Robert Engele: "Damals in Graz"
Eine Stadt erzählt ihre Geschichten
Geschichte im
Zeitungsformat
Robert Engele, der Grazliebhaber, Autor und Journalist, bezeichnet sich
im Vorwort des reich bebilderten Buches als "Neigungshistoriker":
Seit einigen Jahren neigt er Sonntag für Sonntag die Aufmerksamkeit der
Leser der steirischen "Kleinen Zeitung" der Geschichte seiner Stadt zu.
Wöchentlich schreibt er in seiner Serie "Damals in Graz" kurzweilige und
überaus informative Artikel zur Regionalgeschichte.
Es sind weniger die großen, fast ganz Österreich betreffenden
Ereignisse, wie zum Beispiel die Türkenbelagerungen, die
Pest oder die Napoleonische Besetzung, die er in liebevollen
Details und möglichst mit zeitgenössischen Originalzitaten und
historischen Aufnahmen beschreibt. Davon könnte man auch in Schulbüchern
und zahlreichen historischen Werken lesen. Sein Interesse gilt dem
Verborgenen und Besonderen, den oft vergessenen Ereignissen, die nur in
und um die steirische Landeshauptstadt stattfanden.
In Graz wurde zum Beispiel fast das Radio erfunden. Fast? Dem Physiker
Otto Nußbaumer (1878 bis 1930), Assistent an der Technischen Universität
Graz, gelang am 15. Juni 1904 die erste drahtlose Übertragung von Musik
und Sprache - er sang das das Dachsteinlied, die steirische Landeshymne,
und übermittelte dabei seine Stimme über mehrere Kilometer. Doch sein
Professor rügte bloß seine Sangeskunst, und die verdiente Anmeldung
eines Patents unterblieb.
Eigene Kapitel sind auch dem Operettenkomponisten Robert Stolz und
Jochen Rindt, dem wildem Hund aus Graz, gewidmet, der nach seinem
Unfalltod in Monza 1970 posthum Weltmeister der Formel 1 wurde. In
insgesamt 45 zwei- bis vierseitigen Episoden stellt Robert Engele unter
Anderem die mittelalterlichen Grazer Vogeljäger, die Flugversuche der
Brüder Renner mit dem ersten österreichischen Zeppelin, die
Entstehungsgeschichte des ehemals weltberühmten Kochbuchs von Katharina
Prato und die Geburtsstunde des "SK Sturm" vor. Auch negative Ereignisse
wie der "Kirschrummel", eine blutig aufgelöste Demonstration gegen
überhöhte Lebensmittelpreise nach dem Ersten
Weltkrieg, die Arisierung der jüdischen Geschäfte 1938 oder
Überflutungen nach einem verheerenden Mur-Hochwasser, bleiben nicht
ausgespart.
Wer nicht in Graz wohnt und leicht die Chance hat, die Schauplätze
der beschriebenen Ereignisse zu besuchen, dem wird vielleicht manchmal
ein aktuelles Vergleichsbild fehlen, an dem man erkennen kann, wie sehr
sich die Stadt über die Jahrhunderte gewandelt hat.
Gelegenheitsspaziergänger vermissen vermutlich auch einen
Übersichtsplan, um die beschriebenen Orte selbst aufzusuchen. Dennoch
ist Robert Engeles Graz-Buch ein ideales Geschenk für alle Grazer, die
mehr über ihre Stadt wissen möchten.
In den Sonntagsausgaben der "Kleinen Zeitung" wurden schon weitere
Artikel der Serie "Damals in Graz" veröffentlicht. Man darf also auf
einen Folgeband dieses gefälligen und gleichzeitig angenehm und
interessant zu lesenden Werks hoffen!
(Wolfgang Moser; 05/2010)
Robert Engele: "Damals in Graz. Eine Stadt
erzählt ihre Geschichten"
Styria, 2010. 160 Seiten.
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Noch zwei Buchtipps:
Otto Hochreiter, mit historischen Kommentaren von Gerhard Schwarz:
"Wirklichkeiten. Graz um 1900"
Die Wahrheit einer Stadt ist konkret und kann in alten Bildinventaren
wiederentdeckt werden. Die einst für den Lehrgebrauch bestimmten
Diapositive aus dem Grazer Stadtarchiv sind ein Angebot zur Entzifferung
von Grazer Wirklichkeiten um 1900.
Diese Diapositive sind durchsichtig im doppelten Wortsinn: Transparente
Bilder im Medium Fotografie, das so durchlässig für die Wirklichkeit
ist. Ohne zu verklären, erhellen die Bilder von Graz durch ihre
unverstellten Blicke die oft rätselhaften Details des Stadtlebens in
ihren vergänglichsten Formen: die Straßen und Gebäude, die zufälligen
Begegnungen und flüchtigen Eindrücke einer sich rapide verändernden,
geschichtsschweren Stadt vor dem Großen Krieg.
Ein faszinierendes Angebot, in den fotografischen Miniaturen das
kulturhistorisch Bedeutsame des Grazer Zentrums im damaligen Bauzustand
für sich zu entdecken oder sich einfach als Flaneur in der
Vorstadtmelancholie der Jahrhundertwende zu verlieren. (Brandstätter
Verlag)
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