Sarah Kirsch: "Krähengeschwätz"
Immer ist es auch die
Natur, die in den Texten Sarah Kirschs auftaucht
"Immer scheinen die Sinne aufs Höchste geschärft, und so, eins mit
der Natur, strahlt die Prosa mit einer elementar erdhaften Kraft."
Das sagt die Innenumschlagsbeschreibung von "Krähengeschwätz", in dem
Tagebucheinträge Sarah Kirschs zu lesen sind, oftmals recht kurze
Einträge, die wie das Protokoll der Jahre 1985 bis 1987 wirken.
Doch schon ein kleiner, ein näherer Blick auf die einzelnen Notizen
zeigt, dass diese Sprache, die oftmals ganz einfache
Alltagsbetrachtungen beschreibt, viel mit sich trägt.
" [Der] Tonsetzer mäht die große Hauswiese mit der Sense, was etwas
schwierig ist weil sie voller Frösche und Kröten steckt. Ich hab im
Waldbeet gewirkt und später Marmelade
gekocht."
Ganz nah schien mir das Büchlein gleich, als ich es aufgeschlagen habe.
Es beginnt vier Monate vor meiner Geburt im März 1985. Wie eigenartig,
dieser ureigene Gedanke, dass das Geburtsjahr, das zu einem gehört, so
viel Bedeutung trage. Aber natürlich tut es das. Und so trete ich an
diesen Text mit durchaus auf mich selbst gemünzten Erwartungen heran.
Ich bin gespannt, was im Monat meiner Weltwerdung wohl in Sarah Kirschs
Leben passiert sein mag. Ich bin sogar versucht, einfach nach vorn zu
blättern, doch ich möchte das "Krähengeschwätz" chronologisch aufnehmen.
Und auch Sarah Kirschs Buch, ein Eintrag vom 7. März 1985, beginnt mit
einer Erinnerung an die Vergangenheit, an das Jahr 1966. "Damals
knallte er sein Prag-Buch
gleich in die Maschine." Die Rede ist von Pentti Saarikoski, einem
finnischen Dichter, mit dem Kirsch befreundet war.
Schon hier ist es die onomatopoetische Lautung der Sätze, die so kurz,
aber so präzise sind. Das Knallen der einzelnen Tasten hallt mit einem
Mal durch den Raum, und die weiteren Sätze sind der Einstieg in das
Leben einer Dichterin, die einfach lebt, bei ihren Schafen und dem Esel
Bilbo, und die sich Gedanken um das macht, was ihre Arbeit ausmacht. Mit
Pentti habe sie "nächtelang
über Gedichte gesprochen, wie sie beschaffen sein müssen, welche als
Maßstab zu gelten hätten."
" [...] dessen Schädel wie der Mond leuchtet, wenn er uns mal
besucht."
Man möchte die Sätze einzeln herausschreiben und sich über deren
Wunderhaftigkeit amüsieren und diesem Bild dann doch eine Weile
nachhängen. Es sind diese kleinen, ungeahnten Abweichungen der Sprache,
die berühren und beschäftigen, vielleicht, weil sie genau das sind, was
das Leben immer ist: nicht so ganz fassbar, erst in der respektiven
Reflektion ein wenig greifbarer.
"Es gibt weiße Wände und Pornographie in den Schränken. Der Ofen
arbeitet nicht. Die Toilette ist auf dem Gang."
Es ist wichtig, dass es diese Leerstellen gibt; sie verbinden die
einzelnen Sätze miteinander, weil sie nacheinander geschrieben sind, und
bilden so einen stummen Kommentar, der unendlich viel weiter trägt, als
eine genau formulierte, detailliert geschilderte Situation. Es sind die
Blitzblicke, die man genießt, wenn man von Zeile zu Zeile springt.
Manchmal ringt sich dem Leser dabei auch ein verschmitztes Lächeln ab.
Bisweilen stehen auch Gedichte auf den Seiten, die sind schön zu lesen,
weil sie der Natur oft ein Bild abjagen, das zwischen Belebtem und
Unbelebtem unsystematisch changiert und frisch mit Adjektiven
daherkommt.
Sarah Kirsch erzählt auch von den Schafsdamen im Frühjahr, die ihre
Lämmer bekommen. Und dann wieder ganz schlicht von ihrer Arbeitsweise.
Sie bringt für sich einen Aufkleber der Gesellschaft zur Rettung der
Schiffbrüchigen an der Tür an und " [so] betrachte ich mich als
Eine, die versucht, irgendetwas zu retten." Wie schön, denkt der
Leser, der dieses Büchlein nach der Lektüre im Regal abstellen will und
sich vorher daran machen können wird, einige dieser Formulierungen ins
Gedächtnis zu retten.
"Der Viehdocteur holte es ebenfalls ans Erdenlicht und schmiss die
Nachgeburten wild in die Lüfte über den Zaun, den Krähen
zur Speise."
So folge ich als Leser den Tagebucheintragungen über die Monate hinweg,
die Jahreszeiten folgen aufeinander, sie beeinflussen die einzelnen
Gedichte, die sich dazwischen hin und wieder befinden; es ist ein
Genuss, den einen oder anderen Wortfluss in ihnen wiederzufinden. Wenn
ich auch keinen Eintrag an meinem Geburtstag entdecken konnte, die
manchmal schon fast sprechsprachliche Schreibweise der Sarah Kirsch wird
noch ein wenig länger nachhängen.
(Christin Zenker; 02/2010)
Sarah Kirsch: "Krähengeschwätz"
DVA, 2010. 176 Seiten.
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Sarah Kirsch, am 16. April
1935 in Limlingerode/Harz geboren, studierte
Biologie und Literatur.
Sie lebte bis zu ihrer Ausbürgerung 1977 im Osten Berlins und siedelte
dann in den Westen der Stadt über. Für ihr dichterisches Werk wurde sie
mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.A. mit dem "Georg-
Büchner-Preis", dem "Jean-Paul-Preis" sowie dem
"Johann-Heinrich-Voß-Preis".
Sarah Kirsch starb am 5. Mai 2013 im Alter von 78 Jahren nach kurzer
schwerer Krankheit in Heide (Holstein).