Uwe Schultz: "Henri IV."
Machtmensch und Libertin
Mit Toleranz gegen einen
polarisierten Zeitgeist
Dr. Uwe Schultz, einst Leiter der Hauptabteilung "Kulturelles Wort" beim
"Hessischen Rundfunk", lebt heute in Paris und ist eine feste Größe beim
Vermitteln historischer Franzosen im deutschen Sprachraum.
Den Begriff "Henri IV" kann man derzeit nicht nur in den Auslagen der
Buchläden entdecken, sondern als "Henri 4" auch in den Aushängen der
Filmpaläste. Eine mediale Offensive, könnte man meinen, oder doch nur
Zufall? Ein Teil der Antwort auf diese Frage gründet in den 30er-Jahren
des 20. Jahrhunderts, denn
Heinrich Mann verfasste während seines Exils im französischen
Nizza seinen zweiteiligen historischen Roman um Heinrich von Navarra.
Als Exilliteratur spielte dieser Roman fast zwangsläufig vor der Folie
der exilierten Heimat und zeichnete in Heinrich einen Herrscher, der den
heimischen Diábolos kräftig kontrastierte, und zwar in nahezu jeder
Hinsicht. Das erweckt des Bildungsbürgers Neugierde, und er möchte
hinter das Mann'sche Manuskript und das filmische Drehbuch Jo Baiers
schauen und einen näheren Blick auf den historischen Heinrich von
Navarra werfen, um zu prüfen, ob beide dem Vorbild denn auch gerecht
werden.
Der Autor hatte sicherlich keinen filmischen Impuls aus Deutschland
nötig, um auf Heinrich aufmerksam zu werden, weil diese Epoche mit ihren
Protagonisten seit geraumer Zeit in seinem Fokus liegt. Denn mit diesem
Buch über Henri IV. liegt nach den Biografien über Montaigne,
Richelieu und Descartes das vierte biografische Werk des Autors
aus dieser prägenden Phase des Übergangs vor. Im Übrigen tut der
französische Buchmarkt das Seine und widmet sich dem heuer vor 400
Jahren verstorbenen Bourbonen derzeit recht intensiv.
Heinrich von Navarra war ein Zeitgenosse der Katharina de' Medici,
zeitweiliger Schwiegersohn, Verbündeter und Widersacher. Heinrich wuchs
in die Zeit der Hugenottenkriege hinein und erlebte die berüchtigte
Bartholomäusnacht am 24. August 1572 in Paris. Als Heinrich IV. bestieg
er 1589 nach dem Tod seines Schwagers Heinrichs III. den französischen
Thron und begründete die Bourbonen-Herrschaft des ancien régime, der
erst
die Französische Revolution 200 Jahre später ein Ende bereiteten
sollte. Soweit folgte er dem klassischen Muster vieler Herrscher seiner
Zeit. Doch gänzlich unzeitgemäß waren die Lehren, die er aus den
Jahrzehnten blutiger Auseinandersetzungen im
Namen der Religion zog, denn Heinrich setzte um den 13. April 1598
von der Öffentlichkeit wohl weitgehend unbemerkt das Edikt von Nantes
ins Werk, das den reformierten Glauben dem katholischen gleichberechtigt
zur Seite stellte. Das sind die großen historischen Parameter seiner
Vita im Rahmen dieser Synopsis, seine privaten seien hier außer Acht
gelassen.
Die Bewertung des Buches fällt leicht, denn hier gibt es sehr viel Gutes
zu berichten. Die Erzählweise ist anspruchsvoll, doch angenehm zu lesen.
Man wird trotz der relativen Kürze von runden 190 Textseiten mit einem
umfassenden Bild versorgt, allerdings weitgehend ohne Wertung. Und so
entsteht am Ende bei dem Rezensenten kein einheitliches oder besser kein
einfaches Bild Heinrichs, es bleiben Widersprüche. Doch genau das sollte
man von einer guten Biografie auch erwarten können, denn
Geschichtsschreibung ist stets Auswahl reichhaltigen und auch in sich
oft widersprüchlich vorliegender Materials, teils im Original, teils
bereits interpretiert. Und ein allzu homogenes biografisches Bild sollte
eher Misstrauen erwecken. Doch wie viel Machtinstinkt und wie viel
Friedensabsicht lagen in Heinrichs
Konvertierung zum Katholizismus am 25. Juli 1593? Es scheint offen
bleiben zu müssen, ebenso übrigens wie Motivation und Rolle der
Katharina de' Medici. Hinsichtlich ihrer Schuld an der Bartholomäusnacht
lässt der Autor keinen Zweifel, doch hier scheint dem Rezensenten noch
ein Publikationsbedarf zu bestehen, der hoffentlich nicht erst zu ihrem
500. Geburtstag im Jahre 2019 gedeckt werden wird.
Ganz wenige Fehler sind im Text zu entdecken, also auch hier sehr gute
Noten - komplett fehlerfreie Bücher sind wohl eine Illusion (oder viel
teurer).
Der Anhang enthält Zitatnachweise, eine Bibliografie, ein
Personenregister sowie einen Bildnachweis. In der Buchmitte befindet
sich ein sechzehnseitiger Abbildungsblock auf Bilderdruckpapier. Die
beiden Vorsätze enthalten Auszüge aus den Stammbäumen derer von Valois
und Bourbon.
Vielleicht kann man Heinrich von Navarra so zusammenfassen: Er war, wie
uns der Autor versichert, kein staatstheoretischer Denker, sondern
wollte, dass seine Bauern die Mittel besäßen, "sonntags ein
Huhn im Topf zu haben." Keine triviale Erkenntnis, denn Huhn
und Topf setzen Frieden voraus ...
(Klaus Prinz; 03/2010)
Uwe Schultz: "Henri IV. Machtmensch und
Libertin"
Insel, 2010. 223 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen
Weitere Buchtipps:
Heinrich
Mann: "Die Jugend des Königs Henri Quatre"
"Aus seinen Abenteuern, Taten, Leiden habe ich eine lange Reihe von
Bildern und Scenen gemacht, bunt zu lesen und anzusehn. Alle
zusammen haben den Sinn, dass das Böse und Furchtbare überwunden
werden kann durch Kämpfer, die das Unglück zum Denken erzog, wie
auch durch Denkende, die gelernt haben zu reiten und zuzuschlagen."
(Heinrich Mann)
Buch bei amazon.de bestellen
Heinrich Mann: "Die Vollendung des Königs Henri
Quatre"
"König Henri IV ist ein hervorragendes Beispiel, dass die Macht über
Menschen auch wohltätig sein kann. Während des Zeitalters, das der
Autor selbst erlebte, hatte er beinahe nichts Anderes gekannt als
Mächtige, die schädlich waren infolge Bosheit und Dummheit. Er hatte
das Problem der Macht oft behandelt. Eine hohe Genugtuung, endlich die
Macht der Güte darzustellen." (Heinrich Mann)
Buch bei amazon.de bestellen
Jeanne Kalogridis: "Die schwarze Königin.
Ein Katharina von Medici-Roman"
Katharina von Medici forderte das Schicksal stets heraus. Als
Erbin von Florenz kämpfte sie um ihre Liebe, als Königin von
Frankreich stellte sie sich gegen die Warnungen des Sehers
Nostradamus. Ein großer historischer Roman um eine mutige Frau und
Königin, die den Fehler ihres Lebens teuer bezahlen musste.
Als Kind entriss man ihr das Erbe der Stadt Florenz, als junge Frau
musste sie der Liebe ihres Lebens entsagen. Doch Katharina von
Medici wurde zur Königin von Frankreich und gab alles, um den
Einfluss ihrer Familie zu sichern. Sie missachtete die Prophezeiung
des Nostradamus und bekam vier Kinder, die die Krone Frankreichs
tragen sollten. Es war eine Entscheidung, die das Land in ein
grausames Gemetzel trieb - das Blutbad der Bartholomäusnacht. Die
Kultur von Florenz und Rom, die Pracht des französischen Königshofs
bilden den Hintergrund zu dem farbenfrohen Lebensgemälde einer
starken und eigenwilligen Frau. (List)
Buch bei amazon.de
bestellen