Pablo Tusset: "Sakamura, Corrales und die lachenden Leichen"
Ein
köstlicher Roman,
humorvoll und mit viel hintergründigem Witz erzählt
Schon in seinen früheren Büchern, etwa zuletzt in
"Das Beste, was einem
Croissant passieren kann", hat sich der 1965 in Barcelona geborene
Katalane
Pablo Tusset als ein wahrer Meister der Groteske und ein
großer Virtuose der
Kunst der literarischen Satire erwiesen.
In seinem Roman "Sakamura, Corrales und die lachenden Leichen" treibt
er die tiefsinnige Groteske noch auf die Spitze. Für die
Lektüre des Romans,
der in Spanien sehr lange die Verkaufsbestenliste anführte,
ist eine gewisse
Kenntnis der spanischen Innenpolitik, insbesondere des
Verhältnisses der
Metropole und der herrschenden politischen Klasse in Madrid zu den
beiden
widerständigen und auf ihre Selbstständigkeit
pochenden Regionen in Katalonien
und im Baskenland nötig.
Mit scharfem Witz und beißender Ironie karikiert Tusset die
Zustände in seiner
Heimat und hält sowohl den Spaniern als auch den Katalanen
und Basken
einen
geschliffenen satirischen Spiegel vor.
So beginnt das Buch: Innerhalb
kürzester Zeit sind drei Ausländer
(später kommt noch ein vierter hinzu) ums Leben gekommen. Sie
werden allesamt
mit lachenden Gesichtern
aufgefunden.
Rafael Corrales von der Guardia Civil wird mit der Aufklärung
der Todesfälle
beauftragt und verdächtigt die Quallen an der Costa Brava.
Doch der japanische
Inspektor und Zen-Meister Sakamura von Interpol, der wegen der
internationalen
Verwicklungen sofort mit in die Ermittlungen einbezogen wird, findet,
zum
Leidwesen von Corrales nicht selten mitten in der Siestazeit in
großer Hitze
heraus, dass es bei den drei Todesfällen neben den lachenden
Gesichtern (man
dachte zunächst an irgendwelche Drogen) noch viele weitere
Gemeinsamkeiten
gibt.
Es stellt sich heraus, dass die vier Todesopfer zu dem von der
katalanischen
Regionalregierung unter großer Geheimhaltung
durchgeführten "katalanischen
Experiment" gehören. Was sich dahinter verbirgt,
soll wegen der
Aufrechterhaltung der Spannung (und spannend ist dieses Buch durchaus!)
nicht
verraten werden. Das Experiment geht sozusagen nach hinten los, und man
kommt
als Leser, vor allen Dingen wenn man die spanischen Besonderheiten ein
bisschen
kennt, aus dem Lachen nicht heraus.
Auch als der katalanische Regierungspräsident die Agentin 69,
eine Frau, die
mit ihrer Sexualität schon viele Regierungsgegner schachmatt
gesetzt hat, auf
den japanischen Interpolinspektor ansetzt, erlebt diese ihr blaues
Wunder.
Obwohl im Prinzip zölibatär lebend, ist Sakamura Sex
mit Frauen nicht fremd,
und da hat sich in etlichen Jahren eine Menge angestaut.
Als dann noch der spanische Ministerpräsident von einer Gruppe
der "Unaussprechlichen"
(Anspielung auf die ETA) entführt wird, ist die Aufregung
groß. Denn kurz
zuvor wurde ein mysteriöses Gerät gestohlen.
Als der Ministerpräsident einigen Stunden später
wieder auftaucht, muss seine
Rede übersetzt werden ...
(Winfried Stanzick; 09/2010)
Pablo
Tusset: "Sakamura, Corrales und die
lachenden Leichen"
Aus dem Spanischen von Ralph Amann.
Frankfurter Verlagsanstalt, 2010. 300 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Leseprobe:
Eins
Die dritte Leiche befand sich auf dem Deck ihrer Yacht und war ziemlich
hässlich.
Der Mann hatte einen Überbiss, ein feistes Gesicht und einen
Schnurrbart, der
ihm überhaupt nicht stand. Sein Körper war nackt und
übergewichtig und sah
aus wie der einer Seekuh, lugte da nicht ein winziges Geschlechtsorgan
wie ein
Champignon unter dem dicken Bauch hervor, als wäre es der
Schniepel eines
Schwimmreifens. Die Leiche schien zu allem Überfluss auch noch
zu atmen, und
das sah eklig aus. Der Wellengang ließ den Bauch wie einen
Wackelpudding hin
und her schaukeln. Andererseits waren, mal abgesehen von diesem
unheimlichen
Lebenszeichen post mortem, weder Blutspuren noch Verunstaltungen zu
sehen, die
auf einen gewaltsamen Tod hingedeutet hätten. Ganz im
Gegenteil: Das schnauzbärtige
Gesicht des Toten strahlte vor Glück und sah auf eine so
bescheuerte Weise verzückt
aus, dass der Mann auch noch dümmlich wirkte.
Inspektor Sakamura hielt ein wenig Abstand von der Teakholzliege, auf
der diese
hässliche und doch so glückselige Leiche lag.
Sekundenlang stand Sakamura
reglos da: Die kurzen Beinchen leicht gespreizt, die Hände
hinter dem Rücken
verschränkt. Seine Schlitzäuglein glänzten
wie zwei Stecknadelköpfe und
wanderten im Halbschatten des Sonnensegels hin und her. Die Kollegen
von
Interpol hätten gewusst, dass Sakamura sich den Tatort
minutiös einprägte.
Zwar hatte der Fotograf der katalanischen Polizei, der Mossos
d'Esquadra, die
Leiche aus verschiedenen Perspektiven abgelichtet, doch die
dreidimensionalen
Bilder, die der ehrwürdige Zen-Meister in seinem
Gedächtnis festhielt wie eine
Computeranimation, waren besser als die modernsten Digitalkameras.
Neben ihm auf dem Deck der Yacht klebte Rafael Corrales von der Guardia
Civil
beiläufig den Aufkleber der Spanienflagge wieder fest auf das
Armband seiner
Real-Madrid-Uhr. Dann wagte Corrales eine steile These, um zu
erklären, warum
gleich drei Leichen in den letzten Tagen aufgefunden worden waren, die
alle auf
eine so unglaublich dämliche Weise glücklich aussahen:
"Keine Frage, das liegt an den Quallen, das können Sie mir
ruhig glauben."
Doch der Inspektor bat mit einer geschmeidigen Armdrehung um Ruhe,
schnupperte
mit wackelnden Nasenflügeln durch die Luft und beendete seine
organoleptische
Prüfung.
Dann sagte er mit flötender Stimme und einem ulkigen kyotoer
Akzent:
"Pufeffer ... Tumate ... Sellirie ... klein wenig Zitrone ... reiner
Sake
..."
"Sie meinen die Bladdie Märrie", sagte Corrales und zeigte auf
das
Glas, das neben einer zusammengefalteten Zeitung auf einem Tischchen
unweit der
Liege stand.
"Aaaaha ...", rief Inspektor Sakamura, als sei ihm plötzlich
ein
Licht aufgegangen. "Bla Qi Mary?"
"Auf den roten Cocktail hatte sich der Tote sicher schon gefreut."
"Aaaaha ... spanische Cocktail mit
Pfeffer?"
"Natürlich", sagte Corrales und gab sich souverän wie
immer, wenn er
etwas unsicher war. "Der Drink kommt aus Andalusien, sozusagen eine Art
Gazpacho, halt ohne Knoblauch ..."
"Aaaaha ...", sagte Maestro Sakamura, als habe er eine weitere
Erkenntnis gewonnen: "Ga Pa Qo?"
"Natürlich ... Das essen die im Sommer,
gewissermaßen als Suppe ..."
"Suppe Bla Qi Mary im Sommer?"
"Nein, nein, eine Bladdie Märrie wird nicht
gelöffelt, sondern getrunken,
aber dann bekommt man am nächsten Morgen sozusagen einen
fetten Kater ..."
"Aaaaha ... Ka Ta ... Auch
spanische
Spezialität?"
"Um Himmels willen, nein, einen Kater bekommt man, wenn man sich
volllaufen
lässt. Am nächsten Morgen brummt einem dann tierisch
der Schädel ..."
Corrales untermalte seine Ausführungen mit vielsagenden
Bewegungen und hielt
sich zum Schluss theatralisch die Stirn.
"Aaaaha ...", rief erneut der Inspektor und setzte ein intelligentes
Gesicht auf, wodurch seinen Augen, die hinter den schmalen Lidschlitzen
kaum zu
erkennen waren, noch mehr glänzten.
"Und? Was halten Sie von der Geschichte ...?", fragte Corrales, der
vor Japanern einen gewissen Respekt hatte, ebenso wie vor Deutschen und
Italienern. Von seinen Vorgesetzten wusste er außerdem, dass
Sakamura einer der
berühmtesten Spezialagenten auf der ganzen Welt war.
"Och, Tote im Meer schwimmen", sagte der Inspektor und
vollführte
eine elegante Zen-Bewegung mit dem Arm. "Salzwasser in den Haaren ...",
dabei deutete er auf seinen eigenen Schopf, der deutlich grauer und
schütterer
war als der des opulenten Meeressäugetiers mit den nassen,
verfilzten Haaren.
"Aus dem Wasser klettert, will scharfe spanische Suppe trinken ... ohne
Löffel:
um Ka Ta bekommt ...", sagte er ernst, als wäre ihm das
besonders wichtig.
"Zack, dann Toter mysterios tot."
"Genau so wars, gar nicht so dumm ...! Und wieso lacht der so?",
Corrales steckte die Hände in die Hosentaschen seiner blauen
Synthetikhose, die
ihm um die Hüfte schlabberte und beugte sich über die
Leiche, um sich das
Gesicht noch einmal genauer anzusehen.
"Aaaah ... in Ruhe meditieren über großes
Rätsel ... Großes
Koan!"
Corrales zuckte mit den Achseln und redete jetzt, da er sich ein wenig
an den
Inspektor gewöhnt hatte, freier drauflos:
"Hören Sie, ich glaub, der Fall ist eigentlich ganz einfach:
Alle drei
toten Touris lachen doch wie blöde, nicht wahr? Letzten
Sonntag die Engländerin
am Strand, am Mittwoch der Holländer auf der Parkbank und
jetzt dieser Deutsche
auf seiner Yacht ... Und alle drei sehen aus wie gekochte Krebse, so
knallrot
sind sie. Ich sage Ihnen was, das waren die Quallen, garantiert, die
haben ein
Gift, das die Touristen nicht vertragen. Uns Spaniern macht das
vermutlich
nichts aus oder wir haben einfach eine bessere Haut ... Aber ich wette,
dass
sich bei der Autopsie der Engländerin herausstellt, dass die
Qualen irgendwas
mit ihrem Lachmuskel angestellt haben." Er kniff sich in die Backen und
zog
seinen Mund zu einer Grimasse, bis ein sardonisches Grinsen auf seinem
Gesicht
lag. "Dos nennt mon schoschuschagen eine Quollenvagüftung! Sie
werden
schon sehen."
Inspektor Sakamura hörte Corrales aufmerksam zu und versuchte
wenigstens die Hälfte
von dem zu verstehen, was ihm da zu Ohren kam, während sein
von Natur großzügig
ausgestatteter Geist bereits komplexeren Überlegungen nachhing.
"Oft Morde in Carabeya?", fragte er.
"Morde?
Hier?", Corrales schnalzte verneinend mit der Zunge.
"Hier sorgen die Bonzen dafür, dass nicht mal eine Disco neu
aufgemacht
wird ... Diese Katalanen in Ampurien sind ziemlich gerissen, das werden
Sie
schon noch sehen ... Oder meinen Sie, die Urlauber würden noch
an die Costa
Brava kommen, um ihre Kohle bei uns verjubeln, wenn die Leute hier
sterben würden
wie die Fliegen? In Lloré ist das wieder was anderes, auch
in Caster'defés, da
wäre ich mir nicht so sicher, aber hier in Calabella wird
niemand umgebracht
..."
"Drei Morde in einer Woche, hi hi", kicherte Meister Sakamura,
streckte drei Finger in die Höhe und lachte, so unangebracht
es auch schien,
als wäre dies alles für einen Japaner
äußerst witzig.
Corrales, der trotz all seiner Wertschätzung nicht viel
über Japan wusste (ebensowenig
wie über Italien oder Deutschland), schnalzte erneut mit der
Zunge:
"Ich schwörs Ihnen, das sind die Quallen ... Wie gesagt, ich
lebe seit
dreißig Jahren in diesem Nest. Hier herrscht absolut tote
Hose."
"Aaaaha ...", sagte Sakamura wie immer, wenn sich ein Rätsel
auflöste.
"Sie in Carabeya nicht geboren?"
"Ich? Wie kommen Sie denn da drauf ...? Ich bin ein waschechter
Madrilene
und komme zudem aus Carabanchel, dem geilsten Viertel von ganz Madrid."
"Aaaaha, verstehe ...", sagte der Inspektor. "Ich habe Sardinen
aus Carabanchel gegessen."
Der gute Corrales brauchte ein paar Sekunden, bis er verstand, welch
irreführende
Assoziation dem verehrungswürdigen Maestro durch den Kopf
gegangen sein musste:
"Sardinen aus Carabanchel, ach du Scheiße, nein, Sie meinen
Sardinen en
escabeche, eingelegte Sardinen ...", verbesserte er geflissentlich,
gleichwohl leicht gekränkt in seinem Lokalpatriotismus.
"Aaaah, ja. Viel scharfe Essen in Spanien", sagte Inspektor Sakamura
schmunzelnd.
Dann wandte er sich den Polizisten der Mossos d'Esquadra zu, die auf
dem Deck
der Yacht Wache standen, grüßte sie respektvoll -
mit gefalteten Händen und
einer tiefen Verbeugung - und verschwand auf dem Treppchen in Richtung
Heck.
(...)