Svenja Goltermann: "Die Gesellschaft der Überlebenden"
Deutsche Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrungen im Zweiten Weltkrieg
Über
die Folgen der Gewalterfahrungen deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg
Die 1965 geborene Freiburger Historikerin Svenja Goltermann, die
für diese Studie den renommierten Preis des Verbandes der
Historiker und Historikerinnen Deutschlands erhalten hat, untersucht
darin die Leiden der Kriegsheimkehrer, die sich oft erst nach vielen
Jahren in die deutsche Nachkriegsgesellschaft einfügen
mussten. Insbesondere geht sie in "Die Gesellschaft der
Überlebenden" der Frage nach, was die im Krieg und in der
Gefangenschaft gemachten extremen Gewalterfahrungen für die
deutschen Soldaten nach dem Krieg bedeuteten.
Man spricht in der Psychiatrie schon seit Längerem vom
sogenannten posttraumatischen Belastungssyndrom, das man in
großem Umfang erstmals an den Soldaten, die aus Vietnam
zurückkamen, erforschen konnte.
Svenja Goltermann hat für ihre Studie umfangreiches bislang
ungenutztes Quellenmaterial ausgewertet, unter Anderem Krankenakten von
psychiatrisch behandelten Soldaten. Alle diese Quellen zeigen, wie
unendlich schwierig es für die
Betroffenen
und ihre
Angehörigen war, nach der Heimkehr wieder in den Alltag
zurückzufinden. Svenja Goltermann gelingt es in diesem Buch
auf einfühlsame und höchst beeindruckende Weise, all
diese persönlichen Zeugnisse von Gewalt, Schuld und
Rechtfertigung zum Sprechen zu bringen. Das ist auch deshalb so
wichtig, weil diese Menschen zum großen Teil in einer
einsamen Hilflosigkeit gefangen waren, die von verbittertem Schweigen
geprägt war. Der 1954 geborene Rezensent kann sich noch
deutlich an solche Schweigemauern erinnern, denen er als Kind in diesem
Zusammenhang begegnet ist.
Auch die politische Debatte der 1950er-Jahre wird aufgerollt, als die
Rentenansprüche der Kriegsheimkehrer in direkte Konkurrenz mit
den Entschädigungsansprüchen der Holocaust-Opfer
traten. Gleichzeitig leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zu der
seit Langem anhaltenden Debatte um das Selbstverständnis der
Deutschen und ihre Rolle als Täter und Opfer im Zweiten
Weltkrieg.
Dabei verweigert Svenja Goltermann konsequent eine mögliche
Erwartung einer nachträglichen Entschuldung von
Wehrmachtssoldaten
oder gar deren Interpretation als Opfer. Indem sie
den wirklichen Opfern der damaligen Mordmaschinerie großen
Raum widmet, vermeidet sie jegliche Relativierung von Schuld und
Verbrechen.
Dem Rezensenten bleibt die Feststellung, dass es für bestimmte
kollektive Erfahrungen offenbar lange zeitliche Distanzen braucht, bis
eine Zeit zur Aufarbeitung gekommen ist.
(Winfried Stanzick; 02/2010)
Svenja
Goltermann: "Die Gesellschaft der Überlebenden.
Deutsche Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrungen im Zweiten
Weltkrieg"
DVA, 2009. 592 Seiten.
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Noch
ein Buchtipp:
Hartmut Radebold: "Abwesende Väter und Kriegskindheit. Alte
Verletzungen
bewältigen"
Sogar während des Alterns können frühe
Verlusterfahrungen und Verletzungen
noch bewältigt werden.
"Kriegskinder" leiden noch heute unter der fehlenden oder
spannungsvollen Beziehung zu ihren Vätern - diese waren
umgekommen oder
vermisst oder nach ihrer Rückkehr krank, apathisch und kaum
mehr zugänglich für
ihre Söhne und Väter.
Radebold verdeutlicht, wie hilfreich sich eine psychotherapeutische
Behandlung
noch im späteren Erwachsenenalter auswirken kann.
Die Schreckenserlebnisse des Zweiten Weltkrieges sowie die
Nachkriegszeit prägten
die Kindheit von vielen tausend Menschen. Äußerlich
meist unversehrt wurden
sie mit den tief greifenden familiären Veränderungen
konfrontiert, die sich
vor allem durch die physische oder psychische Abwesenheit der
Väter
einstellten. Welche Folgen hatte dies für den
Entwicklungsverlauf der Kinder
und bis zum heutigen Tag?
Auf Basis der Auswertungen von zehn langfristigen Psychoanalysen von
50- bis
65-Jährigen vermittelt Hartmut Radebold ein
Verständnis für das Ausmaß und
die Auswirkungen dieser frühen Belastungen. Vor dem
Hintergrund der eigenen
Erfahrungen seiner Kriegskindheit gelingt es dem Autor, seinen
Patienten zu
helfen, indem er sich ihrem Leid empathisch öffnete und ihre
Gefühle spiegelte.
(Klett-Cotta)
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