Andreas Stuhlmann: "Die Literatur - das sind wir und unsere Feinde"
Literarische Polemik bei Heinrich Heine und Karl Kraus
Die
Literatur
als Schlachtfeld
Vor langer Zeit schon angekündigt, immer wieder aufgeschoben und im
Sommer 2010 nach mehrjähriger Verspätung doch endlich erschienen ist
Andreas Stuhlmanns umfangreiche und detaillierte Arbeit zur
literarischen Polemik bei Heinrich
Heine und Karl
Kraus. In akribischer Recherche hat er das zum Thema vorhandene
Schrifttum gesichtet und ausgewertet. Gewiss eine respektable und
zeitraubende Arbeit, die der Autor da auf sich genommen hat. Aber die
erstaunliche Fülle an Material, die er zusammengetragen hat, scheint mir
hin und wieder doch ein wenig auszuwuchern. Der Leser braucht einiges an
Stehvermögen, um bis zum Schluss des Buches bei der Stange zu bleiben.
Mühsam kämpft er sich durch "nur" 237 und dennoch endlos scheinende
Seiten. Dass der Autor stark dem Jargon des Fachlichen verhaftet bleibt,
kann man ihm nicht zum Vorwurf machen, schließlich handelt es sich bei
seiner Arbeit um eine wissenschaftliche Dissertation. Wer aber sollen
die Leser sein? Lediglich eine Handvoll Literaturwissenschaftler? Otto
Normalverbraucher kann es gewiss nicht sein, dazu ist der Text zu
akademisch-wissenschaftlich gehalten und auch von zu speziellem
Interesse. Dazu kommt, dass ein inflationärer Einschub von Fußnoten den
Leser kaum zu Atem kommen lässt und jeglichen Lesefluss unterbindet. Auf
225 Seiten finden sich immerhin 1129 Fußnoten, die nicht nur viel Text
für sich einnehmen, sondern den Leser bisweilen auch in ziemlich
abgelegene Exkurse führen.
In der Hauptsache geht es hier um die literarische Polemik, dargestellt
an zwei exemplarischen Streitfällen, wiewohl auch Lessing
und andere wichtige Vertreter der literarischen Polemik gebührende
Beachtung finden. "Die Polemik ist
eine schöne Hure, die zwar an sich lockt, aber wer sich mit ihr gemein
macht - und das begegnet dem gesundesten am leichtesten - bekommt
Krätze oder Filzläuse, die dann fest sitzen, wenn die Hure schon
längst vergessen ist." So der Verleger Nicolai an seinen Autor
Lessing, der als "Ahnherr und Meister
der Polemik" (Hannah
Arendt) im deutschsprachigen Raum anzusehen ist. Nicolais an
Lessing gerichtete Mahnung hätten vielleicht auch Heinrich Heine und
Karl Kraus beherzigen sollen, wie sich im Nachhinein zeigen sollte.
Bevor sich Andreas Stuhlmann aber an die minuziöse Nachzeichnung der
beiden Streitfälle Heine/Platen und Kraus/Harden begibt, hat der Leser
erst einmal 100 zähe Seiten durchzuackern. Zunächst liefert der Autor
einige Begriffsbestimmungen. Er stellt die polemische Situation als eine
Konstellation von vier Elementen dar: Der Polemiker als das polemische
Subjekt, das Opfer als polemisches Objekt, das polemische Thema und das
Publikum als die polemische Instanz. Stuhlmann zeigt auch im Detail auf,
worin sich Polemik und Satire sowie ähnliche Formen wie Pasquill oder
Pamphlet unterscheiden. Breiten Raum nehmen auch die biografischen Daten
der am Streit Beteiligten ein, allein sechzehn Seiten widmet der Autor
beispielsweise August
von
Platens Lyrik.
Doch nun zum eigentlichen Thema dieses Buches. Heine und Platen brachen
ihren Zwist 1827 vom Zaun, Kraus und Harden etwa achtzig Jahre später.
Die Wahl des Autors fiel auf diese beiden Konflikte, weil sie zahlreiche
Parallelen aufweisen ("sie rekurrieren
auf dieselben kulturhistorischen Topoi"), und beide
entwickelten sich damals zu handfesten gesellschaftlichen Skandalen.
Heinrich Heine machte unter Anderem Platens homosexuelle Neigungen zu
seinem polemischen Thema, Platen wiederum attackierte "den
Juden Heine" aus einer antisemitischen Haltung heraus. Diese
Themen spielten auch im Streitfall Harden/Kraus eine Rolle. Worum aber
ging der Streit zwischen Heine und Platen in seinem innersten Kern?
Andreas Stuhlmann bringt es wie folgt auf den Punkt: "Der
Konflikt zwischen Heine und Platen ist unausgesprochen ein Konflikt
zwischen zwei - selbsternannten - Prätendenten um die Führungsrolle in
der Literatur ihrer Zeit, die von beiden als eine Zwischenzeit der
Stagnation und Restauration wahrgenommen wird." Der Stil der
Auseinandersetzung aber gereichte beiden nicht zum Ruhm, und vor allem
Heinrich Heines Reputation hat wohl in der damaligen Öffentlichkeit
einigen Schaden davongetragen.
Karl Kraus begann seine polemischen Attacken gegen Maximilian Harden,
einem einflussreichen Publizisten und Kritiker, als er Partei ergriff in
der Auseinandersetzung Harden
gegen Eulenburg und Moltke. Maximilian Harden, der zunächst sogar
eine Art Vorbildfunktion für Kraus innehatte, entwickelte sich später
immer mehr zu einem Feindbild für Kraus. Und schon bevor Kraus in den
Streit zwischen Harden auf der einen und Eulenburg/Moltke auf der
anderen Seite einmischte, war er auf Distanz zum vormals bewunderten
Harden gegangen. Die Streitthemen waren ähnliche wie die zwischen Heine
und Platen. Obwohl selbst jüdischer Herkunft, bediente sich Kraus zum
Beispiel antisemitischer Ausfälle gegen Harden. Hinterher wurde das
Schwülstige an Hardens Sprache zu einem Hauptangriffspunkt der
Krausschen Polemik.
Das alles ist zwar nicht uninteressant, doch die eingangs vorgebrachten
Einwände bleiben bestehen. Aufgefallen sind mir auch zahlreiche
Druckfehler im Text. Anerkennung gebührt natürlich der enormen, mit viel
Arbeit verbundenen Recherche, die der Autor auf sich genommen hat, bis
sein Werk nun endlich in Druck gehen konnte, doch wird es wohl nur ganz
wenige Leser ansprechen können.
(Werner Fletcher; 07/2010)
Andreas Stuhlmann: "Die Literatur - das
sind wir und unsere Feinde.
Literarische Polemik bei Heinrich Heine und Karl Kraus"
Königshausen & Neumann, 2010. 284 Seiten.
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