Tidiane N'Diaye: "Der verschleierte Völkermord"
Die Geschichte des muslimischen Sklavenhandels in Afrika
Eine afrikanische Tragödie
Im vorliegenden Buch erfahren wir einiges über "Die Geschichte des
muslimischen Sklavenhandels in Afrika" (Untertitel). Der senegalesische
Autor ist Anthropologe und Wirtschaftswissenschaftler und gilt als
Experte auf dem Gebiet der Geschichte Schwarzafrikas. Die im Jahr 2008
erschienene Originalausgabe wurde aus dem Französischen übersetzt von
Christine und Radouane Belakhdar.
Der Autor schätzt die Zahl der Toten, die auf das Konto des
arabomuslimischen Sklavenhandels gingen, auf mindestens 17 Millionen.
Dieser sukzessive Völkermord begann damit, dass im Jahre 652 der Emir
Abdallah ben Said dem nubischen König Khalidurat einen
Schutzgeld-Vertrag aufzwang: Nubien werde unter dem Schutz Allahs und
seines Propheten Mohamed
stehen, wenn es alljährlich 360 Sklaven beiderlei Geschlechts an den
Imam der Muselmanen lieferte. Im Lauf der folgenden dreizehn
Jahrhunderte drangen islamische Sklavenhändler immer tiefer in den
Kontinent ein und verschleppten viele Millionen Schwarze in die
arabischen Länder. Als die christlichen Europäer als Kolonialmächte in
Afrika eindrangen, konnten sie von einem Unterdrückungssystem
profitieren, das die Araber längst etabliert hatten.
N'Diaye stellt grundsätzlich die These auf, "dass der von den
arabomuslimischen Räubern betriebene Sklavenhandel und der von ihnen
geführte Dschihad weitaus verheerender für Schwarzafrika war als der
transatlantische Sklavenhandel." Weswegen der araboislamische
Sklavenhandel und Völkermord bis heute eher verschleiert blieb, lässt
sich nur schwer nachvollziehen. Es scheint so, als habe sich die
afroislamische Gesellschaft als Solidargemeinschaft gegenüber dem
europäischen Kolonialismus zu einer Art Verschwiegenheit fast
verpflichtet gefühlt. Im Anhang zitiert N’Diaye eine Reihe von
Koransuren, die die Versklavung von Nicht-Muslimen durch Muslime
befürworten. Die Araber wurden historisch betrachtet zu Erben der
Antike, womit sie auch die Sklaverei übernahmen. Die Sklaverei
ermöglichte es, Heere aufzustellen, und sie deckte den Bedarf an
Hauspersonal und Feldarbeitern. Aber anders als die römische Sklaverei,
die als höchsten Ansporn die Aussicht auf Freilassung und Bürgerrechte
bot, verhinderte die systematische Kastration afrikanischer Sklaven in
der arabomuslimischen Welt eine Osmose zwischen Orient und Afrika. Damit
wurde eine Gesellschaftsform verfestigt, in der Religion, Rasse und
Status wesentliche Unterscheidungsmerkmale darstellten. Es zeigte sich
auch hier, wie Ausübung und Missbrauch fundamentalistischer Religionen
zur Diskriminierung Andersgläubiger und zur Legitimation absoluter
Herrschaft führen.
N'Diaye führt aus: "Hatte der transatlantische Sklavenhandel vier
Jahrhunderte gewährt, so haben die Araber dreizehn Jahrhunderte lang
den afrikanischen Kontinent südlich der Sahara ununterbrochen
geplündert." Er vertritt die Ansicht, dass der muslimische
Sklavenhandel weitaus folgenschwerer als der europäische war. Den ca. 17
Millionen Opfern des muslimischen Sklavenhandels stehen etwa 13
Millionen Opfer des transatlantischen Sklavenhandels gegenüber. Dabei
verschweigt uns N'Diaye nicht, dass häufig schwarzafrikanische Herrscher
ihre eigenen Landsleute in die Sklaverei verkauften. Das vorliegende
Buch lehrt uns jedenfalls, dass für den Islam nicht alle Menschen gleich
sind, die Menschheit zerfällt in Gläubige und Ungläubige. Sklaverei hat
es in vielen Kulturen und zu vielen Zeiten gegeben, aber offensichtlich
hat die Sklaverei nirgendwo eine so konstitutive Rolle gespielt wie im
Islam. Sie hat dessen kulturelle Identität geradezu definiert, die
Unterscheidung zwischen Mensch und Un-Mensch.
N'Diaye beschreibt die Vorgänge so: "Millionen Afrikaner wurden
überfallen, niedergemetzelt, gefangen genommen, kastriert und unter
unmenschlichen Bedingungen karawanenweise quer durch die Sahara oder
über den Seeweg in die araboislamische Welt deportiert. Die meisten
Araber, die im Zuge der ersten Welle zur Islamisierung der schwarzen
Völker nach Nordafrika gelangten, gaben sich als Vorbild für die
Gläubigen aus. Denn unter diesem religiösen Vorwand begingen sie die
schändlichsten Verbrechen und die entsetzlichsten Grausamkeiten."
Das Problem des vorliegenden Buches ist die lückenhafte historische
Quellenlage und ein teilweise spekulativ-pathetischer Stil: "Die
arabische Eroberung stürzte diesen Kontinent und seine alten Kulturen
durch die blutigen Plünderungen, Massaker, Großfeuer und Verwüstungen
in die Finsternis und führte zur Entvölkerung und Unfruchtbarkeit
dieser an Gold, Edelsteinen, Gewürzen und Palmen so reichen Erde. Die
von Generation zu Generation weitergegebene Lebensenergie erstarb im
Zuge des Vormarsches der arabischen Eroberer."
N'Diaye führt aus, dass mit der Islamisierung Afrikas auch der
Sklavenhandel legitimiert wurde. Reichtum und Ansehen korrespondierten
zur Anzahl der Sklaven, die jemand hatte. Und er behauptet: "Heiliger
Krieg
und Menschenjagd wurden zur gewinnträchtigsten Industrie." Nach
damaliger Auslegung gestattete der Islam, dass Gläubige gegen Ungläubige
in den Krieg ziehen und sie versklaven durften. Die Sklavenkarawanen
quer durch die Wüste waren oft Monate unterwegs. Kälte, Hitze, Hunger,
Durst, Peitschenhiebe und Krankheiten machten den Sklaven zu schaffen,
die durch Holzgabeln und Eisenketten miteinander verbunden waren. In
manchen Gegenden soll die Anzahl der verendeten Sklaven so hoch gewesen
sein, dass die Hyänen überfordert waren, sie aufzufressen. Etliche
Stammesführer kollaborierten mit den arabischen Sklavenhändlern,
andererseits gab es in diversen Regionen durchaus auch Versuche des
Widerstands in verschiedenen Jahrhunderten. Im 19. Jahrhundert
überwachten die Europäer zwar die Schifffahrtswege, gingen aber nicht
konsequent gegen die Sklavenhändler vor.
Das Buch bietet im Schlussteil noch eine harte These: "Durch die
Kastrierung der meisten dieser Millionen bedauernswerten Menschen
entwickelte sich dieses Unternehmen zu einem regelrechten Völkermord.
Die nahezu völlige Auslöschung der Schwarzen in der arabomuslimischen
Welt war vorprogrammiert. Das Wort Völkermord ist nicht übertrieben,
denn die grauenhafte Verstümmelung der Sklaven führte in achtzig
Prozent der Fälle nicht nur zum Tod der ‚Patienten‘, sondern auch zur
Sterilität der wenigen Überlebenden, denen auf diese Weise eine
Nachkommenschaft verwehrt blieb. Das bedeutete letztendlich eine
ethnische Auslöschung." Der Autor rührt natürlich an sensible
Befindlichkeiten, wenn er grundsätzlich moniert: "In der
arabomuslimischen Welt fehlt es seit eh und je schlichtweg an einer
Tradition der Kritik oder gar der Selbstkritik." Er bemängelt
auch, dass sich diverse Koranstellen zu Gunsten oder zu Ungunsten der
Schwarzen auslegen lassen. Besonders irritierend wird die Situation um
die schwarzen Sklaven, wenn man bedenkt, dass ein erheblicher Teil von
ihnen zum Islam übergetreten war.
Eine traurige Wahrheit ist jedenfalls, dass die europäische
Kolonisierung mithalf, die Sklaverei zu beenden. In Algerien und
Tunesien wurde die Sklaverei bereits 1846 abgeschafft, in Saudi-Arabien
etwa erst im Jahre 1962! Die Sklaverei in Afrika bleibt ein Tabuthema,
die Quellenlage für seriöse Forschungen ist diffizil, wenngleich N'Diaye
behauptet, dass "unzählige Manuskripte in den Archiven der einst vom
Osmanischen Reich regierten Länder lagern." Zweifelsohne steckt
viel Zündstoff in dieser überfälligen Aufarbeitung der arabomuslimischen
historischen Verfehlungen. In einem weltpolitischen Klima, in dem z.B.
der transatlantische Sklavenhandel und die nationalsozialistischen
Holocaust-Verbrechen aufgeklärt wurden, darf man auch keine falsche
Rücksicht auf die muslimischen Länder und deren
Vergangenheitsbewältigung nehmen. N'Diayes Buch und Vorgehensweise mag
in manchen Passagen auch kritikwürdig sein, grundsätzlich ist sein Buch
als Appell zu verstehen, der längst überfällig war.
(KS; 05/2010)
Tidiane N'Diaye: "Der verschleierte
Völkermord. Die Geschichte des muslimischen Sklavenhandels in Afrika"
(Originaltitel "La génocide voilé. Enquête historique")
Deutsch von Christine und Radouane Belakhdar.
Rowohlt Berlin, 2010. 253 Seiten.
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