Wolfgang Martynkewicz: "Salon Deutschland"
Geist und Macht 1900-1945
"Dieses Buch will sich
nicht noch einmal über das 'Mißlingen der Kultur' empören [...].
Sein Grundgedanke ist sehr viel einfacher: Es will, was im
historischen Rückblick als Wissensbestand, als Formation und
Erkenntnis geordnet vor uns liegt, noch einmal in statu nascendi
aufsuchen."
Es geht um den literarischen Salon des Verlegerehepaares Hugo und Elsa
Bruckmann in München. Am 23. Dezember 1924 besuchte der
Führer erstmalig den bürgerlichen Salon. Man empfand "eine Art
Dämonie" in seiner Gegenwart.
"Ein Erzähler berichtet einem Publikum eine in der Vergangenheit
spielende Geschichte, d.h. eine zusammenhängende Reihe von
Geschehnissen." (Ulrich Suerbaum 1985) Das steht in einem
Einführungsbuch in die anglistische Literaturwissenschaft und kann als
der minimalistischste Grundstein für den Vorgang der Narration, das Sein
des Erzählens stehen bleiben.
Geschichtsschreibung und die Darstellung in einem Sachbuch durch einen
Beschreibenden ist immer auch (Re-)Konstruktion. Wolfgang Martynkewicz
betont in seiner Hinführung zum Buch ganz klar, dass er einen Raum des
Verständnisses schaffen will für das, was da zwischen 1899 und 1945 im
Hause Bruckmann passiert ist und wie eine geistige Elite sich hat mit
dem nationalsozialistischen Gedankengut einlassen können. Daher beginnt
Martynkewicz auch gar klar mit den beginnenden Entwicklungen, zu suchen
in der brieflichen und auch persönlichen Bekanntschaft zwischen Hugo
von
Hofmannsthal, dem aufstrebenden, äußerst jungen Lyriker und
Dramatiker und der Fürstin Cantacuzène, der späteren Elsa Bruckmann.
Dabei herrscht in dieser Zeit auch eine große Verlustangst der einzelnen
Bevölkerungsschichten. Die Moderne ist geprägt von einer
Schnelllebigkeit, die sich durch die Industrialisierung in Gang setzte
und nun auch weitergreifende Folgen mit sich bringt. Die Aristokratie
scheint in ihren Grundfesten nicht mehr lange Bestand zu haben. Den
Verlust gewisser Führungspositionen vor Augen, werden natürlich gewisse
Geisteshaltungen eingenommen oder in opportunistischer Manier sich
einverleibt.
"Voll im Leben stehn, mit offenen Augen für Alles was ringsum sich
erschließt, und doch sich selbst nicht verlieren", so zitiert
Martynkewicz Elsa Cantacuzène, die 1897 einen Artikel für die
Zeitschrift "Dekorative Kunst" schrieb, Zeitungen kurzfristiger Manier
waren zu jener Zeit, das dürfte auch unseren Gefilden nicht so fern
sein, von großer Häufigkeit - doch oft entsprachen die Zeitschriften der
Jahrhundertwende manifestartigen Pamphleten, die den "Originalitätsanspruch
einer
neuen, angewandten Kunst [formulierten]".
In genauer Hinführung zum Thema und detaillierter Ausführung der
gesellschaftlichen Umstände, der persönlichen Verbindungen, der
Freundschaften und geistigen Vernetzungen zeichnet Martynkewicz ein
weitreichendes Bild der vorletzten Jahrhundertwende und lässt den Leser
einsteigen in diese Zeit wie in einen historischen Roman; das mag ich in
etwas provozierender Manier so formulieren, mit realhistorischer Nuance,
die anfangs aufgeführten Analogien zur Geschichte als Narration dürften
hierin ihren bestätigenden Spiegel finden.
In fließenden Übergängen präsentiert der Literaturwissenschaftler
Wolfgang Martynkewicz in Exkursen in die zeitgenössische Literaturwelt
das, worüber die Schriftsteller schrieben, und zeichnet so in analoger,
ja spiegelnder Form den Zeitgeist, wenn man dieses Wort ganz unverblümt
und neutral verwenden darf, innerhalb der Belletristik und Kunst,
verweist auf biografische Eckdaten und beschreibt so ein sehr
heterogenes, aber im Großen betrachtet uniform sich entwickelndes Bild
der geistigen Gesellschaft des beginnenden
zwanzigsten Jahrhunderts.
Martynkewicz spricht unter Anderem auch von der Entstehung des "Verlag
der
Kunst und Wissenschaft" unter Friedrich Bruckmann in der Mitte des
19. Jahrhunderts, der mit Hugo und seinem Bruder Alphons eine neue
Richtung erhält. Er schreibt von der gesellschaftlichen Reaktion auf das
Attentat
in Sarajewo, spricht vom
Ersten
Weltkrieg und weiß in der Betrachtung der verschiedenen Städte,
München und Wien zum Beispiel, ein vielseitiges Porträt jener Zeit zu
liefern.
Zudem: Sehr informativ werden einige schwarz-weiß gehaltene Fotografien
zur Illustration der geschriebenen Worte beigefügt, die uns unter
Anderem die Fürstin Cantacuzène, spätere Elsa Bruckmann, oder
Zeitschriftentitelblätter zeigen.
Aber lesen und sehen Sie doch selbst, es wird sich lohnen.
(Christin Zenker; 03/2010)
Wolfgang
Martynkewicz: "Salon Deutschland. Geist und Macht 1900-1945"
Aufbau-Verlag, 2009. 617 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen