Roberto Zapperi: "Abschied von Mona Lisa"
Das berühmteste Gemälde der Welt wird enträtselt
Die Mona Lisa - nur der
Einbildungskraft da Vincis entsprungen?
Um nur wenige Meisterwerke der Kunstgeschichte rankt sich so viel
Unerklärliches und Mysteriöses. Das Lächeln der Mona Lisa gilt als
Inbegriff des Weiblich-Rätselhaften, ihr Porträt als Symbol des
Geheimnisvoll-Distanzierten. Die Einen behaupten, es stelle die
namensgebende florentinische Kaufmannsgattin Lisa Giocondo (im
Italienischen heißt das Bild "La Gioconda", im Französischen "Joconda")
dar, Andere sehen in ihr die aus Neapel
stammende Edelkurtisane Isabelle Gualandi. Auch eine Mätresse von
Charles d'Amboise oder Isabella d'Este, die Marquise von Mantua sowie
die Mutter da Vincis werden in die Waagschale geworfen. Allerjüngste
Versuche, die Identität der Dame mit dem Silberblick herauszufinden,
gehen sogar soweit, den auf Chateau Clos Lucé vermuteten Leichnam von
Leonardo da Vinci zu exhumieren und durch eine Gesichtsrekonstruktion
herauszufinden, ob es sich bei der Mona Lisa tatsächlich um ein
Selbstporträt des Renaissancekünstlers und Erfinders handelt.
Der in Rom
lebende Renaissanceforscher und Historiker Roberto Zapperi geht einen
ziemlich radikalen, einen anderen Weg, um das bekannteste Gemälde der
Welt "zu entschlüsseln". Fernab sensationeller Enthüllungen,
Indizienbeweise und geheimer
Botschaften untersucht er akribisch und bis ins kleinste Detail
hinein die verfügbaren historischen Quellen. Natürlich kommt auch er
nicht umhin, Vermutungen aufzustellen, "um die Lücken in der
spärlichen Überlieferung zu überbrücken", aber er beschränkt sie
auf ein äußerstes Minimum. "Die festen Grundlagen sind dabei aber
immer die historischen Dokumente geblieben", äußerst sich Zapperi
im Schlusswort. "Mit einem Wort: Ich habe mit den Werkzeugen des
Historikers gearbeitet."
Ausgehend von der einzigen überlieferten Selbstaussage Leonardo da
Vincis, dass der Auftraggeber des Gemäldes Giuliano de'Medici sei und es
sich um eine "gewisse Florentiner Dame" handele, rekonstruiert
Zapperi in seinem Buch gründlich und in aller Ausführlichkeit die
Umstände, unter denen das Bild entstand bzw. entstanden sein könnte.
Allein knapp 100 Seiten widmet er da Vincis Gönner Giuliano de'Medici,
dem Bruder des Papstes Leo X. und jüngsten Sohn von Lorenzo
dem
Prächtigen (Lorenzo il Magnifico). Denn genau dieser und seine
ständigen amourösen Verstrickungen sollen die Ursache der
Auftragsvergabe an den Meister gewesen sein.
Aus einer dieser Liebschaften ging ein illegitimer Sohn - Ippolito -
hervor, der von dem Medici-Spross aufgezogen wurde, da seine Mutter kurz
nach der Geburt (1511) starb. Das Gemälde wäre demnach als
Erinnerungsbild für den kleinen Jungen gedacht, der seine Mutter real
nie gekannt hatte und immer nach ihr fragte. "Da er aber weder ein
Bildnis noch eine Totenmaske zur Hand hatte, ließ er Leonardo freie
Hand, ihre Physiognomie nach seiner summarischen und ungenauen
mündlichen Beschreibung zu rekonstruieren. Das Bildnis (...) war also
ein imaginäres, eine Erfindung des Künstlers. (...) Er wollte mit dem
Lächeln die tröstende, aber auch melancholisch verschattete Liebe der
Mutter zu ihrem Kind darstellen und malte das traurige Lächeln einer
Frau, die weiß, dass keine Vereinigung mit ihrem Kind mehr möglich
ist."
Krankheit und Tod Giulianos hinderten ihn letztendlich daran, sich das
Bildnis aushändigen zu lassen, um es für seinen Sohn zu bewahren.
Fazit:
Welche Frau könnte Giuliano de'Medici - als ziemlich sicherem
Auftraggeber der "Mona Lisa" - so wichtig gewesen sein, den berühmten
Leonardo da Vinci zu beauftragen, ein Porträt von ihr zu malen? Die
schlüssigen Ausführungen Roberto Zapperis werden die Diskussionen um die
Identität der "Gioconda" sicherlich erneut anheizen. Auf jeden Fall ist
ihm ein interessantes und informatives Buch gelungen, das zudem einen
tiefgreifenden Einblick in das Leben Giuliano de'Medicis gibt.
Komplettiert ist es mit sechzehn farbigen Bildtafeln und neun
Abbildungen im Text.
(Heike Geilen; 03/2010)
Roberto Zapperi: "Abschied von Mona Lisa.
Das berühmteste Gemälde der Welt wird enträtselt"
Aus dem Italienischen von Ingeborg Walter.
C.H. Beck, 2010. 160 Seiten.
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