Claudia Piñeiro: "Die Donnerstagswitwen"
Abgründe
In einem europäischen Land und in einer anderen
Gesellschaftsschicht wäre es der Skatabend oder der
Stammtisch. In Altos de la Cascada, einer exklusiven Wohnsiedlung nahe
Buenos Aires, hat die jeden Donnerstag stattfindende Zusammenkunft von
vier Männern ein anderes Flair, das von Klasse zeugt. Ihre
Frauen müssen zusehen, wie sie an den Donnerstagabenden
zurande kommen, mit- oder ohne einander, ganz gewiss jedoch ohne die
Männer.
Claudia Piñeiro lässt ihren Roman mit einem solchen
Donnerstag beginnen, der aber anders verläuft als die anderen:
Ronie, der Mann der Protagonistin Virginia, kommt früher als
gewohnt von dem Männerabend zurück und
verhält sich höchst eigenartig. Nicht, dass ihre Ehe
in den letzten Jahren gut verlaufen wäre, doch Virginia
versteht ihren Mann an diesem Abend gar nicht mehr - er scheint
panische Angst zu haben. Und dann verletzt er sich in seinem
scheinbaren Wahn auch noch. Die anderen drei Männer aber sind,
wie sich im weiteren Verlauf zeigen wird, im Schwimmbecken des
Gastgebers ertrunken.
Dass es sich bei Ronies sonderbarem Gebaren keineswegs um einen Wahn
handelt, sondern um Angst um sein Leben, erweist sich nach und nach.
Rückblenden und wenige Ereignisse nach jenem Donnerstag zeigen
auf, dass Altos de la Cascada, jene Insel der Glückseligen mit
reichem Konto und hoch dotiertem Arbeitsplatz, allerlei Schattenseiten
verbirgt. Depressionen, Ehebruch, Drogen, häusliche Gewalt und
nicht zuletzt die sorgsam kaschierten Auswirkungen der Wirtschaftskrise
bis hin zum Verlust der einträglichen und
repräsentativen Managerstellung: die Fassaden
bröckeln. Drei der vier Männer, die sich donnerstags
treffen, wählen einen eigenartigen Weg, um ihren Familien den
gewohnten Lebensstandard zu sichern. Die Ausnahme ist Ronie, und er
weiß nicht, ob er richtig oder falsch gehandelt hat.
Wäre da nicht der spannungsgeladene Einstieg, so
würde man bei der Lektüre weiter Teile des Romans das
Urteil Serienmassenware fällen. Typische Probleme der Reichen
stehen scheinbar im Vordergrund. Und nur ganz behutsam schleichen sich
die Risse in der bereits erwähnten Fassade ein. Gegen
äußere Einflüsse ist Altos de la Cascada
mit einem robusten Zaun und einer strengen Zugangskontrolle gesichert,
nicht aber gegen die Abgründe, die sich von innen auftun.
Geschickt mit der Spannung arbeitend, entwirft die Autorin ein
verstörendes Bild einer scheinbar verschworenen Gemeinschaft
von Menschen mit ähnlichem sozialen Hintergrund, zwischen
denen doch mörderische Konflikte schwelen, die einander
belügen und betrügen, ob es sich nun um Ehepartner
oder Freunde handelt, und an ihren ihr Leben, ihre
doppelbödige Moral hinterfragenden heranwachsenden Kindern
zunehmend verzweifeln - die dann beweisen, dass sie von Moral
wesentlich mehr verstehen als ihre korrumpierten Eltern.
Dezent bauen sich Spannungsbögen auf, lösen sich
Rätsel, tun sich neue Fragen auf. Wie ein Krimi gewinnt der
Roman zunehmend an Fahrt; man mag die Auflösung ahnen, sie
gestaltet sich schließlich komplexer, als der Leser vermuten
würde, der letztlich auch bei dem beinahe offenen Ende die
Rolle einer "moralischen Instanz" einnehmen darf.
Claudia Piñeiro entwirft ein ungewöhnliches Bild
von den Reichen und Schönen ihres Landes, das letztlich im
Zeitalter der Globalisierung keineswegs nur auf Argentinien zutrifft
und Abgründe in der menschlichen
Seele zum Vorschein bringt.
(Regina Károlyi; 08/2010)
Claudia Piñeiro: "Die Donnerstagswitwen"
(Originaltitel "Las viudas de los jueves")
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen.
Unionsverlag, 2010. 316 Seiten.
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Claudia
Piñeiro wurde 1960 in Buenos Aires geboren. Nach dem Wirtschaftsstudium wandte sie sich dem
Schreiben zu, arbeitete als Journalistin, verfasste Theaterstücke,
Kinder- und Jugendbücher und führte Regie fürs Fernsehen. Ihr
Debütroman "Ganz die Deine" kam 2003 in die Endauswahl für den "Premio Planeta",
für ihren zweiten Roman "Die Donnerstagswitwen" erhielt sie anno 2005 den "Premio
Clarín".
Im Jahr 2010 ging der "LiBeraturpreis" an Claudia Piñeiro
für ihren Roman "Elena weiß Bescheid".
Weitere Bücher der Autorin (Auswahl):
"Ganz die Deine"
Jede Frau wird unweigerlich irgendwann von ihrem Mann betrogen, davon
ist Inés,
perfekte Ehefrau und Mutter, überzeugt. Deshalb ist sie auch
nicht überrascht,
als sie in der Aktentasche ihres Mannes Ernesto ein Zettelchen findet
mit einem
Herz aus Lippenstift, unterschrieben mit "Ganz die Deine". Ab jetzt
untersteht Ernesto ihrer strengen Kontrolle.
Als sie Ernesto an einem regnerischen Winterabend heimlich folgt, wird
sie Zeugin eines heftigen Streits zwischen ihm und einer Frau. Die Frau
stürzt, Ernesto versenkt sie im nahegelegenen See: Endlich ist die Geliebte aus
dem Weg geräumt. Inés verhilft ihrem Mann zu einem Alibi,
denn schließlich verbindet
Hass genauso sehr wie Liebe.
Doch der undankbare Ernesto denkt gar nicht daran, seine
außerehelichen
Aktivitäten
aufzugeben. Nun beginnt Inés einen Rachefeldzug, von dem es
kein Zurück mehr gibt. (Unionsverlag)
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"Elena weiß Bescheid"
Jede glaubt, sie habe sich für die Andere geopfert. Nun kommt
die Stunde der Wahrheit. Die Tochter wird tot aufgefunden, erhängt im
Glockenturm der Kirche.
Doch Elena, die Mutter, kann oder will nicht glauben, dass Rita sich
das Leben genommen hat.
Für die alte Dame gibt es nur eine Möglichkeit,
hinter das Geheimnis um Ritas
Tod zu kommen: Sie muss mit einer Frau sprechen, der sie und ihre
Tochter vor zwanzig Jahren geholfen haben. Dafür muss Elena ins
Stadtzentrum fahren - ein
schwieriges und riskantes Unterfangen für jemanden, der an
Parkinson in fortgeschrittenem Stadium leidet. Wenn die Wirkung ihres Medikaments
endet, wird sie wieder in bewegungsloser Starre versinken. Am Ende muss Elena eine
Wahrheit erfahren, mit der sie nicht gerechnet hat. (Unionsverlag)
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"Betibú"
Inmitten der idyllischen Wohnsiedlung La Maravillosa wird Pedro
Chazarreta mit aufgeschlitzter Kehle in seinem Lieblingssessel
aufgefunden, in der Hand ein blutiges Messer, eine leere Flasche Whisky
auf dem Boden. Im ersten Moment deutet alles auf Selbstmord hin, doch
schon bald erwachsen Zweifel. Denn: Drei Jahre zuvor wurde im selben
Haus die Ehefrau des Unternehmers ermordet. Zufall?
Die Tageszeitung "El Tribuno" plant einen ausführliche Bericht und
schickt die in Ungnade gefallene Schriftstellerin Nurit Iscar und einen
jungen Polizeireporter an den Tatort. Dessen Vorgänger Jaime Brena
wurde zwar geschasst, weil er einmal zu oft über das Ziel
hinausgeschossen war, kann es sich aber ebenfalls nicht verkneifen
mitzumischen - nicht zuletzt, weil er ein Auge auf Nurit geworfen hat.
Claudia Piñeiro nimmt das Verhältnis zwischen Medien
und politischer Macht unter die Lupe. Mit ihrem scharfen Blick zeichnet
sie einmal mehr das Porträt einer ganzen Gesellschaft.
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"Ein Kommunist in Unterhosen"
Ein Mädchen verbringt die Ferien mit der Familie und den besten Freundinnen
im örtlichen Schwimmbad und beobachtet scharfsinnig seine Umgebung. Ihr Blick
gilt dabei vor allem dem Vater - einem eigenwilligen und gut aussehenden Mann.
Niemand will ihr sagen, warum er seinen Arbeitsplatz verloren hat und nun
Turboventilatoren in der Nachbarschaft verkauft. Und welches Geheimnis verbindet
ihn mit ihrer attraktiven Lehrerin? Dann bricht die politische Realität in Form
von Zensur und Verdächtigungen in die Familie ein. Das Mädchen muss sich zum
ersten Mal fragen: Was kann ich sagen? Und wann ist es besser zu schweigen?
Ein Roman über die Zweifel und Selbstzweifel am Beginn einer Jugend - in einer
Welt, die von großen Lügen bedroht und kleinen Rätseln zu Hause überschattet
ist. (Unionsverlag)
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"Der Privatsekretär" zur Rezension ...
Weitere Buchtipps:
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"Purgatorio" ist ein Erfolgstitel aus Argentinien. Sinnlich und
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Tomás Eloy Martínez, 1934 in Argentinien geboren,
zählte zu den bekanntesten
Autoren seines Landes und war Zeit seines Lebens als Journalist und
Kritiker für
"La Nacíon", "El País" u.A. tätig. Er
starb am 31. Jänner
2010 in Buenos Aires. "Purgatorio" ist sein erzählerisches
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(S. Fischer)
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Ein großer Gesellschaftsroman über die Lügen des Lebens, über Schein und Sein,
über Liebe und Verrat, über zerstörerische Ambitionen und das Scheitern. (Aufbau)
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