Bernhard Fetz, Hannes Schweiger (Hrsg.): "Die Ernst Jandl Show"
Aufforderungscharakter
Was tun mit einem toten Dichter? Man hängt ihn ins Museum. So geschehen
nun also auch mit Ernst
Jandl. Zu sehen ist die sogenannte "Ernst Jandl Show" im "Wien
Museum Karlsplatz" vom 4. November 2010 bis 13. Februar 2011 und im
"Literaturhaus Berlin" vom 11. März bis 15. Mai 2011 - bei dem hier
vorliegenden Band handelt es sich um den Ausstellungskatalog. Eigentlich
hieße es ja Uhus nach Athen zu expedieren, wollte man dem für solcherart
Ausstellungen einschlägig in Frage kommenden Publikum erklären wollen,
was die Besonderheiten Jandls zu seinen Lebzeiten gewesen waren. Und im
Grunde sollte man wohl auch die Ausstellung sozusagen live
besucht haben, der Katalog kann wohl kein Ersatz dafür sein. Wiewohl er
sehr intensiv vorbereitet und wohl auch die Erinnerung beflügelt. Denn
wie es sich gehört, präsentiert der Katalog diverse Exponate und liefert
ausführliche Erläuterungen dazu.
Wolfgang Kos, der Direktor des "Wien Museums", attestiert Jandl in
seinem Vorwort den "Mut zur Verstörung", mit dem er u.A. auch "die
Sprechmasken der politischen Verführer bloßstellte." Für ihn hat
diese Ausstellung "aus museologischer Sicht Laborcharakter", und
sie versucht zu zeigen "ein Perpetuum mobile des allumfassenden
Dichtens, immer im Fluss, sich auf Tausenden Zetteln verzettelnd und
in Wort- und Textkonstellationen immer wieder neue Varianten öffnend.
Für Jandls Werk waren die Einzäunungen des Literaturbetriebs stets
irrelevant."
Der Titel der Ausstellung (und damit eben auch des vorliegenden Buches)
vermittelt die Vitalität und Präsenz des Dichters, dessen Werk eben
eigentlich auch multimedial ist. Die Kuratoren Bernhard Fetz und Hannes
Schweiger geben als Verständnislinie vor: "Die Show will nicht
überwältigen, sondern ein komplexes Zusammenspiel von Wörtern, Tönen
und Bildern, von programmatischen Aussagen und Gedichttexten, von
biografischen und zeithistorischen Konstellationen zeigen." Da
wird z. B. auch so ein Gedicht wie "alternder dichter" mehr ins
Bewusstsein gerückt: "ach wie klein ich geworden bin / ... / ich bin
sehr in mich zusammengesunken / mir ist so bang." Jandl hegte
Zweifel an der Dichtkunst und an den Verheißungen der christlichen
Religion. Er sagte einmal, er verwende "Inhalte seines eigenen
Lebens, um daraus alles Andere zu machen nur nicht Autobiografie".
Er unterzog seinen Lebensstoff einer quasi verfremdenden Wahrnehmung.
Dabei wurde Schreiben für ihn zu einer Existenzform, indem er meinte: "Das
Arbeiten an Form ist gleichzeitig eine Erfahrung. Form ist Erfahrung."
Dass Jandls Texte oftmals zu Lautgedichten gerieten, hängt womöglich
damit zusammen, dass er die Prägung durch die Stimmen elterlicher,
kirchlicher, staatlicher und militärischer Autorität, wie er sie als
Heranwachsender kompakt erfahren musste, zu überwinden hatte. Ernst
Jandls Vortragsweise zeigt Sprache als Medium der Gewalt und der
Freiheit gleichermaßen, im Grunde schafft er akustische Karikaturen und
entlarvt durch übertriebene bzw. verzerrende Artikulation. Wichtig ist
wohl auch die Erkenntnis, dass Jandls Leben und Schreiben ohne Musik
nicht vorstellbar ist, daher wohl zeigt die Ausstellung auch seine
Plattensammlung.
Jandl brachte der Dichtung sozusagen ihre "Mündlichkeit" wieder zurück -
nicht nur sein Gedicht über den offenen und geschlossenen Mund zeugt
davon - er stahl in der legendären Veranstaltung "Wholly Communion"
am 11. Juni 1965 in der "Royal Albert Hall" vor ca. 7000 Zuhörern den
außer ihm beteiligten us-amerikanischen Beat-Autoren die Schau -
wovon es übrigens in der Ausstellung ein filmisches Dokument gibt! Um
der Ironie der Literaturgeschichte Genüge zu tun, sei erwähnt, dass Gottfried
Benn noch im Jahre 1951 u.A. dekrediert hatte, dass er "persönlich
das
moderne Gedicht nicht für vortragsfähig halte, weder im Interesse des
Gedichts, noch im Interesse des Hörers. (...) Ein modernes Gedicht
verlangt den Druck auf Papier und verlangt das Lesen (...) es wird
innerlicher, wenn sich einer schweigend darüber beugt." Es wird
bereits in den 1950er-Jahren deutlich, dass Jandls Lyrikverständnis eben
einer fundamental anderen Ästhetik folgt. Es ist offenkundig, dass
Jandls Gedichte sogar des mündlichen Vortrags bedürfen, dass sie bei der
bloßen stillen Lektüre an Dimension verlieren. Jandl hat fast vierzig
Jahre lang durch seine Live-Auftritte fasziniert.
Jandl war in gewisser Weise immer ein Avantgardist, auch wenn er selbst
von solchen Zuordnungen selten Gebrauch machte. Jedenfalls überschritt
er regelmäßig konventionelle Gattungsgrenzen, was Schreib- und
Vortragsweise anbetrifft. Er selbst sagte, dass er sich etwa an August
Stramm, Hans Arp, Gertrude Stein, Kurt Schwitters, Raoul Hausmann oder H.C. Artmann
orientierte. Der Dadaismus faszinierte ihn ebenso wie das
Montageverfahren in der Malerei. Er sieht eine Verbindung, indem er so
manches Gedicht auch als eine Art Selbstporträt bezeichnen möchte. Und
so wie seine Vortragsweise die Übergänge zur Musik
verdeutlichte, suchte er auch Verbindungen zwischen Sprache
und bildlicher Darstellung. Die Professorin für Filmwissenschaft Christa
Blümlinger nennt Jandls Diktion folgerichtig "audiovisuelle Sprache".
Jandl führte lange ein Doppelleben als Autor und Lehrer und verstand
sein Schreiben als eine Auflehnung gegen jede Art von Unterdrückung. Er
wollte "die Köpfe beweglich halten oder beweglich machen."
Insofern pflegte er einen engagierten Literaturunterricht zu halten, von
dem es umfangreiche Aufzeichnungen seiner Vorbereitungen gibt.
Andererseits ist bekannt, dass Jandls Texte schon seit seinen Lebzeiten
immer wieder im Deutschunterricht behandelt wurden und Kinder zu eigenen
Produktionen anregten, was ihn wiederum sehr freute. Dabei wollte er
immer wieder literarisch und pädagogisch "die Vorstellung von
Normalität vorsätzlich und lustvoll stören." Grundsätzlich wollte
er eine "aufgeklärte Massenkultur" entwickeln. Und so scheint
vor Allem eines klar zu sein für Jandl als Lehrer und Autor und sich als
Essenz dieser Ausstellung herauszukristallisieren: Seine Texte haben
Aufforderungscharakter - und das in vielerlei Hinsicht. Möge man sich
diesbezüglich von diesem Buch und / oder der dazugehörigen Ausstellung
animieren lassen, sich wieder einmal mit Jandl und der Sprache und der
Lebenspraxis zu beschäftigen.
(KS; 11/2010)
Bernhard Fetz, Hannes Schweiger (Hrsg.):
"Die Ernst Jandl Show"
Residenz Verlag, 2010. 160 Seiten.
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