt wahr und möchte dieses oder jenes Gedicht
noch einmal hören. Auch, weil die niederländische
Stimmfarbe gefällt und den etwas tristen Ton der Gedichte in
einem weichen Klangbett auffängt.
Es ist also immer eine Ich-Perspektive, die den Leser erwartet? Ja,
durchaus, aber sie ist jedes Mal anders, jedes Mal ein wenig neu
nuanciert. Vor allem auf die kleinen Dinge ausgerichtet, in die Details
verliebt. Da sollte man genau hinhören. Denn manchmal mag man
dazu neigen, der nostalgischen Stimmung hinterherzulaufen, die sich gar
nicht als solche entpuppt. Und immer wieder ist das Gedicht auch ein
Gespräch mit einem Anderen, noch einem mehr als dem Leser.
Dieses Gespräch sucht nach der anderen Perspektive, fragt nach
der Wahrnehmung, die doch nie enthoben oder klar objektiv sein kann. "
[...]Sah mich da liegen / eine tote Amsel / auf dem Gartenweg / Konnte
überall hin / wie etwas, das es nicht gab / quer durch die
Wände [...]"
Fast möchte man sagen, dass dies Gedichte sind, die dem
magischen Realismus entspringen, sind sie ja auch nicht in allererster
Linie auf eine stark verdichtete und metaphorische Sprache
ausgerichtet, sondern bestechen durch ihren Inhalt, die oftmalige
Einfachheit der Wörter, die eine Stimmung ergeben und das
Wundersame des Lebens preisen oder verwerfen.
"Wenn du willst / schicke ich dir einen Clown aus Papier / der
dir die Tränen trocknet /[...]"
Das sind die ersten Zeilen eines Gedichts mit dem Titel "Wenn du
willst" aus dem Jahr 1972. Wenn der Leser dies möchte, dann
kann er in so manch kontemplativem Moment zu dieser CD greifen, um sich
von Hermann Van Veen durch die Jahre hindurch einmal fremdbefragen zu
lassen. Der eine oder andere Papierclown wird ganz sicher darunter sein.
(Christin Zenker; 03/2010)
Herman
van Veen: "Einige Gedichte"
Lübbe Audio, 2009. Spieldauer 41 Minuten.
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Herman van Veen, der am 14. März 1945 in Utrecht geborene
erfolgreiche niederländische
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