Volker Reinhardt: "Blutiger Karneval"
Der Sacco di Roma 1527 - eine politische Katastrophe
Wenn der
Geschichtsinteressierte den Begriff Sacco di Roma hört, denkt er
spontan an einige der schwärzesten Tage der Stadt des Papstes, der
religiösen Metropole der lateinischen Christenheit im Jahre 1527,
sieht den Papst mit seinen Kardinälen in die Engelsburg fliehen, um
dort hilflos dem Wüten der kaiserlichen Soldateska zuschauen zu
müssen, welche die Stadt am Tiber der Hölle einer unbeherrschten
Plünderung unterwarf.
Volker Reinhardt, Lehrstuhlinhaber für Geschichte an der Universität
Freiburg im Üchtland, hat es unternommen, über dieses Ereignis eine
Studie zu veröffentlichen, die andernorts durchaus gewürdigt wurde,
wobei jedoch auch gefragt wurde, weshalb der Autor dieses Ereignis so in
den Vordergrund stelle, da es doch nur eine Wegmarke und nicht einmal
eine besonders bedeutsame, in dem Verwirrspiel der Jahrhunderte
dauernden
Auseinandersetzung zwischen Kirche und Reich darstellte.
Wenn man die Ereignisse des Sacco di Roma nur eingeordnet in die
historische Chronologie sieht, mag dies zutreffen. So, wie der Autor
seine Studie angelegt hat, geht sie jedoch weit über das hinaus, was
manche Rezensenten zu lesen glaubten. In einem furiosen Parforce-Ritt
führt uns der Autor nicht nur durch die Vorgeschichte der von
persönlichen Eifersüchteleien geprägten Auseinandersetzungen am Vorabend
der ersten
Türkenbelagerung Wiens, sondern führt uns auch ein in die
Zänkereien zwischen den oberitalienischen Stadtstaaten, die teils zum
Kaiserhaus neigten, teils zum Papst und auf jeden Fall ihren eigenen
Vorteil zu behaupten und ihre Macht auszuweiten versuchten. Er zeigt in
faszinierender Vielspurigkeit die Vorgeschichte der großen Plünderung
auf, die keineswegs notwendigerweise hätte eintreten müssen, deren
Verhinderung jedoch daran scheiterte, dass insbesondere Papst Clemens
VII., aber auch die Generalissimi der Liga, in ihren Loyalitäten
außerordentlich schwankten. Er führt uns den französischen König Franz
I. vor Augen, der entgegen seiner auch heute noch gern geglaubten
Selbstdarstellung ein Zauderer war und keineswegs der bewundernswürdige
Heerführer, als der er sich gern sah. Er führt uns ein in die psychische
Verfassung eines Kaisers, in dessen Reich die Sonne nie unterging und
der wie seine Gegenspieler ebensowenig in der Lage schien, der der
damaligen Zeit angemessenen politischen Vernunft gemäß zu handeln. Er
seziert die Berater des Papstes, von denen einer nur, Francesco
Guicciardini, nicht die Bodenhaftung verloren hatte, während so
berühmte Kollegen wie Niccolò
Macchiavelli den Papst zu Handlungsweisen verführten, die geeignet
waren, sich selbst und den Kirchenstaat in den Abgrund zu führen.
Die Ereignisse werden vom Autor nicht nur aufgezählt und in all ihrer
Raserei und Grausamkeit an Beispielen dargestellt, sondern er unternimmt
es, die Schreckenstage aus der jeweiligen Sicht der Beteiligten zu
beleuchten, wie man einem geschliffenen Edelstein je nach Standpunkt
wechselnde Lichteffekte abgewinnt. Besonders beeindruckend fällt dabei
die Analyse der kaiserlichen Truppen aus, wobei schon die Zeitgenossen
zwischen dem tumben Furor Teutonicus und dem hinterhältigen Sadismus der
spanischen Kontingente zu unterscheiden wussten. Gefürchtet waren die
Spanier mehr als die Deutschen, weil man bei dem Wüten der Letzteren
doch eine gewisse Verlässlichkeit des Wortes erfuhr.
Der Autor geht darüber jedoch weit hinaus und entdeckt zwei für das
historische Geschehen doch sehr interessante Aspekte: Einerseits die
Tatsache, dass viele der deutschen Landsknechte, die für den
allerkatholischsten König kämpften, bereits Protestanten waren, was sich
insbesondere in ihrem Verhalten äußerte, als ihr "Vater der
Landsknechte", Georg von Frundsberg, kurz vor dem Marsch auf Rom durch
einen Schlaganfall außer Gefecht gesetzt wurde. Und des Weiteren scheint
zwölf Jahre nach Marignano für den Exportschlager der eidgenössischen
Konföderation, die Reisläufer, die Götterdämmerung angebrochen zu sein.
Bisher als unüberwindbare Kriegsmaschinen geschätzt und gefürchtet,
beginnt hier in Rom ihr Ruf zu schwinden und ihre Aufgabe zu enden.
In einem Blick zurück auf die Ereignisse und unter den verschiedenen
Aspekten einer möglichen Beurteilung vermag der Autor farbig vor Augen
zu führen, was das Ereignis, das vermeintlich hinter anderen in der
Bedeutung zurückzutreten habe, für die weitere Geschichte bedeutete:
Den Beginn des Verfalls der päpstlichen Macht als profanem Fürstentum
und die Rückbesinnung - wenn auch erst unter dem Nachfolger Clemens VII.
- auf die theologischen und insbesondere seelsorgerischen Aufgaben, weg
vom "Papst in Uniform" und weg von den Päpsten, deren Hauptaugenmerk auf
kriegerischem Ruhm oder dem modischen Besatz einer Tunika lag.
Zu den politischen, theologischen und zutiefst menschlichen Schlüssen,
zu denen der Autor kommt, lassen wir in abschließend selbst sprechen;
sie sind sicher nicht zum ersten Mal gedacht oder geäußert worden, aber
selten so stringent.
"Die Katastrophe: Das ist jetzt nicht der Sacco allein, sondern der
Abstieg Italiens aus der einst so stolzen Selbstbestimmung in den
Abgrund des Bedeutungs- und Autonomieverlusts, wie er sich in den
Kriegen der Großmächte um Mailand und Neapel ab 1494 manifestiert. Die
Plünderung Roms ist, so betrachtet, nur noch ein Symptom dieser Krise,
allerdings ein bedeutsames und vor allem selbst erlebtes."
"Christus jedenfalls ist ohnmächtig;
wer ihm nachfolgt, geht unter. Deshalb hat es auch nie eine
christliche Kirche gegeben. Was die Mönche und die Päpste lehren, ist
das genaue Gegenteil davon. Hat sich die christliche Offenbarung und
Erlösungslehre angesichts der menschlichen Lebenswirklichkeit von
selbst erledigt, so entspringt aus der Betrachtung dieser unseligen
Weltzustände doch ein Mitleid, das seine fernen christlichen Ursprünge
nicht verleugnet."
"Ja, die Plünderer sind geradezu vollendete Verkörperungen des homo
politicus, des Menschentyps, der in die Ämter drängt; dieser ist in
allen Zeiten und Staaten durch Unfähigkeit zu einem anständigen
bürgerlichen Erwerbsberuf, Neid auf die Talentvolleren, ungebremsten
Ehrgeiz, mehr zu sein, als ihm beschieden ist, sowie durch Gier,
Opportunismus und Wortbrüchigkeit gekennzeichnet. Im Unterschied dazu
sind die Plünderer des Jahres 1527 dadurch entschuldigt, dass sie
selber Getriebene sind: Von Kälte geschüttelt, von Hunger gepeinigt,
von den Mächtigen gehetzt rauben sie, um nicht unterzugehen."
Die barmherzige Kirche mit einem als barmherzig empfundenen Gott, möchte
man hinzufügen, konnte erst in der Zerstörung der herrschenden Kirche
entstehen. Und hierfür war der Sacco di Roma ein, wenn auch grausiges,
Fanal!
Was die Lektüre dieses Buches darüber hinaus zu solch einem Vergnügen
macht, ist jedoch nicht nur die Fähigkeit des Autors, ein bekanntes und
bedeutendes Ereignis für den Leser interessant darzustellen, sondern der
Autor besitzt eine fesselnde Sprachmusikalität. Das kleine Werk ist in
einer hinreißenden Sprache geschrieben, die nicht nur den historischen
Sinn anspricht, sondern auch die sprachliche Sinnlichkeit. Die
Musikalität des Wortes ist dem Autor in einem Ausmaß gegeben, wie man es
lange nicht mehr gesehen hat.
Es ist ein Kleinod entstanden, das auch ausgezeichnet ausgestattet ist,
und dessen Lektüre man nur wärmstens empfehlen kann.
(Horst Boxler; 02/2010)
Volker
Reinhardt: "Blutiger Karneval. Der Sacco di Roma 1527 - eine
politische Katastrophe"
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2009. 144 Seiten.
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Hörbuchausgabe:
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2010.
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