Sabine M. Gruber: "Kurzparkzone"
Erzählungen
Ein heißer Junitag in Wien
Die Kurzparkzone in Wien ist das verbindende Glied dieser Kette von
zwölf kurzen Erzählungen, die sich mit zwölf (eigentlich dreizehn)
Frauen beschäftigen, die während der gewählten Parkzeit die Möglichkeit
zu einem Wendepunkt in ihrem Leben haben, diesen sehen und nutzen, oder
auch nicht. Frauen, die während der Parkzeit Entwicklungen durchmachen,
Siege feiern oder auch herbe Niederlagen und, weniger tragisch, auch
Strafzettel einstecken müssen.
Zuerst ist Helga an der Reihe, die ein Treffen in einem Wiener
Kaffeehaus hat und sich zu leicht dadurch aus dem Konzept bringen
lässt, dass ihre Verabredung sie nicht erkennt, bevor Susi nach vielen
Jahren Babypause ihren ersten, für sie in einem Desaster endenden
Arbeitstag hat.
Hedwig wartet vergeblich mit der abgemachten rosa Rose auf ihr "Blind
Date", bevor sie sich entschließt, die Abfuhr diesmal nicht
hinzunehmen. Sie fährt zur Wohnung des Mannes, wo sie überraschende
Erkenntnisse über ihre Verabredung macht.
"Nach zwanzig Minuten saß sie immer noch alleine da, und während sie
wieder und wieder in derselben Neuen Post blätterte, wurde aus einer
Ahnung allmählich Gewissheit: Auch dieser Mann würde nicht kommen. Es
war ihr viertes Rendezvous in zwei Monaten, jedes Mal hatte man sie
sitzen lassen ..."
Nina hat eine schmerzhafte Erkenntnis und den tiefgehenden Verlust des
Bruders zu ertragen.
Maira findet, als sie im Augarten nach der Trennung von ihrem Freund
durchatmet, ein Notizbuch mit verschiedenen Aktzeichnungen. Von diesem
Notizbuch fasziniert, macht sie sich auf die Suche nach dem Eigentümer
und schlittert in ein faszinierend erotisches Abenteuer.
Melanie versucht ein Problem aus der Arbeit zu lösen und merkt nicht,
wie sie längst ausgespielt ist. Rosa findet einen originellen Weg zu
einem neuen Paar Schuhe, während Marie nervös auf die Ankunft einer
längst entschwundenen Jugendliebe wartet und Cindy ihre durch die Mutter
verursachten Komplexe erst dank des Verstummens des Katers
ihrer Gesangslehrerin ablegen kann.
"Das Publikum applaudiert, begeistert, tosend. Sie verbeugt sich,
artig, und der junge Mann hält fest ihre Hand. Nachdem ihre Mutter der
dritten Balletts-Schulaufführung beigewohnt hatte, in der Lucinda eine
wichtige Rolle tanzte, sagte sie zu ihrer kleinen Tochter nur diesen
einzigen Satz: Du musst nicht mehr in Ballett gehen, wenn du nicht
mehr willst. Dabei wackelte sie heftig mit dem Kopf, schüttelte ihn
rundherum und nach allen Seiten, und dieses mütterliche
Kopfwackelschütteln drückte alles aus, was sie nicht aussprach:
Nachsicht, Enttäuschung, Vorwurf, Mitleid, Verachtung. Der Kopf der
Mutter schüttelte das Mädchen brutal und ein für alle Mal aus ihrem
rosa Traum. Auch Lucinda sprach nichts von dem aus, was sie dachte
oder fühlte. Sie ging nie wieder zum Ballettunterricht ... Sie nannte
sich fortan Cindy und bestand darauf, so genannt zu werden."
Corinne verpasst durch Eitelkeit und eine gewisse Arroganz die
Möglichkeit auf die große Liebe, während die Schriftstellerin Selma auf
einer ganz besonderen Lesung eine intensive persönliche Erfahrung macht.
In der letzten Erzählung versucht Sophia die von ihrem Freund initiierte
Trennung mit einem letzten großen Abschiedsabend zu meistern, ein
Unterfangen, das fast gut geht ...
Sabine M. Gruber hat in "Kurzparkzone" Figuren geschaffen, die glaubhaft
aus dem Leben gegriffen zu sein scheinen. Ihre Frauenfiguren machen sich
das Leben teilweise selbst schwer, da sie nicht auf ihre eigenen Kräfte
vertrauen oder ihren Instinkten nicht folgen können. Ihre Figuren haben
vertraute Probleme und Sorgen, hier sind keine im metaphorischen Sinne
Männer vernichtenden oder ihre Umwelt unterwerfenden Machtfrauen
unterwegs, sondern verletzliche, sensible, eingebildete und unsichere
Frauen. Überraschend, wie Sabine M. Gruber dem Leser weit vor ihren
Figuren ohne es wirklich auszusprechen die Augen öffnet, man sieht
manche Wendung kommen, manche aber auch nicht.
Sehr stark die Erzählungen von Helga, Maira, Melanie, Marie, Cindy,
Corinne, Selma und Sophie, während dem Rezensenten Susies und Hedwigs
Geschichten etwas zu skizziert, zu wenig ausgearbeitet vorkamen.
Sehr subtil die erotische Erzählung von Maira; hier findet das Erlösung,
was bei Helgas Erzählung schon leicht durchschimmert.
Sabine M. Gruber lässt ihre Protagonistinnen fein von leichten
Seidenkleidern umspielt werden und rückt dabei auch das Bild der Frau
mittleren Alters gut zurecht.
Vorwerfen könnte man Sabine M. Gruber möglicherweise nur die
Konzentration auf blondes oder ergrautes Haar, auf blonde Locken, die
Konzentration auf nur einen Frauentyp.
Ein Frauentyp mit dunklen, schwarzen oder gar roten Haaren kommt hier
nicht merkbar vor, ist sozusagen vom Geschehen ausgeschlossen. Abgesehen
davon sind ihre Protagonistinnen unterschiedlicher Natur.
Fazit:
Interessant und abwechslungsreich geschriebene Erzählungen mit einer
gehörigen Portion Wien-Flair, einem Schuss Humor, der hin und wieder
relativ schwarz eingefärbt ist; mit Figuren, die teilweise hart
gebeutelt werden, die aber von der Autorin mit einer großen Menge Empathie
kreiert sind und in fast allen Punkten überzeugen.
(Roland Freisitzer; 08/2010)
Sabine
M. Gruber: "Kurzparkzone. Erzählungen"
Picus Verlag, 2010. 206 Seiten.
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