Arnulf Krause: "Von Göttern und Helden"
Die mythische Welt der Kelten, Germanen und Wikinger
Ein Puzzle aus Thor,
Artus, Gandalf und noch viel mehr
Wie selbstverständlich gerne beschäftigen wir uns mit der griechischen
bzw. römischen Antike, weil sie uns so luzide und beflügelnd erscheint,
egal ob wir uns ihr ästhetisch
oder philosophisch
nähern - oder uns mit ihren Mythen auseinandersetzen. Irgendwie
erscheint uns deren Götterwelt sympathisch, gerade weil es da auch
irgendwie menschelt, und die homerische Heldenwelt versetzt uns in
anspruchsvolle Abenteuerstimmung. Wenn uns Arnulf Krause nun "Die
mythische Welt der Kelten, Germanen und Wikinger"
(Untertitel) näher zu bringen versucht - wie er das ja in
Einzeldarstellungen auch schon in etlichen Büchern unternahm - so möchte
er diesen scheinbar dunkleren und schicksalsträchtigeren "Anderwelten"
mindestens zur gleichgewichtigen Anerkennung verhelfen. Die nordische
Sagenwelt von Rhein und Donau über die Bretagne und Irland bis
nach Norwegen und Island präsentiert uns Höhlen, Hünengräber und
Burgruinen, sie ist bevölkert von Göttern, Elfen, Druiden, Zwergen und
Riesen, Rittern und Königen; sie ist geprägt von blutigen Schlachten und
unglaublichen Heldentaten. Und zumindest hat man schon als Kind mit
hochroten Ohren vom Donnergott Thor, dem Kampf Beowulfs mit Grendel oder
der Artusrunde gelesen.
Aber es geht Krause ja um viel mehr: Er möchte trotz schwieriger
Quellenlage mehr Licht in das mythische nordische Dunkel bringen -
dennoch bleiben die in diesem Buch am häufigsten verwendeten Worte
(Artikel und Konjunktionen natürlich nicht mitgerechnet):
"wahrscheinlich" bzw. "womöglich" - weniges ist sicher, vieles
muss vermutet oder mit einer gewissen waghalsigen Plausibilität
angenommen werden. Das macht es natürlich schwierig, ein
wissenschaftlich vertrauenswürdiges Buch dieser Art zu verfassen, woraus
man die Sinn-und-Zweck-Frage durchaus folgern könnte. Auffällig ist ja
auch, dass man von griechischen und römischen Dichtern, Gelehrten und
Historikern Informationen über die, die "jenseits der Nordstürme
wohnten" bekommt. Da bleiben freilich Manipulationen, bedingt
durch die unterschiedliche Mentalität und Kultur, gewisse Unkenntnis und
einen Hang zur fantasievollen Ausschmückung nicht aus. So schreibt auch
Krause: "Die antiken Kenntnisse vom geheimnisvollen Norden beruhten
auf einem Gemisch aus Mythen, Sagen, Legenden und Gerüchten." Und
dies mag noch freundlich formuliert sein unter dem Eindruck, dass man
aus griechisch-römischer Sicht die nördlicheren Stämme durchweg als
"Barbaren" geringschätzte.
Unsere heutigen Erkenntnisse schöpfen wir größtenteils aus solcherart
Überlieferungen, Höhlenmalereien und archäologischen Funden. Sind Mythen
als quasi sinnstiftende Kulturindikatoren schon grundsätzlich
problematisch genug, so werden sie es umso mehr durch ihre Filterung in
Erzählungen diverser ideologischer Prägung in vorschriftlicher
Narrativtradition oder später dann christlich geprägter Terminologie. In
den Grundzügen geht es immer wieder um die Entstehung der Welt und die
Entwicklung des eigenen Volkes, die Anerkennung bestimmter Götter und
den Lobpreis diverser Helden. Krause stellt fest: "Die Spuren der
Mythen des nördlichen Europa führen 35.000 Jahre zurück." Da
herrschte schließlich noch die Eiszeit - und so versuchen
Wissenschaftler heute aus verstreuten Funden von Grabstätten,
Großsteinmonumenten, Feuerstellen und Höhlen, Geräten, Schmuck, Knochen
und kleinen Figuren Rückschlüsse zu ziehen auf die Denk- und Lebensweise
sowie die Mythen seit der Verbreitung des homo sapiens. Und so gelangt
Krause zu der allgemeinen Feststellung: "Bei aller Ungewissheit
steht somit am Ende der Steinzeit der Beginn von Göttern und Mythen,
die auf vielerlei Wegen zumindest als Relikte ihren Weg in die
jüngeren Mythologien des Nordens gefunden haben."
Generell gelten heute die Kelten als das "Mythenvolk schlechthin" -
wobei vermutet wird, dass die keltische Kleinkunst auf religiöse
Vorstellungen zurückgriff. Römische Geschichtsschreiber verwiesen u.a.
darauf, dass die keltischen Druiden als oberste Priester und
Rechtsgelehrte über außerordentliche Macht verfügten. Interessant ist
auch, dass für die Gallorömer keltisch-römische Gottheiten existierten.
Die Kelten in Britannien und Irland nahmen eine Entwicklung, bei der sie
alte keltische Bräuche auch nach der Christianisierung bewahren konnten,
und sie waren mit der spätantiken Bildung vertraut. In Irland haben
christliche Gelehrte als erste im nördlichen Europa die einheimischen
Sagen und Mythen niedergeschrieben. Allerdings traten nun Heilige an die
Stelle der Druiden und übernahmen deren zauberkräftige Fähigkeiten. In
den europäischen Skriptorien des Mittelalters entstanden zahlreiche
Varianten an Überlieferungen, was seitdem eher für Unübersichtlichkeit
und Verwirrung sorgt. Das lässt sich etwa nachvollziehen an der Gestalt
Arthurs bzw. Artus', hinter dem sich entweder ein britannischer Anführer
verbirgt, der womöglich sogar römischer Herkunft war, oder er war ein
Stammesfürst im Grenzgebiet zwischen England und Schottland, für wieder
andere Interpreten war er ein mächtiger britannischer Herrscher, dessen
Spuren sich bei einem Feldzug nach Gallien sich vor der burgundischen
Stadt Avalon (!) verlieren. Jedenfalls wurde aus Artus
eine Heldenfigur der keltischen Mythologie, die im
christlichen Mittelalter umgedichtet wurde zu einem idealen
höfischen Herrscher. Dieses Beispiel zeigt im Grunde mit am besten, wie
großzügig man in verflossenen Jahrhunderten mit Mythenbildungen verfuhr.
Unter diesem Gesichtspunkt mag es dann wieder an Masochismus grenzen,
wenn jemand überhaupt versuchen wollte, unter streng wissenschaftlichen
Gesichtspunkten Strukturen in all die disparaten Überlieferungsfragmente
zu bringen.
Bedenkt man etwa auch, dass vieles, was wir über die Germanen wissen, im
Grunde durch eine interpretatio romana gefiltert wurde, so erscheint es
eigentlich plausibel, dass es sich kaum um objektive Informationen
handeln kann. Immerhin haben wir auch dem als seriös eingestuften
Tacitus etliche Überlieferungen betreffs germanischer Gottheiten und
Rituale zu verdanken.
Man mag zur Relevanz und Authentizität all der verstreuten
Mythenüberlieferungen stehen wie man mag, mit Sicherheit steckt ein Kern
frühzeitlicher Ideologie darin, den man auch schlichtweg Mentalität oder
eben Kultur nennen kann. Und in unterschiedlicher Weise wurde immer
wieder auch versucht, eine kulturelle oder quasi eine bewusstseinsmäßige
Traditionslinie von früheren Stämmen bzw. Völkern und ihren
Vorstellungen und Ritualen bis in die Gegenwart neuerer Völker und
Nationen hochzuinterpretieren. Und sind wir ehrlich: Übt nicht gerade
die Göttergemeinschaft von Asgard eine besondere Faszination auch auf
uns heute noch aus, Thor, Balder, Loki - das sind doch quasi auch
Paradigmen für Charakterbilder, die uns näher und nachvollziehbarer
erscheinen als manch neuere abstraktere bzw. unantastbarere
Gottesvorstellungen. Oder wer nicht von der Vehemenz der Nibelungensage
oder der heldenhaften Präsenz eines Beowulf emotional berührt wird, der
spürt womöglich nicht, dass auch in uns ach so auf- und abgeklärten
modernen Menschen noch die Urängste und Fantasien schlummern, die sich
auch nicht von Computern besiegen lassen. Oder wie ließe sich auch sonst
der Erfolg von Tolkiens Romanen erklären, in denen eigentlich mit der
Mythenmischung gespielt wird?! Krause sieht auch in diesen Schriften Tolkiens
quasi eine legitime Nachfolge der altüberlieferten Geschichten. Was
dieser Professor für mittelalterliche englische Sprache und Literatur
bewusst zusammenfabulierte, versetzt uns in eine ähnliche Welt, wie sie
uns die alten Mythen künden. Nun können wir auch spekulieren, wie viele
Tolkiens es womöglich in den vergangenen Jahrhunderten schon gegeben
haben mag - und uns dennoch an der seriösen Fleißarbeit von Arnulf
Krause ergötzen.
(KS; 10/2010)
Arnulf Krause: "Von Göttern und Helden.
Die mythische Welt der Kelten, Germanen und Wikinger"
Theiss-Verlag, 2010. 212 Seiten.
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Weitere Buchtipps:
Arnulf Krause: "Lexikon der germanischen
Mythologie und Heldensage"
Wer waren die Germanen?
Worum geht es in jenen Überlieferungen, die als "Germanische Götter-
und Heldensagen" bekannt sind? Welche Texte und andere Quellen gibt
es? Welche Personen begegnen dem Leser? Welche Riten und magische
Vorstellungen hatten die Germanen? Und welche religionsgeschichtlichen
Phänomene lassen sich ausmachen? Antworten gibt dieses Lexikon, das
den Zeitraum von etwa 500 v. Chr. bis zum Abschluss der
Christianisierung aller Germanenvölker um 1100 n. Chr. berücksichtigt
und dabei sowohl die germanische Götterwelt als auch die Heldensagen
und ihr Nachleben im Mittelalter einbezieht. Mit etwa 1.900 Artikeln
ist es das umfassendste seiner Art. Es liefert alle Informationen, die
man braucht, um Bescheid zu wissen über "Alberich", "Beowulf" und
"Fafnir", über "Heldenlieder", "Nibelungenlied"
und "Isenstein", über "Recken" und "Tieropfer", die "Wilde Jagd",
"Zaubersprüche" und "Zwerge".
Eine Zeittafel über die wichtigsten geschichtlichen Ereignisse rundet
den Band ab. (Reclam)
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Martin
Kuckenburg: "Die Kelten"
Beim Teutates! Das Standardwerk über die Kelten wurde um die Hälfte
erweitert. Bisher auf Mitteleuropa beschränkt, umfasst es nun ihre ganze
Welt bis zu den sanften Hügeln Irlands - wie sie lebten, was sie
glaubten, wie sie kämpften und untergingen.
Spektakuläre Funde keltischer Fürstengräber mit wertvollen Beigaben und
neue Forschungen zu frühen Fürstensitzen haben in den letzten Jahren das
Interesse an der geheimnisvollen Kultur der Hügelgräber und Druiden, an
den Barden und der Artussage immer wieder angefacht. Auch außerhalb der
Ursprungsregion der Kelten hat die Forschung Aufsehen erregende
Fortschritte gemacht, vor allem in den Siedlungsgebieten vom Balkan bis
zum Schwarzen Meer, der Türkei und den Britischen Inseln.
Die Kelten standen an der Schwelle zur Hochkultur. Dieser
prächtige Band stellt sie in allen Facetten vor. Viele Kapitel wurden
auf das größere Gebiet ausgeweitet und zwei neue Teile hinzugefügt:
Auf den Britischen Inseln entwickelten die Kelten schon früh eine
bedeutende eigenständige Kultur, die unter der römischen Besatzung und
auch im christlichen Mittelalter lebendig blieb - zum Teil sogar bis
heute.
Die späte Kultur der Kelten und ihr Erbe in unserer Zeit werden in
Sachbüchern selten berücksichtigt.
Martin Kuckenburg beschreibt ausführlich die Blütezeit ihrer
mittelalterlichen Kunst, die Kelten-Begeisterung der Romantik und ihre
Wirkung bis in die Gegenwart. (Theiss-Verlag)
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