Aviad Kleinberg: "Die sieben Todsünden"

Eine vorläufige Liste


Aviad Kleinberg ist einer der profiliertesten Intellektuellen im gegenwärtigen Israel, wo er in Tel Aviv als Professor für mittelalterliche Geschichte, Philosophie und Religionswissenschaften lehrt. Doch er publiziert nicht nur in seinem Fachgebiet, sondern mischt sich in Artikeln in großen israelischen Zeitungen immer wieder in aktuelle Debatten ein.

Mit dieser Mischung aus einem sagenhaften Wissensschatz und persönlichem Engagement hat er auch dieses Buch geschrieben, in dem er eine "vorläufige Liste der sieben Todsünden" anfertigt. Wer glaubt, hier auf trockenen und ernsten theologischen Stoff zu treffen, sieht sich getäuscht. Zwar ist es dem Autor sehr ernst mit dem, was er schreibt; er hält die Todsünden, Trägheit, Neid, Wollust, Völlerei, Habgier, Zorn, Hochmut, (er selbst fügt noch die Selbstgerechtigkeit hinzu), für Phänomene der menschlichen Spezies, die viel Unheil angerichtet haben und es weiter tun, doch er versucht stets auch die andere Seite zu sehen.

Immer wieder beschreibt er nicht nur die Schatten der Todsünden, sondern auch ihre Seiten, die Positives hervorbringen. Und er sieht sie nicht losgelöst: "Es gibt keine Sünde ohne Kontext. Es gibt keine Sünde an sich. Die bloße Idee der Sünde ist immer schon Ergebnis eines - ausgesprochenen oder unausgesprochenen - Vergleichs zwischen einem konkreten Ideal und eine konkreten Wirklichkeit ... Sünde ist ein kulturelles Konstrukt."

Und wer von Sünde spricht oder schreibt, sagt er, muss persönlich werden: "Es gibt keine Sünde ohne Kontext. Und es gibt kein unpersönliches Schreiben über die Sünde. Alles Schreiben über die Sünde ist autobiografisch."

Deshalb handelt dieses Buch auch vom Autor selbst, mehr aber noch von einem bunten und intellektuell spannenden Panorama aus religions- und kulturgeschichtlichen Informationen und Betrachtungen. Aviad Kleinberg zeigt sich als brillanter Kenner der Quellen, vor allen Dingen den jüdischen Quellen, und der mittelalterlichen christlichen Theologie. Weil er sich selbst immer wieder in Frage stellt, fordert er auch seinen Leser zu solcher Introspektion heraus, vielleicht gerade den, der mit der religiösen Rede von der Sünde für sein Leben schon längst abgeschlossen zu haben glaubte.

(Winfried Stanzick; 12/2010)


Aviad Kleinberg: "Die sieben Todsünden. Eine vorläufige Liste"
Übersetzt von Christian Wiese.
Insel Verlag, 2010. 238 Seiten.
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Weitere Buchtipps:

John Rawls: "Über Sünde, Glaube und Religion"

Mit einem Nachwort von Jürgen Habermas. Mit Kommentaren von Joshua Cohen, Thomas Nagel und Robert Merrihew Adams.
John Rawls hat sich in keinem seiner publizierten Werke systematisch mit Fragen der Religion auseinandergesetzt und auch darüber, wie er es persönlich mit dem Glauben hält, stets Diskretion bewahrt. Wenig überraschend also, dass der Autor der Theorie der Gerechtigkeit zeitlebens als "religiös unmusikalisch" galt. Nach Rawls' Tod wurden jedoch zwei Texte entdeckt, die zu einer gründlichen Revision dieses Bildes zwingen: seine "Senior Thesis", 1942 eingereicht an der Philosophischen Fakultät der Universität Princeton, sowie ein kurzer, sehr persönlicher Text aus den 1990er-Jahren. Die frühe Arbeit zeigt einen brillanten Studenten mit enormer Kenntnis sowohl der philosophischen als auch der theologischen Tradition, der sich dem klassischen Versuch widmet, religiöse Überzeugungen als nicht verhandelbare Bestandteile einer echten menschlichen Gemeinschaft zu verteidigen. Politik, Ethik und Theologie, so die zentrale These, haben ein gemeinsames Ziel: mit der Sünde - dem Bösen - in der Welt fertig zu werden. Der fast 50 Jahre später entstandene Text, der in Rawls' Computer gefunden wurde, ist von ganz anderer Art. Hier gewährt uns der Vordenker des politischen Liberalismus einen Einblick in seine Biografie und schildert auf eindringliche Weise, wie er als Soldat im Zweiten Weltkrieg den Glauben seiner Jugend verlor - einen Glauben, der ihn sogar zeitweise mit dem Gedanken spielen ließ, Priester zu werden. Rawls war, wie sich jetzt herausstellt, nie Atheist, aber er schließt diese bewegende Selbstauskunft über "seine Religion" mit der Überzeugung, dass der Atheismus zwar katastrophal sei, jedoch nichts, vor dem man sich in politischer Hinsicht fürchten müsse. Religiöse Überzeugungen können nicht strafbar sein. Das gilt nur für Taten. (Suhrkamp)
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Joseph Epstein: "Neid. Die böseste Todsünde"
Man muss auch gönnen können. Doch der Neid ist ein dominantes Gefühl unserer Zeit. Beneidenswert erscheinen etwa Wohlstand, Schönheit, Macht, Talent, Wissen und Weisheit, Glück und Jugend. Joseph Epsteins Essay ist eine anregende Besichtigung dieses Spielverderbers unter den Todsünden.
Der Neid ist in der Reihe der sieben Todsünden die unangenehmste und heimlichste. Namenlose Bosheit, kaltblütige, aber heimliche Feindseligkeit, ohnmächtiges Begehren, verborgener Groll und Gehässigkeit, all das beschreibt dieses Laster.
Der Neider ist kleingeistig und weiß darum. Unerträglich scheint ihm des Anderen Wohl, Ruhm und Besitz. Er sähe ihn gern am Boden zerstört und ist allein zur Schadenfreude fähig.
Joseph Epstein begibt sich in seinem Essay in den Sumpf dieses vollkommen unlustigen Gefühls. Er erzählt von den neiderfüllten Geschichten der Bibel, wägt die Definitionen der Philosophie gegeneinander ab und durchquert Psychoanalyse und Marxismus.
Nichts fällt dem Autor zur Verteidigung dieses niedrigen und destruktiven Gefühls ein - sein Text aber ist auf beneidenswerte Weise humorvoll, kurzweilig und informativ! (Verlag Klaus Wagenbach)
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Eva Menasse: "Lässliche Todsünden"
In einer postmodernen Gesellschaft forscht Eva Menasse nach archaischen Mustern. Sie spürt den sieben Todsünden nach und findet Trägheit und Gefräßigkeit, Wollust und Hochmut, Zorn, Neid und Habgier in den Taten ihrer ganz und gar weltlichen Protagonisten. Wie schon in ihrem Debütroman "Vienna" erzählt sie mit der ihr eigenen Mischung aus Poesie und Komik Geschichten, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen.
Anhand der alten Lehre von den sieben Todsünden widmet sich Eva Menasse den großen Themen der Literatur: Liebe und Hass, Schuld und Vergebung. Denn die Menschen verfehlen einander auch heute aus denselben Gründen wie vor Jahrhunderten.
Ein Familienvater ist zu träge, um gegen Töchter und Exfrau ein eigenes kleines Glück durchzusetzen. Ein junges Liebespaar vermeidet die Kompliziertheiten der Sexualität, indem es den Einen zum Pfleger, die Andere zur Kranken macht. Ein Mann verpasst sein ganzes Leben, weil er sich keine Schwäche leisten will. Und ein geschiedenes Paar bekämpft einander bis ans Grab des gemeinsamen Kindes.
Leidenschaftlich und liebevoll geht die Autorin mit ihren Figuren ins Gericht. Hinter den Fassaden, da, wo die Sünden sind, steckt schließlich der menschliche Kern.
Und so wie die einzelnen Todsünden einander berühren und ineinander übergehen, tun es auch diese Geschichten. Orte und Figuren tauchen auf und kehren wieder, Zusammenhänge erschließen sich quer durch die Kapitel. (btb)
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