John Vaillant: "Der Tiger. Auf der Spur eines Menschenjägers"
Ein dokumentarischer Thriller
Auf der Spur eines
Menschenjägers
Raubkatzen, insbesondere Tiger, haben die Menschen schon seit jeher
fasziniert. Es ist wohl die mit Anmut und Eleganz gepaarte todbringende
Gefährlichkeit eines Tigers, die die Menschen in ihren Bann zieht. Der
Amur-Tiger, fälschlicherweise oft als sibirischer Tiger bezeichnet, der
Gegenstand dieser Dokumentation ist, stellt die größte Unterart der
Tigerfamilie dar und ist somit die größte Katzenart überhaupt, größer
noch als der Löwe. Zum Schutz dieser in ihrem Bestand stark gefährdeten
Tierart wurde 1994 in Russland die "Inspektion Tiger" ins Leben gerufen,
die vor allem den zahlreichen Wilderern das Handwerk legen sollte. Doch
gelegentlich, wenn auch sehr selten, werden die Männer der "Inspektion
Tiger" auch dazu aufgerufen, selbst auf Tigerjagd zu gehen, dann
nämlich, wenn ein Tiger zum Menschenjäger wird, wie 1997 im Gebiet von
Primorje geschehen. Von der Jagd auf diesen Menschenfresser handelt John
Vaillants dokumentarischer Thriller.
Es geht auch gleich ziemlich reißerisch zur Sache: "Die Mondsichel
hängt in den Bäumen, als hätte sie sich dort verfangen. Ihr bleiches
Licht wirft Schatten auf den Schnee ... Plötzlich aber, während der
vertraute Umriss auf der Lichtung schon hervortritt, stößt der Hund
auf einen Geruch, der ihn wie eine Wand zum Stehen bringt. Er knurrt.
Die beiden sind Jagdpartner, und der Mann versteht sofort: Jemand ist
bei der Hütte. Die Haare auf seinem Nacken stellen sich auf wie das
Rückenfell des Hundes. Aus der Dunkelheit dringt ein Grollen zu ihnen,
das von überall her gleichzeitig zu kommen scheint." Doch der am
Anfang vom Autor erstellte Spannungsbogen fällt schon bald in sich
zusammen, die Handlungsstränge schweifen zu sehr aus und verlieren sich
dann in
den
Weiten der Taiga, in welcher sich diese Geschichte zugetragen hat.
Klar, Vaillant liefert eine minuziöse Nachzeichnung der Geschehnisse
sowie der Umstände und Ursachen, die letztendlich dazu geführt haben,
dass ein Amur-Tiger Jagd auf Menschen machte. Doch genau daran krankt
auch sein Buch. Viel zu breit ausgewalzt wird beispielsweise der
biografische Hintergrund der an der Handlung beteiligten Personen. Und
man vermisst irgendwie das erzählerische Kontinuum, es ist ein
montierter Text, Stückwerk, voll von Einschüben, die mit der Hauptsache
oft nur wenig zu tun haben. Außerdem fehlt den ständigen Rückblenden und
Vorgriffen auf das weitere Geschehen die überzeugende Bindung an die
Haupthandlung. Was da ein Thriller werden sollte, gerät -
zumindest phasenweise - zu einer einschläfernden Gute-Nacht-Geschichte.
Doch dann kommen ganz unvermutet wieder kurze reißerische Passagen fast
wie aus "Tarzan"-Groschenheften: "Der Tiger sammelte sich inzwischen
und wurde zur Erwartung in reinster Form: Seine Augen fixierten das
Ziel, als er seine Pfoten zurechtsetzte; die Hüften hoben sich leicht,
als er das Geschoss lud und ausrichtete, das er selbst war, während
sein Schwanz wie ein gerissenes Starkstromkabel hin und her zuckte.
Dann kam der Moment, als Impuls und Beute sich im Geiste des Tigers
genau deckten, und ein Brüllen wie von einem wütenden Gott erfüllte
den Wald." Auf solch einen hanebüchenen Blödsinn stößt der Leser
bedauerlicherweise des Öfteren, was soll man zum Beispiel von der
Aussage halten, dass der Tiger "einem unerforschten Reich irgendwo
zwischen Menschen und Naturkatastrophen zuzuordnen ist", oder dass
der Tiger "sein Blickfeld wie ein großes Unglück ausfüllt wie das
Ende der Welt", was soll das heißen, dass sich ein Tiger "fast
intravenös in die Umwelt seiner Beutetiere einschleichen muss"?
Der Leser erfährt natürlich auch einiges über Biologie und Psychologie
des Tigers, auch über die bürokratischen Hemmnisse, die sich den Tierschützern
der "Inspektion Tiger" immer wieder in den Weg stellen, über allgemeine
Probleme in Sachen Naturschutz oder über den durch Protektion und
Korruption entstandenen Geldpöbel im neuen Russland. Dies und einiges
Andere mehr macht das Buch dann auch lesenswert. Vor allem die
nachdenklich stimmenden Sätze im Epilog führen das Buch noch zu einem
überzeugenden Abschluss. Insgesamt halten sich die gelungenen und die
weniger gelungenen Passagen in Vaillants "Der Tiger" in etwa die Waage.
Und wer sich für Tiger oder allgemein für Katzen
interessiert, der wird das Buch sicher mit Gewinn lesen.
(Werner Fletcher; 11/2010)
John Vaillant: "Der Tiger. Auf der Spur
eines Menschenjägers.
Ein dokumentarischer Thriller"
Übersetzt von Dagmar Mallett.
Karl Blessing, 2010. 432 Seiten.
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Noch ein Buchtipp:
Alain Pons, Christine Baillet: "Mein großes Buch der Tiger"
Tiger
sind kraftvoll und elegant. Einsam wandern sie durch ihr Revier und
dulden nur selten Artgenossen. Der Fotograf Alain Pons und die Autorin
Christine Baillet kamen den Einzelgängern dennoch auf die Schliche.
Quer durch
Indien folgten sie den gestreiften Großkatzen und beobachteten sie
in der Wildnis. Ihre beeindruckenden Nahaufnahmen und spannenden Texte
zeigen dem Leser Tiger in allen Facetten - in der Kinderstube, auf
Raubzug und beim Schwimmen.
Ein Buch zum Staunen und Lernen. (Knesebeck Verlag)
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