Boris Grundl: "Diktatur der Gutmenschen"
Was Sie sich nicht gefallen lassen dürfen, wenn Sie etwas bewegen wollen
Die gute Selbstdisziplin
Das vorliegende Buch zeigt uns wieder einmal recht drastisch, wie
hypervorsichtig man mit Begriffen umgehen sollte und wie leichtschwebend
bildungsbürgerlich man Goethe (mit seinem Mephisto als "Teil
von
jener Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft.")
oder Kästner
("Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.") zitieren könnte. Mit
dem Begriff des "Guten" tun wir uns schon schwer genug, und mit dem
Begriff des "Gutmenschen" geraten wir in die seit den 1968er-Jahren
peinlich schwelende Debatte um die sogenannte politische Korrektheit.
Grundl will uns eigentlich ganz unpolitisch darüber aufklären, "Was
Sie sich nicht gefallen lassen dürfen, wenn Sie etwas bewegen wollen"
(Untertitel), indem er den arg strapazierten Begriff "Gutmensch" für
seine Aussagen benötigt, belastet er offensichtlich nicht sich, aber
wohl uns Leser mit allerhand Konnotationen.
Als "Gutmenschen" bezeichnen wir meist abwertend Personen, denen ein
übertrieben moralisierendes oder naives Begehren und Verhalten gepaart
mit Realitätsverlust und mangelnder Selbstreflektion unterstellt wird.
Abgesehen davon, dass in einer "ZDF"-Sondersendung für die Flutopfer in Pakistan
im August Peter Maffay bemerkte, ihm seien "Gutmenschen" lieber als
"Schlechtmenschen", bleibt doch die Problematik bestehen, wie sie Bert
Brecht in seinem Parabelstück "Der gute Mensch von Sezuan"
formuliert: "Gut sein zu andern und zu mir konnte ich nicht
zugleich." - an diesem Zynismus der Moral mag man wahrlich
zerbrechen. Man möchte ein "Weltverbesserer" sein und muss mit dem
Vorwurf der "moralischen Keule" (Walser) leben. Was wohlmeinend
als übertriebener Altruismus durchgehen könnte, wurde bereits vor
Grundls "Diktatur“-Vorwurf" mit dem Buchtitel "Der Terror der
Gutmenschen" (Klaus J. Groth & Joachim Schäfer, 2003) in
höchstmöglicher Steigerung gebrandmarkt. Und bereits in den späten
1990er-Jahren polemisierte Klaus Bittermann mit seinem "Wörterbuch des
Gutmenschen" gegen "Betroffenheitsjargon und Gesinnungskitsch".
Gefährlich wird die Verwendung solcher Begriffe wie "Gutmensch", weil
sie nicht nur polarisieren, sondern Andere auch stigmatisieren, weil sie
die Sachebene verlassen und übermäßig emotionalisieren - und weil hier
in alberner Weise rechte gegen linke Ideologie und Energie mobilisiert
wird. Jedenfalls verübelt man dem "Gutmenschen", dass er moralisch
unangreifbar scheint, weil er im Namen der Menschenwürde, der
Gerechtigkeit, der Gesundheit und der Natur argumentiert. Das macht ihn
scheinbar unangreifbar, woraus er wiederum Macht bezieht und das
potenziell Schändliche des Machthabens verschleiert. Man kann eigentlich
nichts gegen den "Gutmenschen" sagen, weil er recht hat. Der Philanthrop
glaubt an das Gute im Menschen, er handelt völlig undogmatisch im Sinne
des Humanismus bzw. des Altruismus. Die Frage ist nun, ob man die
Differenz zwischen "gutgemeint" und "gut", wie man sie in der Kunst
durchaus beachten sollte, auch in der Moral
quasi hochkochen sollte. Und es muss wohl auch gefragt werden, ob Leute,
die öffentlich Gutes tun, dies nur aus Eitelkeit tun.
Boris Grundl hat da seine unerbittliche Position - unpolitisch
eigentlich, aber psychologisch und soziologisch brisant: "Gutmenschen
verschaffen sich auf Kosten der Schwachen Macht und ein Gefühl der
Überlegenheit. Sie glauben, etwas Gutes zu tun, und bewirken doch das
Gegenteil: Mitarbeiter, Kollegen, Schüler werden systematisch klein
gehalten und zur Abhängigkeit dressiert. Dabei braucht unsere
Gesellschaft dringend selbstständige und mutige Menschen, weil es
sonst keinen Fortschritt gibt" (Klappentext). Der Urheber dieser
Gedanken sitzt seit seinem 25. Lebensjahr durch einen Unfall im
Rollstuhl, neunzig Prozent seines Körpers gehorchen ihm nicht mehr. Mit
dieser Behinderung absolviert er ein Sportstudium und wird zum besten
europäischen Rollstuhl-Rugbyspieler seiner Klasse gewählt. Er macht eine
Blitzkarriere als Produktmanager, Marketing- und
Vertriebsdirektor. Heute ist er Inhaber der "Grundl Leadership
Akademie", ein gefragter Managementtrainer und Erfolgsautor. Ein
potenzieller Sozialhilfeempfänger und Pflegefall beschämt uns alle durch
seine Lebensenergie.
Sein Credo ist: "Ich will die Leute zuerst zu sich selbst führen."
Dabei gelte es, die "Diktatur der Gutmenschen" zu brechen, weil
sie unmenschlich sei, "weil sie die wahre Größe des Menschen
leugnet, die in seiner Entwicklungsfähigkeit liegt." Grundl möchte
ein "Menschenentwickler" sein, ein "Unabhängigmacher".
Aus seiner eigenen Entwicklung nach dem Unfall weiß er, dass man eine
Situation emotional annehmen und sich auf wenige Kernthemen
konzentrieren muss. Man sollte nicht nur fordern, sondern selbst etwas
tun - und wer Kritik übt, sollte Lösungsmöglichkeiten mitliefern.
Problematisch wird es, wenn Grundl pauschal Idealisten einen
Totalitätsanspruch vorwirft und den sogenannten "Gutmenschen" ein "Helferglück
aus zweiter Hand" nachsagt, ja sie als "Helfersüchtige"
denunziert: "Das Edle, Hilfreiche und Gute gibt es längst auch im
Abo. Die Mitgliedschaft bei Amnesty International garantiert
moralische Amnestie." Grundl muss schon aufpassen, dass er sich
nicht ins Abstruse steigert, wenn er etwa lospoltert: "Den
Gutmenschen geht es nämlich mehr ums Helfen als um Hilfe. Und damit
sind sie eine Gefahr für jeden, der in Not gerät." Und er spinnt
um diese These eine Theorie, dass die Gutmenschen den in Not Geratenen
ihre eigenen Entwicklungsmöglichkeiten beschneiden würden. Diesbezüglich
polemisiert er gegen Entwicklungshelfer und "Hobbyrevoluzzer".
Man müsse eben auch bereit sein, Angst, Zweifel und Schmerz anzunehmen
und sich von überzogenen Erwartungen verabschieden - denn aus dem
Gutmenschen könne womöglich ein Fanatiker werden.
Andererseits erklärt sich der Groll Grundls gegenüber angeblich
Gutmeinenden damit, dass er sich seinerzeit nach seinem Unfall in seinen
Entwicklungsperspektiven in den Erwartungen Anderer beschnitten sah und
sich selbst hartnäckig und trotzig in eine für ihn entsprechende
Position hocharbeitete. Als man ihm seinerzeit nahelegte, "realistisch"
zu sein, definierte er für sich diesen Begriff um. Er weigerte sich
schlichtweg, sich als "Pflegefall" behandeln zu lassen. Er entdeckte für
sich die Selbstverantwortung und die Selbstdisziplin - und das verlangt
er rigoros von jedem Anderen auch.
Allerdings eine - eigentlich philosophische - Grunderkenntnis scheint
stimmig: "Tiefe Erfüllung gibt es nie von außen, sondern nur von
innen." Und ein ganz wesentlicher Aspekt bei Grundl ist auch, dass
unbedingt Konflikte
ausgetragen werden sollen, entsprechend bewertet er Harmoniesucht auch
als entwicklungshemmend. Wobei es ihm auch immer um die Machtfrage geht
in dem Sinne, wer für die Entwicklung von Menschen verantwortlich ist.
Und da scheint aus dem Hintergrund die grandiose Aussage des
Barockdichters Paul Fleming ("Wer sein selbst Meister ist ...")
herauf, wenn Grundl sagt: "Andere führen kann nur, wer gelernt hat,
sich selbst zu führen." Ehrlicherweise wissen wir auch, dass
gesellschaftlicher Fortschritt von unangepassten Individuen und nicht
von konsensseligen Jasagern ausgeht.
Und so könnte man als Summe der Grundl’schen Gedanken sehen: "Der
Mensch hat die Pflicht, sich selbst weiterzuentwickeln und andere bei
ihrer Entwicklung zu unterstützen. Je stärker jemand ist, desto mehr
muss er anderen helfen, selbst stark zu werden. Als Folge wird er
erleben, dass es ihn selbst nicht schwächt, wenn andere um ihn herum
ebenfalls stark werden, sondern dass ihn das im Gegenteil noch stärker
macht." Dies als Kernbotschaft des vorliegenden Buches akzeptiert
möge man sich damit beschäftigen, auch wenn es bedauerlich erscheinen
mag, dass so ein schöner Begriff wie "Gutmensch" leider größtenteils nur
negativ interpretiert und bespöttelt wird.
(KS; 08/2010)
Boris Grundl: "Diktatur der Gutmenschen.
Was Sie sich nicht gefallen lassen dürfen, wenn Sie etwas bewegen
wollen"
Econ, 2010. 263 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen