Christoph Peters: "Sven Hofestedt sucht Geld für Erleuchtung"

Erzählungen


Über das Sehenswerte an Venedig und andere Erkenntnisse: Christoph Peters' Sammlung von Erzählungen ist ein sehr erfreulicher Band mit wirklich überzeugender, origineller Literatur.

Christoph Peters' Protagonisten sind, auch wenn sie sich im Bereich des Absurden bzw. des Unmöglichen oder gar Unerklärlichen bewegen, immer glaubhaft. Ob sie, wie ihre finanziellen Mittel, verschwinden oder an mit einem Kessel zusammenhängenden Schlafstörungen leiden, auf dem Berg ohne Ski in einen Schneesturm geraten oder im Zustand der vermeintlichen Erblindung einer möglicherweise hübschen jungen Dame die Hälfte der eigenen Matratze als Schlafstätte anbieten, sie haben alle etwas gemeinsam: Sie werden durch ein unvorhergesehenes Ereignis aus der Bahn geworfen, kommen aber auf unterschiedliche Art und Weise damit zurecht.

Sehr überzeugend ist, dass Christoph Peters die wichtigen oder auch richtigen Dinge unausgesprochen lässt, dadurch bleibt jede Erzählung irgendwie im Gedächtnis hängen und fordert den Leser dezent auf, die soeben gelesene Erzählung noch einmal, ausschnittsweise, oder zur Gänze vielleicht, sogar noch gründlicher zu lesen.

Ob pubertierender Jüngling mit ersten Sexualwünschen, Gauner, Guru, Fotograf, Rucksacktourist oder Spanner, die Protagonisten haben einen weiteren gemeinsamen Nenner, sie versuchen alle ihr Leben bzw. die Ausnahmesituation, in der sie sich gerade befinden, auf mehr oder weniger sympathische Art und Weise zu meistern.

"Sie - sagen wir Anna - sitzt fast jeden Vormittag dort, wenn ich Kaffee aufbrühe und Milch aufschäume. Ihr Fenster weist nach Norden, so dass sie die zusätzliche Beleuchtung braucht. Ihre Hand hebt eine Tasse, das Gesicht bleibt verborgen. Heute trinkt sie ihren Nachfrühstückstee allein, wie häufig in letzter Zeit. Wenn sie Besuch hat, beugt sie sich oft vor, so dass Kopf und Oberkörper ins Bild kommen. Sie hat eine schöne Art zu gestikulieren, schwer und kraftvoll. Sobald ich am Herd oder vor der Espressomaschine stehe und mich nach rechts wende, schaue ich in ihr Leben. Sie verzichtet auf Sichtschutz, keine Gardinen, kein Milchglas. Nicht einmal nebenan im Bad sind Vorhänge montiert ..."

Stilistisch auf einer Linie schwimmend, aber aus unterschiedlichen Erzählperspektiven beleuchtet, haben die unterschiedlichen Protagonisten doch immer ein eigenes, der jeweiligen Erzählung entsprechendes Profil, eine ganz eigene Stimme.

Christoph Peters' Protagonisten verlieren auch im Angesicht der drohenden Katastrophe eigentlich nie die Fassung; sie haben menschliche Schwächen, mit denen man sich zum Großteil auch identifizieren kann, agieren teilweise in unerwarteter Weise und gehen oft am Ende leer aus. Sie sind aber definitiv der wichtigste Bestandteil einer erquickenden literarischen Unterhaltung, die Christoph Peters hier abliefert. Da verzeiht man auch gerne, dass nicht alle dreizehn Geschichten (wie die Erzählungen im Buch angeführt werden) das gleiche Niveau haben.

Die zusätzliche Erkenntnis, dass der Bahnhof Venedigs dank seiner großzügigen Schlafmöglichkeit für Rucksacktouristen die interessanteste Sehenswürdigkeit Venedigs ist, ist eine heitere Nebenwirkung der Lektüre dieses sehr erfreulichen Erzählungsbandes.

(Roland Freisitzer; 12/2010)


Christoph Peters: "Sven Hofestedt sucht Geld für Erleuchtung. Erzählungen"
Luchterhand, 2010. 221 Seiten.
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